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Die privaten Krankenversicherungen haben Änderungen bei der Umsetzung des Unisex-Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) verlangt, um bei der geschlechtsunabhängigen Erstkalkulation von Versicherungstarifen nicht so hohe Sicherheiten einrechnen zu müssen, "die zu unnötig hohen Beiträgen führen" würden. Der EuGH hatte nach Geschlecht unterschiedlich hohe Beiträge untersagt. In einem öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses unter Vorsitz von Dr. Birgit Reinemund (FDP) am Mittwoch, 17. Oktober 2012, erklärte der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV), die Bestandszusammensetzung sei im Zeitpunkt der Kalkulation des Tarifs nicht vorhersehbar. Da die Unternehmen erst spät auf Bestandswanderungen durch Beitragsanpassungen reagieren könnten, würden sie gezwungen, "von vornherein ein höheres Sicherheitsniveau, das heißt letztlich höhere Unisex-Beiträge, zu fordern".
Diese Beitragssätze würden "tendenziell eher im Bereich der Frauen-Beiträge" liegen. Frauen müssen bisher in der Krankenversicherung höhere Beiträge zahlen als Männer. Mit einer Änderung der Beitragsanpassungsklausel könnten auch die "tendenziell sprunghaften, im Einzelfall auch sozialpolitisch kritischen Beitragsanstiege" geglättet werden, so der PKV.
Bei dem Fachgespräch ging es um vier Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion zum SEPA-Begleitgesetz zu Banküberweisungen und Lastschriften (17/10038). Die Änderungsanträge beinhalten Regelungen aus dem Entwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (17/9342), der nicht mehr rechtzeitig verabschiedet werden kann. Grund ist, dass auf europäischer Ebene keine Einigung über die Solvency-II-Rahmenrichtlinie erzielt werden konnte, mit der die Kapitalausstattung der Versicherer verbessert werden soll.
In den Änderungsanträgen geht es unter anderem auch um die Umsetzung des "Unisex-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs. Danach müssen vom 21. Dezember 2012 alle Tarife in der privaten Krankenversicherung geschlechtsunabhängig kalkuliert werden. Für die vor dem 21. Dezember 2012 geschlossenen Verträge bleibt es dagegen bei der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Rechtslage.
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßte die "rechtssichere Umsetzung des Unisex-Urteils". Es müsse aber klargestellt werden, dass die Regelung auch für die betriebliche Altersversorgung gelten soll. Darauf wies auch Prof. Dr. Christan Armbrüster (Freie Universität Berlin) hin.
Die Deutsche Aktuarvereinigung lobte die Umsetzung des EuGH-Urteils und zudem, "dass gleichzeitig wesentliche Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit der deutschen Lebensversicherung noch im Jahr 2012 ergriffen werden".
Dabei geht es unter anderem um die Anpassung der Regelungen zur Bewertungsreservenbeteiligung aus festverzinslichen Wertpapieren. Der GDV erläuterte in seiner Stellungnahme, dass den Versicherten derzeit bei Beendigung eines Vertrags ein Teil der Reserven zusteht, die sich aus der Differenz zwischen Marktwert und Buchwert der Papiere ergeben. In einer Niedrigzinsphase wie jetzt führe dies dazu, dass die Versicherungen Wertpapiere mit hohen Zinsrenditen verkaufen müssten und zu 50 Prozent an abgehende Verträge auszuzahlen hätten. "Und das, obwohl eine Wiederanlage nur zu einem viel niedrigeren Zinssatz – der aktuell sogar unter dem Garantiezins liegt – möglich ist", kritisierte der GDV.
Das sei nicht nur eine Benachteiligung der verbliebenen Versicherungsverträge, sondern schwäche auch die Risikotragfähigkeit der Unternehmen. Die jetzt vorgesehenen Änderungen stellten einen fairen Interessenausgleich zwischen abgehenden und verbleibenden Verträgen her.
Als "nicht haltbar" bezeichnete dagegen die Finanzjournalistin Barbara Sternberger-Frey (Öko-Test) die zur Begründung herangezogene Niedrigzinsphase auf den Finanzmärkten, auch wenn die Lage der Branche nicht einfach sei: "Gerade die Bewertungsreserven bei Festverzinslichen sind keine feste Größe, vielmehr schwanken sie im Zeitablauf und je nach Zinsentwicklung am Kapitalmarkt stark."
So sei die Beteiligung der Kunden aufgrund abgeschmolzener Bewertungsreserven in diesem Jahr bereits deutlich rückläufig. Mit der Änderung falle man hinter das zurück, was das Bundesverfassungsgericht seinerzeit gefordert hatte.
Auch der Bund der Versicherten widersprach der Versicherungswirtschaft und lehnte die Änderung ab. Die meisten Lebensversicherungsverträge würden vor Ablauf gekündigt, bei einer Laufzeit von 35 Jahren etwa 75 Prozent aller Verträge. "Demnach trifft die ausgeführte Argumentation nur für eine Minderheit der Verbraucher zu. Die Mehrheit der Verbraucher wird jedoch schlechter gestellt, indem sie nicht an den aus ihren Prämien gebildeten Bewertungsreserven beteiligt werden."
Für Prof. Dr. Hermann Weinmann (Hochschule Ludwigshafen) hat die Versicherungsbranche ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie die Bewertungsreserven gegenüber den Kunden nicht ausweise. Bewertungsreserven und Überschussbeteiligung seien zusammen zu sehen: "Es geht also um die Notwendigkeit der Verbesserung der Informationsgrundlagen während der Vertragslaufzeit und insbesondere bei Vertragsende beziehungsweise im Rentenbezug", sagte Weinmann. (hle/17.10.2012)