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Die deutsche Wirtschaft hat gegen die Ausweitung der Versicherungsteuer protestiert und der Bundesregierung vorgeworfen, die Energiewende zu konterkarieren. Außerdem wurden ökologische Bedenken gegen die geplante steuerliche Förderung von Elektroautos laut. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses unter Vorsitz von Dr. Birgit Reinemund (FDP) am Montag, 15. Oktober 2012, warnten die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme davor, die Versicherungsteuer in Höhe von 19 Prozent künftig auch in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (das ist die Zone seewärts der Zwölf-Seemeilen-Grenze bis zu 200 Seemeilen zur Küste) zu erheben.
Dies führe zu einer erheblichen zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung der ohnehin sehr kostenintensiven Errichtung und des Betriebes von Offshore-Windanlagen: "Diese rein fiskalisch motivierte Neuregelung konterkariert damit Vorhaben, die den Zielen der von der Bundesregierung forcierten Energiewende dienen, nämlich die Stromerzeugung durch deutsche Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee."
Die Ausweitung der Versicherungsteuerpflicht auf das offene Meer ist in dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsteuergesetzes und des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (17/10039) enthalten. Dagegen protestierte auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): "Eine zusätzliche steuerliche Belastung der hohen Risiken des Baus und des Betriebs von Offshore-Windparks konterkariert die Ziele der Energiewende."
Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft hielt mit dem Argument der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dagegen. Ein Verzicht auf die Erhebung der Versicherungsteuer in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone würde zu Einnahmeverlusten beim Staat führen.
Ein Schwerpunkt des Gesetzentwurfs ist die Befreiung von Personenkraftwagen, Nutzfahrzeugen, Leichtfahrzeugen und Krafträdern für zehn Jahre von der Kraftfahrzeugsteuer, wenn sie reine Elektrofahrzeuge sind. Die Befreiung soll für alle vom 18. Mai 2011 (Datum des Kabinettsbeschlusses zur Elektromobilität) bis zum 31. Dezember 2015 zugelassenen Fahrzeuge gelten. Fahrzeuge, die im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 erstmals zugelassen werden, sollen wieder wie bisher schon für den Zeitraum von fünf Jahren von der Steuer befreit werden.
Die Deutsche Umwelthilfe bezeichnete die Steuerbefreiung in ihrer Stellungnahme als nicht zielführend. Zur ökologischen Bewertung der einzelnen Formen der Elektromobilität fehle die Berücksichtigung der Gesamt-Kohlendioxidbilanz der verschiedenen Antriebstechnologien: "Legt man den aktuellen Strommix in Deutschland zugrunde, erzeugt eine Kilowattstunde Emissionen in Höhe von circa 566 Gramm Kohlendioxid." So sei nicht einzusehen, warum zukünftig Elektro-Sportwagen oder -SUVs (Sport Utility Vehicles) mit einem spezifischen Ausstoß von mehr als 200 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ebenso gefördert werden sollen wie elektrisch betriebene Mittelklasse-Pkw oder Kleinwagen.
Selbst kleine E-Autos seien "nicht signifikant klimafreundlicher als vergleichbare spritsparende Modelle mit konventionellem Antrieb". Ähnlich argumentierte der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sich für einen "ambitionierten" Kohlendioxid-Grenzwert aussprach. Das würde auch Hybrid-Fahrzeugen helfen. Dagegen begrüßte der Verband der Automobilindustrie (VDA) die Steuerbefreiung. Er regte an, den Befreiungszeitraum zu verlängern.
Massive Kritik übten Sachverständige an einigen Vorschriften zur Sicherung des Steueraufkommens. So sollen tatsächlich getragene Selbstbehalte bei Kfz-Haftpflichtversicherungen steuerpflichtig sein. Die Vorschrift betrifft nach Angaben der Bundesregierung überwiegend Großkunden mit Fahrzeugflotten.
Der VDA sprach von einer "Phantombesteuerung", und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erkannte einen "Verstoß gegen fundamentale Grundsätze der Versicherungsteuer als Verkehrssteuer, da tatsächlich kein Risiko übernommen wird und kein Geldumsatz stattfindet".
Der Verband deutscher Versicherungsmakler erläuterte, es könne im Schadensfall zu einer Doppelbelastung des Versicherungsnehmers kommen: "Der Versicherungsnehmer muss den Schaden bis zur Höhe des Selbstbehaltes selbst tragen und ausgerechnet dann noch zusätzlich Versicherungsteuer entrichten."
Der Deutsche Bauernverband protestierte gegen eine Bestimmung, nach der die bisherige Verwaltungsauffassung festgeschrieben werden soll, auf Ernte-Mehrgefahrenversicherungen den vollen Steuersatz von 19 Prozent zu erheben. Der Verband erläuterte, dass bisher auf eine Hagelversicherung von 350.000 Euro bei 2.000 Euro Versicherungsprämie 70 Euro Steuern fällig würden.
Eine Ausweitung der Versicherung auf andere Schäden wie zum Beispiel Sturm oder Früh- und Spätfrost würde 17.500 Euro Prämien kosten und 3.325 Euro Steuer. Die Steuer erhöhe sich 50 Mal so stark wie die Prämie. Auch der GDV erklärte, die agrarpolitisch wünschenswerte Ernte-Mehrgefahrenversicherung könnte in Deutschland nicht zu akzeptablen Preisen angeboten werden. (hle/15.10.2012)