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Nein, einen Ostfriesenwitz kennt sie nicht. "Aber ich habe gehört, dass es welche geben soll", räumt die 30-jährige Naomi Mittelmann aus Israel ein. Dass sie überhaupt mit einer solchen Frage konfrontiert wird, hat mit ihrem derzeitigen Berlin-Aufenthalt zu tun. Naomi Mittelmann gehört zu den 115 Teilnehmer am Internationalen Parlaments-Stipendium (IPS) 2012. Bis Ende Juli arbeitet sie als Praktikantin im Bundestag. Genauer gesagt im Büro der ostfriesischen Abgeordneten Gitta Connemann (CDU/CSU).
Seit gut einer Woche kennt sie die Parlamentarierin aus dem Wahlkreis Leer/Emsland und ist schon begeistert. "Sie ist eine intelligente Frau, die sehr klar und offen spricht und von der ich viel lernen kann", sagt sie. Womöglich sogar Ostfriesenwitze, zu denen Connemann bekanntlich selbst ein sehr entspanntes Verhältnis pflegt.
Doch Naomi Mittelmann ist nicht IPS-Stipendiatin geworden, um Witze zu erzählen. "Ich möchte die parlamentarischen Abläufe kennenlernen", sagt sie. Erste Schritte dahin hat sie schon gemacht. "Dank des Lexikons, das alle IPSler bekommen haben, kenne ich mich mit den parlamentarischen Gepflogenheiten schon ganz gut aus." Gleich in der ersten Sitzungswoche kamen die ersten Praxistests hinzu. "Ich war in der Arbeitsgruppe und im Ausschuss für Arbeit und Soziales", erzählt sie.
Zu tun hatte die 30-Jährige von Anfang an: "Gleich am ersten Tag sollte ich einen Brief nach Israel und an mehrere internationale Organisationen schreiben. Jetzt erstelle ich gerade einen Vermerk über die israelisch-palästinensischen Beziehungen", sagt sie. Bei Gitta Connemann ist die in Jerusalem geborene Israelin wohl in guten Händen: Die CDU-Politikerin ist schließlich die Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Naomi Mittelmann freut sich, dass es so gut angefangen hat: "Langweilig wird mir sicher nicht", glaubt sie.
Wenn sie doch mal Zeit hat, will sie sehen, "was in Berlin los ist". Für Naomi Mittelmann ist es schon der dritte Aufenthalt in der deutschen Hauptstadt. Spricht sie deshalb so perfekt Deutsch? Nein, sagt sie. Das hat eher mit ihrer aus Bayern stammenden Mutter zu tun. "Ich bin mit der deutschen Sprache aufgewachsen." Ohnehin sei zu verzeichnen, dass in Israel immer mehr junge Menschen an den Universitäten Deutsch lernen.
Ihr Verhältnis zu Deutschland ist ein gutes, sagt sie. Trotz oder auch gerade angesichts der Geschichte fühlt sie sich als Jüdin mit dem Land verbunden. Es gebe sicher noch viele auch in Deutschland lebende Israelis, die "innere Konflikte" spüren würden. "Es werden aber immer weniger", ist sie sich sicher. Wie in fast allen israelischen Familien, gibt es auch bei ihr Verbindungen mit dem Holocaust: "Meine Großeltern haben den Holocaust überlebt. Die einen im Konzentrationslager Auschwitz, die anderen in einem Versteck."
Noch kurz vor ihrer Abreise nach Berlin hatte sie zuhause eine Begegnung mit einem über 80-jährigen Auschwitzüberlebenden, einem Freund der Familie. "Ich hatte Bedenken, ihm gegenüber zu erzählen, dass ich ein Praktikum im Deutschen Bundestag mache", gibt sie zu. Doch die Reaktion war anders als erwartet: "Er war begeistert darüber, noch erleben zu dürfen, dass die dritte Generation nach dem Holocaust im deutschen Parlament arbeitet."
Dass sie sich für das IPS-Stipendium beworben hat, hat viel mit einem Besuch des Goethe-Instituts in Jerusalem zu tun. Als sie dort auf eine Freundin wartete, mit der sie 2011 eine Veranstaltung zum Grand Prix Eurovision organisiert hat, fielen ihr die IPS-Broschüren in die Hände. "Dann habe ich mich erinnert, dass Freunde von mir daran teilgenommen hatten und habe mir gedacht: Das ist auch etwas für mich."
Nun wohnt sie mit Menschen aus den verschiedensten Ländern zusammen und hat schon neue Freunde aus Mazedonien und Georgien gefunden. "Wo hätte mir das sonst gelingen sollen?", fragt sie und kommt noch einmal auf den Grand Prix zu sprechen. "Das war hilfreich", sagt sie: "Ich weiß jetzt, wie all die Landesfahnen aussehen."
Ein Sangeswettstreit also als Mittel zur Völkerverständigung - Naomi Mittelmann kann sich vorstellen, später auch daran beruflich mitzuarbeiten. "Ja – internationale Beziehungen im Kulturbereich interessieren mich sehr", sagt sie. Insbesondere gelte das für den Bereich des Jugendaustauschs.
Bislang war die 30-Jährige vor allem journalistisch tätig. Was die berufliche Zukunft, aber auch die Wahl ihres Lebensmittelpunktes angeht, ist Naomi Mittelmann völlig offen: "Ich schließe keine Türen", sagt sie. Erst in der vergangenen Woche habe sie durch Frau Connemann den Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft kennengelernt. "Wer weiß – vielleicht ergibt sich da etwas", zeigt sie sich optimistisch.
Aktuell gilt ihre Aufmerksamkeit aber dem Praktikum. Zusätzlich will sie noch Kurse an einer der Berliner Universitäten belegen. "Politikwissenschaften würden mich interessieren", sagt sie. Und dass sie gern einen Ruderkurs belegen möchte. "Dann kann ich im Sommer auf der Spree rudern."
Voller Vorfreude ist sie auch schon auf den Besuch in Connemanns Wahlkreis. Ende Mai steht die Reise nach Ostfriesland an. "Da ist dann sicherlich schönes Wetter", sagt sie. Daran wird deutlich: Naomi Mittelmann ist ein sehr optimistischer Mensch. Hoffentlich wird sie nicht lernen müssen: Eine Garantie auf schönes Wetter gibt es in Deutschland leider auch Ende Mai nicht. (hau)