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Die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats häufig geübte Kritik an der Missachtung freiheitlich-rechtsstaatlicher Standards in Russland läuft aus Sicht des CDU-Abgeordneten Joachim Hörster keineswegs ins Leere. Dieses Straßburger Engagement mit seiner öffentlichen Wirkung sei für Moskau "höchst unangenehm", so Hörster im Interview. Die "unbefriedigende Situation in Russland" (Hörster) gehört zu den zentralen Themen der Herbsttagung des Europaratsparlaments vom 1. bis 5. Oktober 2012 in Straßburg. Hörster ist Leiter der Bundestagsdelegation. Das Interview im Wortlaut:
Ein zentrales Thema der Sitzung ist die Lage in Russland. Der Prozess gegen die Punk-Band Pussy Riot oder das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten scheinen zu belegen, dass sich Präsident Wladimir Putin von internationalen Protesten nicht beeinflussen lässt. Ist das Engagement des Europaratsparlaments ein Kampf gegen Windmühlen?
Zur Frage, ob Pussy Riot als Vorkämpfer für die Demokratie gelten kann, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Eines aber ist klar: Die gegen die Band verhängten Strafmaßnahmen sind völlig überzogen und unverhältnismäßig, das muss deutlich gerügt werden. Auch ansonsten werden in Russland freiheitlich-rechtsstaatliche Standards missachtet. Aus meiner Sicht läuft das Engagement des Europaratsparlaments auf diesem Feld keineswegs ins Leere. Für die Moskauer Delegation in Straßburg ist es höchst unangenehm, dass die kontinuierliche Überprüfung durch unser Parlament und Inspektionsreisen unserer Berichterstatter kritische Debatten in der Öffentlichkeit auslösen. Das verfehlt seine Wirkung nicht.
Der für die Plenardebatte erarbeitete Bericht mutet erstaunlich milde an. Zwar werden die Einschränkung der Medienfreiheit, die Drangsalierung der Opposition oder der Einfluss der Staatsmacht auf die Justiz kritisiert. Doch es gibt auch Lob, etwa zur Reform des Parteien- und Wahlgesetzes oder zu Neuerungen in der Justiz. Sieht es doch nicht so schlimm aus?
Es ist eine alte Frage, ob ein Glas halb voll oder halb leer ist. Der Bericht will kein Schwarz-Weiß-Bild malen und an Moskau die Botschaft vermitteln, dass bei entsprechendem Willen Fortschritte durchaus möglich sind. Ein gewisses Maß an Diplomatie kann ja nichts schaden. Aber die Würdigung einiger positiver Tendenzen mindert nicht die Kritik, und das wird auch in dem Bericht deutlich. Die Situation in Russland ist nach wie vor unbefriedigend.
Vor dem Europaratsparlament will Duma-Präsident Sergej Naritschkin auftreten. Muss er mit harter Kritik rechnen oder wird man sie diplomatisch-höflich in Watte packen?
Naritschkin dürfte einige Fehler und Versäumnisse einräumen und Besserung in Aussicht stellen, auch um der kritischen Stimmung in unserer Versammlung Rechnung zu tragen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass sich der Duma-Präsident einer ernsthaften kritischen Hinterfragung der russischen Politik stellen muss. Das entspräche nicht den Gepflogenheiten im Europaratsparlament bei Promi-Auftritten. Allerdings hängt das auch davon ab, welche Abgeordneten sich zu Wort melden, vielleicht gibt es ja Überraschungen.
Die Parlamentarier wollen klären, wie politische Gefangene zu definieren sind. Dahinter verbirgt sich ein Konflikt mit Aserbaidschan: Baku bestreitet die Existenz politischer Gefangener, deren Freilassung der Europarat verlangt. Gibt es dort politische Gefangene oder nicht?
Nach der Definition des Europarats sind in Aserbaidschan Bürger aus politischen Gründen inhaftiert, und so etwas ist unvereinbar mit rechtsstaatlichen Standards. Die entsprechenden Kriterien hat der Rechtsausschuss unseres Parlaments auf der Grundlage eines Berichts des deutschen Abgeordneten Christoph Strässer verabschiedet. Allerdings ging diesem Beschluss ein heftiger Streit voraus, wobei die Delegierten aus Baku etwa von Russen und Türken unterstützt wurden. Strässer hatte einen sehr schweren Stand. In dieser Auseinandersetzung ist viel Feuer drin.
Im Rechtsausschuss wurde die Forderung nach Freilassung der politischen Gefangenen in Aserbaidschan nur mit knapper Mehrheit beschlossen. Wie wird das im Plenum laufen?
Das ist ohne Zweifel das konfliktträchtigste Thema der Sitzungswoche. Im Rechtsausschuss wurde sogar mit allerlei Tricks gearbeitet, so sollen beispielsweise zwei Aseris und ein Russe mitgestimmt haben, die dazu nicht stimmberechtigt waren. Mit so etwas ist im Plenum nicht zu rechnen, gleichwohl wird es eine heiße Debatte geben. Der Ausgang der Abstimmung ist offen, wobei ich letztlich eine Mehrheit für das Verlangen nach Freilassung der politischen Gefangenen erwarte.
Ein Thema wird die Beachtung von Grundrechten in der Außenpolitik sein. Nun hat die EU den Griechen Stavros Lambrinidis zum Menschenrechtsbeauftragten für die EU-Außenpolitik ernannt. Dies wird beim Europarat kritisiert, weil Menschenrechtspolitik doch dessen Domäne ist. Wildert Brüssel auf Straßburger Terrain? Es gibt ja auch noch die EU-Grundrechteagentur in Wien.
Entgegen der Mehrheitsmeinung im Europaratsparlament kann ich diesem Schritt der EU durchaus Positives abgewinnen. So lange Straßburg seinerseits keine konsequente Menschenrechtspolitik verfolgt, kann es nichts schaden, wenn sich auch außerhalb des Europarats Institutionen um dieses Thema kümmern. Wenn es um die Durchsetzung freiheitlich-rechtsstaatlicher Standards geht, sind leider auch bei unserer Parlamentarischer Versammlung Defizite zu verzeichnen, etwa gegenüber Russland oder Aserbaidschan. Der Europarat ist gefordert, erst einmal selbst mehr Nachdruck in der Menschenrechtspolitik zu entwickeln.
(kos/28.09.2012)