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"Er wurde zu Grabe getragen, wie es keinem anderen Menschen dieses Landes widerfahren ist: Hunderttausende säumten die Straßen von Bonn nach Hannover, um den Trauer-Konvoi mit eigenen Augen zu begleiten", erinnerte sich "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein Jahre später an die überwältigende Anteilnahme der Menschen am Tod des großen Sozialdemokraten Kurt Schumacher. 57 Jahre alt war der charismatische Gegenspieler Konrad Adenauers (CDU), als er am 20. August 1952 an den Spätfolgen seiner jahrelangen KZ-Haft starb.
Viel ist darüber spekuliert worden, wie die bundesrepublikanische Geschichte wohl verlaufen wäre, wenn die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Schumacher die Wahlen zum ersten deutschen Bundestag am 14. August 1949 gewonnen hätte. Dass sie damals der CDU unter Adenauer unterlegen war, hatte viele überrascht. Immerhin war es dem gebürtigen Westpreußen Schumacher nach 1945 rasch gelungen, die SPD von Hannover aus wieder aufzubauen: rund 700 000 Mitglieder zählte die Partei im Wahljahr 1949; davon konnte die CDU, die sich bundesweit noch nicht einmal als Partei etabliert hatte, nur träumen.
Und während Schumacher die unangefochtene Führungsfigur der westdeutschen Sozialdemokratie war und aufgrund seines Widerstands gegen die Nationalsozialisten weithin bewundert und respektiert wurde ("Der ganze Nationalsozialismus ist nichts anderes als der dauernde Appell an den inneren Schweinehund im Menschen", hatte er als Abgeordneter im Februar 1932 im Reichstag den Nazis entgegen geschleudert, die ihn dafür zehn Jahre ins KZ sperrten), waren Adenauers Person und seine politischen Ambitionen außerhalb des Rheinlandes weit weniger bekannt.
Doch im Wahlkampf 1949 zeigte sich, dass vor allem Schumachers wirtschaftspolitische Ziele – Planwirtschaft und die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien – bei vielen Deutschen auf Ablehnung stießen. Das Ergebnis der Wahlen jedenfalls war für die Sozialdemokraten ernüchternd: Sie kamen auf gerade einmal 29,2 Prozent der Stimmen, während die CDU/CSU 31 Prozent der Stimmen errang und mit der FDP und der DP (Deutsche Partei) ein Regierungsbündnis schloss.
"Die Stimmen sind gezählt. Die Würfel über die Sozialisierung sind gefallen. 246 mit Gewissheit sozialisierungsfeindliche Kandidaten sitzen im Bundestag 146 Sozialisten gegenüber", schrieb "Der Spiegel" kurz nach der Wahl. Und prophezeite: "Die erste verlorene Sozialisierungsschlacht auf westdeutscher Ebene wird auch die letzte sein."
Adenauer wurde erster Bundeskanzler, Schumacher erster Oppositionsführer im Bundestag – eine Rolle, die er stets konstruktiv begriff. Denn neben der Kritik an der Bundesregierung, an der der brillante, aber auch zuweilen ätzende Rhetoriker nicht sparte, ging es ihm in der Opposition vor allem darum, politische Gegenkonzepte zum Regierungshandeln zu entwickeln.
An Adenauer kritisierte Schumacher dessen Bekenntnis zur Westbindung scharf, da er dadurch eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands gefährdet sah. So warf er dem Rhöndorfer während einer stundenlangen Debatte im November 1949 im Bundestag vor, der "Bundeskanzler der Alliierten" zu sein, weil der "Alte" mit den West-Alliierten einen Beitritt der Bundesrepublik zur Internationalen Ruhrbehörde ohne eine Abstimmung im Bundestag vereinbart hatte. Wegen dieses Zwischenrufs wurde Schumacher vom damaligen Bundestagspräsidenten Erich Köhler (CDU) für mehrere Sitzungstage aus dem Bundestag verbannt.
Gesundheitlich ging es dem Kriegsinvaliden (als Kriegsfreiwilliger hatte Schumacher im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren) in diesen Jahren immer schlechter. Im September 1948 musste sein linkes Bein amputiert werden – eine Spätfolge der jahrelangen KZ-Haft.
Sein Tod am 20. August 1952 kam dennoch für viele überraschend – wohl auch deshalb, weil er bis zu seinem frühen Ende mit aller Leidenschaft für seine politischen Überzeugungen gestritten hatte. (nal)