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Das Internet hat in Bezug auf die politische Partizipation bisher nur eingeschränkt seine Wirkung entwickelt. Diese Ansicht vertrat die Mehrheit der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ unter Vorsitz von Axel E. Fischer (CDU/CSU) zum Thema „Strukturwandel der politischen Kommunikation und Partizipation“ am Montag, 19. März 2012. Nach wie vor machten knapp 50 Prozent der Deutschen „einen weiten Bogen um jegliche politische Kommunikation“, sagte der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Zwar habe sich das Internet als Informationsmedium etabliert, doch werde es als Medium aktiver politischer Partizipation nur von einer kleinen Anzahl der Internetnutzer genutzt, urteilte der Politikwissenschaftler Markus Linden von der Universität Trier.
Prof. Dr. Christoph Neuberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München machte auf eine mögliche digitale Spaltung aufmerksam. Es bestehe die Gefahr, dass „die üblichen Verdächtigen“ sich das Medium zu eigen machen, sagte er. Der Kommunikationswissenschaftler Neuberger betonte zugleich die wichtige Vermittlerrolle des Journalismus beim Strukturwandel der politischen Kommunikation. Statt einer Konkurrenz, so Neuberger, gebe es eine Ergänzung zwischen Journalismus und „Social Media“. „Journalisten werden nicht überflüssig“, machte er deutlich.
Die e-Partizipation kranke am gleichen Problem wie andere Reformversuche der Teilhabe, sagte Politikwissenschaftler Linden. „Je anspruchsvoller die politische Aktivität, desto größer ist die soziale Disparität der Beteiligten.“ Bildungsgrad und Einkommen seien neben dem Alter und dem Geschlecht starke Einflussgrößen für e-Partizipation.
Linden warnte zudem davor, dass durch die Reform der Beteiligung der Einfluss der Parlamente gegenüber der Exekutive verloren geht. Die Treiber der Veränderung bei der politischen Kommunikation und Partizipation seien die „Digital Citizens“, sagte Professor Gerhard Vowe. Diese Gruppe umfasse 16 Prozent der Bevölkerung und sei „wesentlich jünger und wesentlich gebildeter als der Durchschnitt“.
Auf die Ergebnisse einer Nutzerbefragung der Adhocracy-Beteiligungsplattform der Internet-Enquete ging Daniel Reichert, Vorstandsvorsitzender des Vereins Liquid Democracy, der diese Plattform entwickelt hat, ein. Danach seien mehr als 70 Prozent der Ansicht, dass sie mit ihrer Beteiligung keinen Einfluss auf die Politik nehmen könnten.
„Es muss besser dargestellt werden, dass dies nicht so ist“, forderte Reichert. Ein weiterer Kritikpunkt der Nutzer sei die fehlende Rückmeldung der Kommissionsmitglieder bei der Diskussion auf der Beteiligungsplattform.
Die Stellung der Beauftragten für Informationsfreiheit müsse gestärkt werden, forderte Stefan Wehrmeyer, Software-Entwickler bei der Open Knowledge Foundation Deutschland und Leiter des Projektes FragdenStaat.de. Er kritisierte zugleich die Eingrenzung des Auskunftsanspruchs auf Informationen der Verwaltung sowie die zahlreichen Ausnahmeregelungen in den gesetzlichen Regelungen zur Informationsfreiheit.
Die Vertraulichkeit von Regierungs- und Parlamentsarbeit dürfe sich nicht bloß aus Tradition und Bequemlichkeit ergeben, sondern müsse vor dem Hintergrund des Informationsinteresses der Gesellschaft neu begründet und diskutiert werden, sagte Wehrmeyer.
Die Nutzung der neuen Kommunikationsmöglichkeiten müsse weiter erkundet werden, sagte Christoph Kappes, Geschäftsführer der Fructus GmbH. „Das kann noch dauern“, betonte er. Was man heute vorfinde sei noch lange nicht der Endzustand der Technik. Vielmehr müsse mit einer Serie an Innovationen gerechnet werden, die den heutigen Zustand erheblich verändern würden.
Politische Akteure, so Kappes, könnten sich zu einem Massenmedium entwickelt, weil sie direkt und unvermittelt mit dem Publikum kommunizieren könnten. „Das löst Fragen nach dem Rollenverständnis der politischen Akteure aus“, sagte er. (hau)