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Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat seinem Amtsvorgänger Dr. Philipp Jenninger zu seinem 80. Geburtstag am Sonntag, 10. Juni, gratuliert. "Sie können heute mit Stolz und einigem zeitlichen Abstand auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicken, das Sie in hohe und höchste Staatsmämter geführt hat, nicht zuletzt in das Amt des Bundestagspräsidenten", schreibt Lammert an den Jubilar, der von 1984 bis 1988 Parlamentspräsident war. " Er habe das Glück gehabt, Jenninger zu Beginn seiner Abgeordnetentätigkeit auch als Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion zu erleben, betont Lammert: "Eine Erfahrung, mir mir ebenso in guter Erinnerung geblieben ist wie die Arbeit in der von Ihnen als Bundestagspräsident eingesetzten Kommission Parlamentsreform, deren Ergebnisse bis in die Gegenwart Bestand haben." Lammert dankt Jenninger für dessen "große Verdienste um den Parlamentarismus in Deutschland".
Jenninger, neunter Bundestagspräsident vom 5. November 1984 bis zum 11. November 1988, Weggefährte und Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, war Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion und Kanzleramtsminister, bevor er im November 1984 zum Bundestagspräsidenten gewählt wurde. Er folgte im Amt auf Dr. Rainer Barzel (CDU/CSU), nachdem dieser wegen Vorwürfen im Zusammenhang mit der "Flick-Affäre" zurückgetreten war.
Jenninger setzte sich für Reformen ein, die die Parlamentsarbeit lebendiger gestalten sollten. Große Anerkennung fanden auch zwei Reisen, die er als Bundestagspräsident nach Israel unternahm. Seine unglücklich vorgetragene Rede zum 50. Jahrestag der Reichpogromnacht löste allerdings 1988 einen Eklat aus. Jenningers Integrität stand zwar außer Frage, doch der Druck der Ereignisse zwang ihn zur Aufgabe seines Amtes.
Philipp Jenninger wurde am 10. Juni 1932 im schwäbischen Rindelbach geboren. Das Elternhaus war katholisch. Politisch stand Jenningers Vater, ein Buchdruckermeister, der Zentrumspartei nahe, weswegen er in der NS-Zeit auch immer wieder Schikanen ausgesetzt war. Jenningers ältere Brüder Albert und Willi fallen als Soldaten im Zweiten Weltkrieg.
Er selbst begann nach seinem Abitur 1952 Rechtswissenschaften in Tübingen zu studieren. 1955 legte er das erste Staatsexamen ab, zwei Jahre später promovierte er mit einer Arbeit über "Die Reformbedürftigkeit des Bundesverfassungsgerichts". 1959 folgte schließlich das zweite Staatsexamen.
Bereits 1960 gelang Jenninger der Einstieg als Dezernent in die Wehrbereichsleitung V in Stuttgart. 1963 wechselte der junge Jurist ins Bundesverteidigungsministerium nach Bonn. Erste politische Erfahrungen konnte er von 1964 bis 1966 als Referent und Pressereferent des Bundesministers für besondere Aufgaben, Heinrich Krone, sammeln.
Danach wurde Jenninger Referent des damaligen Bundesfinanzministers Franz-Josef Strauß (CSU), der ihn förderte. 1969 zog Jenninger selbst als Abgeordneter in den Bundestag ein. Er gewann — wie bei allen folgenden Bundestagswahlen bis zu seinem Rückzug aus der Politik — seinen Wahlkreis direkt (erst Crailsheim, dann Schwäbisch Hall).
1973 wurde Jenninger einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Der gebürtige Schwabe, sachkundig und entscheidungsfreudig, galt als politisches Talent. Als im Januar 1975 der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Leo Wagner zurücktrat, wurde Jenninger sein Nachfolger. Schnell erwies er sich als erfolgreicher Koordinator der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Er erwarb sich aber nicht nur in der eigenen, sondern auch in anderen Fraktionen Ansehen: "So geschickt er die Geschäftsordnung und andere parlamentarische Instrumente zu nutzen wusste, kaum einer hat sich von ihm getäuscht oder überfahren gefühlt, auch wenn der Schwabe Jenninger durchaus robust zu argumentieren versteht und manchmal sogar von cholerischen Anflügen nicht frei war", so schrieb "Die Zeit" 1982 über Jenninger.
Besonders Helmut Kohl schätzte seine Fähigkeiten. Als Jenninger 1976 das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers aufgeben wollte, war es der damalige Unions-Fraktionsvorsitzende, der ihn zum Bleiben bewegte.
Jenninger wurde zum engen Vertrauten des Oppositionsführers. Schwabe und Pfälzer stehen sich nach "Wesen und Lebensart so nahe — bis hin zur Wertschätzung der kulinarischen Genüsse der Welt", so "Die Zeit". Selbst gefastet wurde in späteren Jahren gemeinsam in Österreich.
Nach der politischen Wende im Oktober 1982 holte Kohl seinen loyalen Duzfreund ins Kanzleramt: Jenninger wurde Staatsminister und war von da an für die Deutschlandpolitik zuständig. Eine Aufgabe, der er sich mit großem Einsatz widmete.
Fingerspitzengefühl bewies er zudem bei den Verhandlungen um einen 950-Millionen-DM-Kredit für die DDR, der im Juli 1984 zustande kam und mit dem Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen den beiden deutschen Teilstaaten erreicht wurden.
Als überraschend Ende Oktober 1984 Vorwürfe gegen Bundestagspräsident Dr. Rainer Barzel (CDU/CSU) im Zusammenhang mit der Flick-Parteispenden-Affäre erhoben werden, kam Jenningers Stunde: Am 5. November 1984 wählte ihn der Bundestag mit großer Mehrheit zum neuen Mann an der Spitze des Parlaments.
In seiner Antrittsrede demonstrierte er Bescheidenheit: "Der Erste in diesem Hause zu sein, bedeutet für mich nicht besondere Würde und Glanz, sondern vorbildliche Arbeit und Dienst für unser Volk." In diesem Sinne bemühte sich Jenninger um Parlamentsreformen. So führte der Bundestag unter seiner Ägide das Instrument der Regierungsbefragung ein. Um die Debatten lebendiger zu gestalten, wurde es den Abgeordneten zudem erlaubt, während einer Debatte nicht nur Zwischenfragen zu stellen, sie konnten nun auch mit Kurzinterventionen zu Wort zu kommen.
Beachtung fand Jenninger als Bundestagspräsident vor allem auch für seine Reisen nach Israel, zuletzt im Mai 1988. Es war nicht ohne Tragik, dass Jenninger nur wenige Monate später ausgerechnet mit einer Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht einen Skandal auslöste, der ihn zum Rücktritt zwang. In seiner 45-minütigen Ansprache bei einer Gedenkstunde im Bundestag am 10. November 1988 versuchte er eine Erklärung der historischen Ereignisse. Im gesprochenen Wort wurde jedoch — anders als bei einer Lektüre des Redetextes — die Distanzierung gegenüber dem Geschilderten nicht ausreichend deutlich, etwa wenn vom Nationalsozialismus als "Faszinosum" die Rede war.
Jenningers Integrität stand außer Frage, doch die heftigen Proteste in der Öffentlichkeit und im Kreis der Abgeordneten stellten seinen Verbleib im Amt des Bundestagspräsidenten infrage. Mit dem Bedauern, Gefühle verletzt zu haben, trat Jenninger am 11. November 1988 zurück. 1995 nannte der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" Jenningers Rede "über weite Strecken hervorragend", aber "rhetorisch miserabel gehalten". Ein Rücktritt sei aber — "wenn es nach uns gegangen wäre" — nicht notwendig gewesen.
Jenninger blieb bis zum Ende der Legislaturperiode Bundestagsabgeordneter. Doch die Enttäuschung über den mangelnden Rückhalt in seiner Partei veranlasste ihn schließlich, sich für die Bundestagswahl 1990 nicht mehr als Kandidat aufstellen zu lassen. Jenninger wechselte in die Diplomatie: 1991 ging er als deutscher Botschafter nach Wien, anschließend war er von 1995 bis zu seiner Pensionierung 1997 deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom.
Im Auswärtigen Amt schätzte man ihn wegen seiner "unaufdringlichen Lernbereitschaft, Sachlichkeit und Arbeitskraft", wie die Berliner Zeitung 1995 schrieb. Nur einmal noch schien Jenninger die Vergangenheit einzuholen: Der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages geriet in die Kritik, als er 1997 für die Präsidentschaft des Instituts für Auslandsbeziehungen kandidierte.
Jenninger lebt heute zusammen mit seiner Frau Ina, mit der er seit 1964 verheiratet ist und einen Sohn hat, in Stuttgart. (sas)