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Entschiedene Kritik an der politisch motivierten Inhaftierung von Oppositionellen, Bürgerrechtlern und kritischen Journalisten in Aserbaidschan kommt vom Europarat. Bei der Sommersession des Abgeordnetenhauses des Staatenbundes in Straßburg verabschiedete der Rechtsausschuss am Dienstag, 26. Juni 2012, mit der knappen Mehrheit von 26 gegen 22 Stimmen eine vom SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Strässer erstellte Resolution, in der die Freilassung all jener Inhaftierten gefordert wird, die nach den Kriterien dieser Kommission als politische Gefangene eingestuft werden. Eine genaue Zahl nennen die Rechtspolitiker nicht, doch verlangen sie von Baku eine rechtsstaatliche Überprüfung der Verurteilung von fast 90 Personen. Intern geht man im Straßburger Palais de l'Europe von rund 50 politischen Gefangenen aus. Strässer, der von der gesamten Bundestagsdelegation beim Europarat nachdrücklich unterstützt wurde, zeigte sich zufrieden, dass sein Bericht "in der Substanz akzeptiert wurde", auch wenn einzelne Punkte im Ausschuss keine Mehrheit fanden.
Strässer wurde vom Straßburger Parlament bereits 2009 zum Sonderbeauftragten für politische Gefangene in dem Land am Kaspischen Meer berufen, in dem Präsident Ilham Alijew mit großer Machtfülle ausgestattet ist. Die Erarbeitung des Berichts war von teils heftigen Konflikten mit der Regierung in Baku begleitet, man habe "erhebliche Schwierigkeiten" überwinden müssen, so der deutsche Abgeordnete. Er bedauerte, dass Aserbaidschan "nicht kooperiert hat".
Ein besonders heikler Punkt: Strässer wurde von Aserbaidschan ein Visum verwehrt, als er im Namen des Europarates die Lage vor Ort erkunden und dabei mit Gefangenen wie auch mit Bürgerrechtlern reden wollte. Diese Einreiseverweigerung war im Menschenrechtsausschuss des Bundestages auf harte Kritik gestoßen: Der Beauftragte des Staatenbunds müsse einen "ungehinderten Zugang zu den Hafteinrichtungen haben", verlangte seinerzeit das Berliner Gremium.
Nach der Abstimmung in Straßburg am Dienstag rief Strässer die Regierung in Baku auf, ihn nach den "Spielregeln des Europarats" einreisen zu lassen. Der SPD-Abgeordnete beklagte, dass es eine knappe Mehrheit im Rechtsausschuss abgelehnt hat, die Visumverweigerung durch Aserbaidschan zu kritisieren. "Das war keine Sternstunde", so Strässer, der konkret den Türken Mevlüt Cavusoglu angriff, zu dessen Amtszeit als Präsident des Europaratsparlaments er zum Sonderbeauftragten für politische Gefangene in Aserbaidschan ernannt worden war und der jetzt dagegen votiert habe, Baku wegen der Einreiseverweigerung zu kritisieren.
Nach der Menschenrechtscharta des Europarates darf es in dessen 47 Mitgliedsnationen keine politischen Gefangenen geben, und beim Beitritt zum Staatenbund im Jahr 2001 hat sich Baku verpflichtet, diesen Grundsatz zu beachten. Dieses Problem sei aber nach wie vor ungelöst, stellte Strässer am 26. Juni fest. Baku bestreitet indes die Existenz von Haftinsassen, die aus politischen Gründen einsitzen.
Bei ihrer Kritik stützen sich die Europaratsparlamentarier auch auf Recherchen von Bürgerrechtsgruppen wie Amnesty International oder Human Rights Watch, wobei deren Angaben allerdings auf Glaubwürdigkeit überprüft werden. Als Beispiel für ein politisch motiviertes Vorgehen der Justiz in Aserbaidschan gilt etwa die gerichtliche Vernehmung eines Fotografen, dem die Strafverfolger "Hooliganismus" bei einer unangemeldeten Demonstration vorwarfen.
Ein regierungskritischer Journalist saß vier Jahre im Gefängnis, bevor er von Staatschef Alijew begnadigt wurde. Ein anderes Beispiel aus Sicht von Amnesty ist ein Student, der nach kritischen Kommentaren auf Facebook und nach Demonstrationsaufrufen wegen "Drogenbesitzes" zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Oder ein Blogger mobilisiert im Internet für eine Demonstration und wird dann wegen "Rowdytums" belangt.
Der Rechtsausschuss beschloss auch die Definition eines politischen Gefangenen, "die nun für den Europarat verbindlich ist", so Strässer. Danach spricht man im Kern dann von politischen Häftlingen, wenn Bürger Grundrechte wie die Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit wahrnehmen und deshalb mit Geldstrafen belegt oder gar eingekerkert werden — und sei es, dass der Vorwurf krimineller Delikte wie Drogenbesitz, Verleumdung, Steuerbetrug, Rowdytum, Bestechung oder Erpressung als Vorwand für eine Verurteilung dient.
Wesentlich für die Europaratsabgeordneten ist auch die Frage, ob die Gerichtsverfahren nach rechtsstaatlichen Standards ablaufen. Strässer rief Baku auf, "keine Zeugenaussagen zu manipulieren". Wer hingegen aus politischen Motiven Terrorakte verübt und deshalb in den Knast wandert, wird vom Europarat nicht als politischer Gefangener eingeordnet.
In Einzelfällen hat internationaler Druck dazu geführt, dass Aserbaidschan politische Gefangene auf freien Fuß setzte. So kamen etwa zwei Internetblogger vorzeitig frei, nachdem mehrere Politiker bis hin zu US-Präsident Barack Obama in Baku interveniert hatten. Bei einem Besuch von US-Außenministerin Hillary Clinton am Kaspischen Meer wurde ein Oppositionspolitiker aus dem Gefängnis entlassen. Und just zur Sitzung des Straßburger Rechtsausschusses verfügte jetzt Präsident Alijew, dass neun von elf oppositionellen Demonstranten, die seit April 2011 wegen vermeintlichem "Hooliganismus" hinter Gittern saßen, wieder ihre Freiheit erhielten.
Strässer begrüßte diese Entscheidung des Staatschefs, der mehrere entsprechende Appelle des Europarats vorangegangen waren, verlangte aber zudem die Freilassung von zwei weiteren damals verurteilten Demonstrationsteilnehmern.
(kos)