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Sicherungsverwahrung für rückfallgefährdete Straftäter — die Diskussion um das Für und Wider, das Wo und Wie wird nach Plänen der Bundesregierung nun endlich ein Ende nehmen. Am Donnerstag, 14. Juni 2012, wird ein entsprechender Entwurf der Regierung eines "Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung" (17/9874) in erster Lesung im Bundestag debattiert. Die Aussprache beginnt gegen 14.50 Uhr und dauert eine Stunde. Mit den Protesten in dem kleinen Dorf Insel bei Stendal gegen die Unterbringung zweier Sexualstraftäter nach Verbüßung von Haftstrafe und Sicherungsverwahrung sorgt das Thema aktuell nicht nur in der politischen, sondern vor allem auch in der medialen Debatte für Aufmerksamkeit und polarisiert die Gesellschaft.
Mit ihrem Gesetzentwurf will die Bundesregierung dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen, das am 4. Mai 2011 einer Beschwerde von vier ehemals Sicherungsverwahrten stattgab und die damaligen Vorschriften für verfassungswidrig erklärte. Bis Juni 2013 muss der Gesetzgeber eine neue Regelung suchen. Für sogenannte Altfälle gelten Übergangsregelungen. Das Gericht sah in dem Gesetz unter anderem eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts und des Vertrauensschutzgebots und forderte eine völkerrechtsfreundlichere Auslegung des Grundgesetzes.
Mit dem aktuellen Gesetzentwurf will die Bundesregierung wie vom Verfassungsgericht gefordert, dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot gerecht werden, "wonach sich der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Straftat deutlich zu unterscheiden hat", heißt es in dem Entwurf. Zwar würden auf die Länder weitere Kosten zukommen, doch diesem erhöhten Aufwand "werden in einigen Fällen mittel- bis langfristig Einsparungen gegenüberstehen, die darauf beruhen, dass die Ausrichtung des Vollzugs von Sicherungsverwahrung und vorangehender Strafhaft an den Vorgaben dieses Gesetzes dazu führen kann, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vermieden wird", schreibt die Regierung weiter.
In der Debatte geht es ferner um die abschließende Beratung einer Abschreckung für jugendliche Straftäter, den sogenannten Warnschussarrest, den CDU/CSU und FDP im Jugendstrafrechtverankern wollen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten (17/9389) will der Bundestag auf Empfehlung des Rechtsausschusses beschließen. Eigenen Angaben zufolge ist die Einführung des Warnschussarrests eine langjährige Forderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Der Warnschussarrest ist der wichtigste Aspekt im neuen Gesetz und soll vor allem eine deutlichere Reaktion auf schwere Straftaten junger Täter ermöglichen: Für bis zu vier Wochen sollen Täter, deren Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist, in den Jugendstrafvollzug. Ziel ist es, ihnen zu veranschaulichen, wie der Gefängnisalltag aussieht, der ihnen bei möglichen weiteren Straftaten drohen würde.
Laut Gesetzentwurf hat der Warnschussarrest noch zwei weitere Ziele: Zum einen, die Jugendlichen eine Zeit lang aus ihrem Alltag und dem damit verbundenen, meist "schädlichen Umfeld" herauszunehmen. Zum anderen können, so die Annahme, die Betreuer im Strafvollzug zumindest einige Tage oder eben Wochen lang "gezielt erzieherisch" auf die Jugendlichen einwirken. Ziel dabei ist es, "erzieherische Gesichtspunkte und eine möglichst erfolgreiche Bewältigung der Bewährungszeit im Auge zu behalten", heißt es in dem Entwurf.
Als weitere wichtige Neuerung sieht der Entwurf die Anhebung der Höchststrafe für Heranwachsende wegen Mordes auf 15 Jahre vor, sofern ihre Schuld besonders schwer wiegt. Per Definition sind Jugendliche alle jungen Menschen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit gelten sie als Erwachsene. Junge Erwachsene jedoch, die noch nicht die ihrem Alter entsprechende volle mentale Reife erreicht haben, können bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres juristisch als "Heranwachsende" betrachtet und somit noch nach dem milderen Jugendstrafrecht verurteilt werden.
Begeht ein Heranwachsender einen Mord, der besonders grausam und gewissenlos ist, so kann er nach aktuell geltendem Jugendstrafrecht zu einer maximalen Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt werden. Um für solche Fälle einen "angemessenen Schuldausgleich" zu schaffen, soll das Strafmaß nun auf 15 Jahre erhöht werden. "Bei derartigen schwersten Kapitalverbrechen hat die bisherige Begrenzung der Jugendstrafe auf zehn Jahre dem allgemeinen Rechtsempfinden immer wieder eklatant widersprochen", schreiben die Fraktionen in einer Presseerklärung.
Ein weiterer zentraler Punkt in dem Gesetzentwurf ist die sogenannte "Vorbewährung". Wenn ein Jugendgericht das Strafmaß festlegt und das Urteil fällt, steht es oft vor der Entscheidung, ob es eine Strafe zur Bewährung aussetzt oder nicht.
Mit der Neuregelung soll das Gericht nun einen zeitlichen Spielraum erhalten: Es kann die Entwicklung des Jugendlichen und seines Verhaltens abwarten und erst später entscheiden, ob der jugendliche Straftäter in den Strafvollzug muss oder nicht. In der Praxis wurde diese Art der Vorbewährung zwar bereits praktiziert, doch soll sie nun erstmals gesetzlich geregelt werden.
Den Entwurf hatte das Bundeskabinett am 18. April beschlossen. Am 27. April war er in erster Lesung bereits Thema im Bundestagsplenum. Einen Tag vor der nun anstehenden Plenardebatte, wird sich am Mittwoch, 13. Juni, der Rechtsausschuss mit dem Entwurf befassen und eine Beschlussempfehlung abgeben. Am 23. Mai hatte der Rechtsausschuss Sachverständige in einer Anhörung befragt. Die Urteile fielen allerdings zwiespältig aus. (ver)