Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2012
Die geplante Einführung des umstrittenen Betreuungsgeldes entwickelt sich zum thematischen Dauerbrenner im Bundestag. Nachdem das Parlament in den vergangenen Sitzungswochen mehrfach darüber debattiert hatte, setzte es die SPD-Fraktion am Donnerstag, 10. Mai 2012, in Form einer Aktuellen Stunde erneut auf die Tagesordnung. Und wie in den Wochen zuvor wurde die Debatte erneut mit Emotion, aber auch viel Polemik geführt.
Das Betreuungsgeld soll im kommenden Jahr, wenn der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder zwischen einem und drei Jahren gilt, eingeführt werden. Zunächst sollen 100 Euro, später 150 Euro im Monat an Eltern gezahlt werden, die einen Krippenplatz nicht in Anspruch nehmen. Die Oppositionsfraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen lehnen dies kategorisch ab.
Einen Gesetzentwurf hat Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) bislang jedoch noch nicht vorgelegt. Er werde bis zum Sommer eingebracht, heißt es derzeit aus dem Ministerium. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hatte die Bundesministerin in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung deswegen scharf kritisiert. Es gebe keinen Grund, mit der Einbringung bis zur parlamentarischen Sommerpause zu warten. Die CSU gilt in der Regierungskoalition als die schärfste Verfechterin des Betreuungsgeldes. Die FDP hingegen würde gerne darauf verzichten, aber auch in der CDU regt sich Widerstand bei mehreren Abgeordneten.
"Es will keiner, es nützt keinem, kostet Milliardenn parlamentarischen Schlagabtausch ein. Lediglich die CSU beharre auf der Einführung des Betreuungsgeldes. Jetzt drohe sie gar Ministerin Schröder, ihr die Zuständigkeit dafür zu entziehen. "Bleiben Sie sich treu, tun Sie nichts", forderte Ziegler die Familienministerin ironisch auf.
Ziegler verwies darauf, dass Bayern bereits ein Landeserziehungsgeld eingeführt habe. Die CSU versuche nun offenbar, bundesweit das Betreuungsgeld einzuführen, um in Bayern die Gelder für das Erziehungsgeld wieder einsparen zu können. Mit dem Betreuungsgeld solle es Eltern lediglich "schmackhaft" gemacht werden, auf einen Kita-Platz zu verzichten. Ziegler kündigte an, dass die SPD notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Einführung des Betreuungsgeldes klagen werde.
Auch Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen erneuerten ihre Fundamentalkritik am Betreuungsgeld. Dies sei eine "Fehlinvestition". Die Gelder würden besser in den quantitativen und qualitativen Ausbau der Krippenplätze investiert, argumentierten Diana Golze (Die Linke) und Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) übereinstimmend.
Mit den 1,2 Milliarden Euro, die das Betreuungsgeld koste, könnten im Gegenzug die Kita-Plätze gebührenfrei gestaltet werden, argumentierte Golze. Zudem fehle es überall an Erzieherinnen und Erziehern. Von der Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz sei Deutschland noch weit entfernt.
Familienministerin Schröder, die sich in den vergangenen Wochen in den Bundestagsdebatten nicht zu Wort gemeldet hatte, verteidigte das Betreuungsgeld und attackierte SPD, Linke und Grüne scharf. Aussagen über die konkrete Ausgestaltung des Betreuungsgeldes machte Schröder aber nicht. Ebenso äußerte sie sich nicht dazu, wann sie den Gesetzentwurf in die parlamentarischen Beratungen einbringen wird.
Es gebe nur einen Grund für die erneute Debatte: die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag. Dies sei zwar "legitim, aber platt", sagte Schröder. Die Opposition stelle die Eltern in Deutschland "unter einen Generalverdacht" und habe "jegliche Sensibilität für junge Eltern verloren": Mütter würden als "Heimchen am Herd" verspottet, wenn sie sie sich entschlössen, ihre Kinder daheim selbst zu erziehen.
Mehr als 50 Prozent der Eltern wollten gar keinen Kita-Platz. Dies habe die Opposition nicht zu kritisieren , sondern zu akzeptieren. Der Begriff "Herdprämie", den die Opposition geprägt habe, sei diskriminierend. Sie verwies auf den Grünen-Parteivorsitzenden Cem Özdemir, der den Begriff aus diesem Grund nicht mehr verwende. "Dies ist die Reaktion eines jungen Vaters." Vielleicht werde sich die Erkenntnis bei den werdenden Vätern in der SPD demnächst auch ändern, fügte sie mit Blick auf Parteichef Sigmar Gabriel (SPD), der unlängst Vater geworden ist, spöttisch hinzu.
Es stimme nicht, dass das Betreuungsgeld dem Kita-Ausbau im Wege stehe. Die Bundesländer hätten die Kita-Plätze für unter Dreijährige verdoppelt und der Bund wie zugesagt vier Milliarden Euro bereitgestellt. Die Länder müssten die Gelder aber auch abrufen. So stehe Nordrhein-Westfalen mit seiner rot-grünen Landesregierung am schlechtesten da beim Kita-Ausbau.
Diesen Vorwurf gab Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) umgehend zurück. Die schlechte Lage in Nordrhein-Westfalen sei auf die schwarz-gelbe Regierungszeit zurückzuführen, die nichts für den Kita-Ausbau getan habe. Unter Rot-Grün seien hingegen seien in den vergangenen zwei Jahr 50.000 zusätzliche Plätze geschaffen worden.
Kritisch über das Betreuungsgeld äußerte sich auch Miriam Gruß (FDP). Allerdings übte sie heftige Kritik an der erneuten Debatte im Bundestag. Solange kein Gesetzentwurf vorliege rede man nur über "heiße Luft". Es sei zudem nicht hinnehmbar, wie Eltern gegen Eltern in der Diskussion gegeneinander ausgespielt würden. "Das gilt auch für den Koalitionspartner", schimpfte sie mit Blick in die Unionsfraktion. Auch Gruß verwies auf die Situation in Nordrhein-Westfalen. Dort lägen fünf der bundesweit zehn Landkreise, in denen es die wenigsten Kita-Plätze gebe.
Unterstützung für das Betreuungsgeld kam hingegen aus den Reihen der Unionsfraktion. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) argumentierte, die Koalition wolle "kluge und flexible Betreuungsmöglichkeiten" für alle Eltern, ganz gleich, ob sie ihre Kinder daheim betreuen oder in eine Kita geben.
Aber einen "Krippenzwang", wie ihn die Opposition faktisch einführen wolle, sei mit der Union nicht zu machen. "Wir vertrauen den Eltern", sagte Tauber. (aw)