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Die derzeitige Ausgestaltung der Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen ist mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes) unvereinbar und nichtig. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag, 7. August 2012, verkündet (Aktenzeichen:2 BvC 1 / 11, 2 BvC 2 / 11). Die Entscheidung erging mit sieben zu eins Stimmen. Die Richterin Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolf gab ein Sondervotum ab.
Damit hat das höchste deutsche Gericht innerhalb von zwei Wochen zum zweiten Mal die Verfassungswidrigkeit von Regelungen des Bundeswahlgesetzes festgestellt. Am 25. Juli hatten die Karlsruher Richter die vom Bundestag mit Koalitionsmehrheit verabschiedete Wahlrechtsnovelle zum Sitzzuteilungsverfahren bei Bundestagswahlen verworfen.
Nach Paragraf 12 Absatz 2 des Bundeswahlgesetzes sind die im Ausland lebenden Deutschen wahlberechtigt, wenn sie vor ihrem Wegzug mindestens drei Monate ununterbrochen in Deutschland gewohnt haben oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten.
Geklagt hatten in Belgien geborene deutsche Staatsangehörige, die nie drei Monate ununterbrochen in Deutschland gewohnt hatten und daher an der Bundestagswahl 2009 nicht teilnehmen durften. Mit ihren Wahlprüfungsbeschwerden hatten sie gerügt, dass die Voraussetzung der vorherigen Sesshaftigkeit in der Bundesrepublik gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verstoße. Das Gericht unterstrich, dass der nun festgestellte "Wahlfehler" nicht zur Ungültigkeit der Bundestagswahl 2009 führt.
In seiner Begründung betont der Zweite Senat, dass der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl die aktive und passive Wahlberechtigung aller Staatsbürger verbürge. Für Beschränkungen dieses Grundsatzes gebe es daher nur einen engen Spielraum.
Als Beispiel für eine zulässige Beschränkung könne ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht gerechtfertigt sein, "wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht".
Die jetzige Regelung bewirke jedoch eine Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Auslandsdeutschen. Diejenigen, die einen dreimonatigen ununterbrochenen Aufenthalt in Deutschland nicht nachweisen könnten, dürften nicht wählen. "Diese Ungleichbehandlung ist nicht durch einen zureichenden Grund legitimiert", so das Gericht.
Die Anknüpfung der Wahlberechtigung allein an den früheren dreimonatigen Daueraufenthalt im Bundesgebiet verstoße gegen das Gebot, den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und die Kommunikationsfunktion der Wahl zu einem schonenden Ausgleich zu bringen, hießt es in der Begründung weiter. Mit dem Erfordernis des dreimonatigen Aufenthalts könne das Ziel des Gesetzgebers, Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik zu sichern, allein nicht erreicht werden.
Denn damit sei jenen Auslandsdeutschen die Wahlteilnahme erlaubt, die eine solche Vertrautheit nicht erlangen konnten, weil sie zum Zeitpunkt ihres Aufenthalts in Deutschland noch zu jung waren oder aber Deutschland vor so langer Zeit verlassen hatten, dass ihre damals erworbenen Erfahrungen den aktuellen politischen Verhältnissen nicht mehr entsprechen.
Das Erfordernis des dreimonatigen Aufenthalts führe dazu, dass Deutsche an Bundestagswahlen nicht teilnehmen können, die typischerweise mit den politischen Verhältnissen vertraut und von ihnen betroffen sind, wie etwa Auslandsdeutsche, die als "Grenzgänger" ihre Berufstätigkeit in Deutschland ausüben.
Schließlich hält das Gericht die Anknüpfung der Wahlberechtigung an einen vorherigen Aufenthalt im Bundesgebiet auch nicht für erforderlich, um die Entstehung ungleich großer Wahlkreise zu verhindern. Es sei nicht ersichtlich, weshalb dieses Ziel nicht mit weniger eingreifenden Zuordnungskriterien ebenso zuverlässig erreicht werden könnte.
In ihrem Sondervotum argumentierte die Richterin Lübbe-Wolff: Die Anforderung eines mindestens dreimonatigen Aufenthalts im Wahlgebiet könne als alleiniges Kriterium für ein "wahlrechtsrelevantes Kommunikationspotenzial" wenig einleuchten. Darauf komme es aber nicht an.
Es entspreche dem Sinn demokratischer Wahlen, die Wahlberechtigung nicht allein an die formelle Zugehörigkeit, sondern auch daran zu knüpfen, dass die Wählenden auf die politische Gestaltung eigener, nicht fremder Lebensverhältnisse Einfluss nehmen.
"Die Rechtfertigung für die Dreimonatsregel liegt darin, dass sie das dazu notwendige Mindestmaß an realer Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland wahren soll", betont die Richterin.
Die Dreimonatsregel berücksichtige, dass auch bei langjährig im Ausland wohnenden Deutschen noch Bindungen an Deutschland gegeben sein können und verhindere, dass das Wahlrecht sich über die Staatsangehörigkeit auf Personen vererbt, bei denen die Ausübung des deutschen Wahlrechts nur noch ein "Akt der Mitbestimmung über Andere" wäre. (vom)