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Vor zwei Jahren hat Annette Groth (Die Linke) für die palästinensisch-israelische Knesset-Abgeordnete Hanin Zoabi eine Patenschaft im Rahmen von "Parlamentarier schützen Parlamentarier" übernommen. Ziel des vom Bundestag 2003 gegründeten Programms ist es, internationale Öffentlichkeit für die Lage von Menschenrechtsaktivisten und Oppositionspolitikern zu erzeugen, die verfolgt oder von politischen Repressionen betroffen sind. Zoabi, der wegen ihrer Teilnahme an der umstrittenen Gaza-Friedensflotte parlamentarische Rechte entzogen wurden, muss fürchten, ihre israelische Staatsbürgerschaft zu verlieren.
Was Annette Groth und Hanin Zoabi gemeinsam haben? Auf den ersten Blick nicht viel — auf den zweiten allerdings umso mehr: Die eine ist evangelische Christin und studierte Soziologin, geboren im ostwestfälischen Gadderbaum und seit 2009 menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Die andere stammt aus Nazareth, ist Palästinenserin mit israelischem Pass, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin und sitzt 2009 für die linke Balad-Partei in der Knesset, dem israelischen Parlament. Was die Frauen eint, ist ihre Solidarität mit den Palästinensern und ihr Protest gegen die Blockade des Gaza-Streifens durch Israel.
So kreuzen sich die Wege der 54-jährigen Groth und der 43-jährigen Zoabi auf der "Mavi Marmara", jenem türkischen Schiff, das als Teil der "Gaza-Friedensflotte" am 31. Mai 2010 vom israelischen Militär gewaltsam daran gehindert wird, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. Neun Menschen sterben bei diesem Angriff, den beide Politikerinnen später als "Akt der Piraterie" geißeln.
Der Angriff der israelischen Marine löst international Bestürzung und Empörung aus, doch es gibt auch Stimmen, die die humanitären Absichten der Flotte infrage stellen und deren Initiatoren von der türkischen Hilfsorganisation IHH in die Nähe der radikal-islamischen Hamas rücken.
Während Annette Groth deswegen auch innerparteilich in die Kritik gerät, bringt die Teilnahme am Gaza-Hilfskonvoi Hanin Zoabi in eine Situation, die sie selbst als "Hexenjagd" beschreibt: Sie erhält Morddrohungen, wird in der Knesset als Verräterin und Terroristin, beschimpft, verliert schließlich im Juli 2010 parlamentarische Privilegien wie etwa ihren diplomatischen Pass.
Als der Innenminister Eli Jischai von der orthodoxen Schas-Partei die Staatsanwaltschaft offiziell prüfen lässt, ihr die politische Immunität und ihre israelische Staatsbürgerschaft zu entziehen, bekommt die Knesset-Abgeordnete unerwartete Unterstützung aus Deutschland: "Als ich von den Drohungen hörte, habe ich mich sofort an ,Parlamentarier schützen Parlamentarier’ gewandt und vorgeschlagen, Hanin Zoabi ins Programm aufzunehmen", sagt Groth, die Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist.
Seit zwei Jahren tritt die deutsche Parlamentarierin nun schon als Patin für die Palästinenserin auf. Das Ziel ist klar: "Ich möchte ihr den größtmöglichen Schutz durch Öffentlichkeit geben", sagt Groth.
Dafür nutzt die Abgeordnete zum einen ihre internationalen Kontakte, die sie unter anderem als Mitarbeiterin des UN-Flüchtlingshilfswerks in Genf gesammelt hat, zum anderen weist sie regelmäßig in auf Deutsch und Englisch verfassten Pressemitteilungen auf die Situation ihres Schützlings hin — ebenso wie auf die aus ihrer Sicht besorgniserregenden politischen Entwicklungen in Israel.
Vor allem die Ankündigung der israelischen Regierung, künftig nicht mehr mit dem UN-Menschenrechtsrat zusammenzuarbeiten, findet Groth bedenklich. "Alle zwei Jahre muss jedes Land einen Bericht über die Menschenrechtssituation abgeben. Dieser Bericht wäre für Israel 2013 fällig gewesen."
Die Besorgnis über die jüngsten politischen Entwicklungen teilen auch die anderen Mitglieder des Menschenrechtsausschusses im Bundestag: "Wir haben dem israelischen Botschafter in einem gemeinsamen Schreiben unsere Sorge zum Ausdruck gebracht und zu einem Gespräch eingeladen", sagt Groth. Dieses werde nach der Sommerpause stattfinden.
Auch Zoabi hat sie in den vergangenen zwei Jahren mehrmals zum Gespräch getroffen: Im letzten Jahr kam die Palästinenserin auf Einladung der Partei Die Linke nach Deutschland, um unter anderem in Berlin und Stuttgart über ihre Situation und die anderer arabischstämmiger Politiker in Israel zu berichten.
Zuletzt sei jedoch der Kontakt seltener geworden, sagt Groth. Aber das sei ein gutes Zeichen: "No news are good news. Wenn sie sich meldet, weiß ich, dass es brennt."
Wie schnell es plötzlich "brennen" kann, hat sie bereits erlebt. Im November 2011 bekommt Groth die Meldung, dass der Ethikrat der Knesset einen erneuten Anlauf nimmt, um Zoabi die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Der Auslöser: Die palästinensische Abgeordnete nimmt am dritten "Russel-Tribunal" in Kapstadt teil, einer Nichtregierungsorganisation, die untersuchen will, ob "die israelischen Praktiken gegen das Volk der Palästinenser das Apartheitsverbot des Völkerrechts verletzen".
Auch die Bundestagsabgeordnete ist beim Tribunal dabei. "Als ich hörte, was in der Knesset passiert, habe ich das Tribunal sofort informiert, dass Zoabi unter meinen Schutz steht", berichtet Groth. Daraufhin hätten die Veranstalter sofort Protestschreiben an die israelische und die südafrikanische Regierung verschickt — außerdem an die Regierungen aller Länder, aus denen die Jurymitglieder des Tribunals stammen, darunter die USA, Großbritannien und Spanien. "Dann wurde verhandelt. Es musste ja sichergestellt werden, dass Hanin wieder nach Israel einreisen kann, wenn sie aus Südafrika wegfliegt."
Der Protest zeigt Wirkung: Zoabi kann nach Israel zurückkehren. Die Gefahr des Verlusts der Staatsangehörigkeit ist gebannt. Allerdings nur für den Moment, denn dass sie vollends ausgestanden ist, glaubt Groth nicht.
Doch was kann sie tun, wenn die Knesset-Abgeordnete ihren israelischen Pass tatsächlich verliert? Groth sieht für einen Moment ratlos aus: "Das ist die offene Frage. So etwas ist zuvor noch nie ausgetestet worden. Ich meine aber, dass dann Außenminister Westerwelle im Programm aktiv werden und seine Kollegen davon in Kenntnis setzen muss, dass es so nicht geht. Das ist doch eine krasse Maßnahme, einem Menschen seine Staatsbürgerschaft zu entziehen!" (sas)