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Vertreter der schwarz-gelben Regierungskoalition und der drei Oppositionsfraktionen haben im Bundestag zu einem entschiedenen Eintreten gegen jede Form von Antisemitismus in Deutschland aufgerufen. Antisemitismus berühre "die Grundfesten unserer Demokratie, unserer Freiheit, unseres Zusammenlebens", sagte Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch, 17. Oktober 2012, in der Debatte über den Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, der von der Bundesregierung als Unterrichtung (17/7700) vorgelegt wurde. Der Kampf gegen Extremismus sei "Aufgabe dieses Staates und dieser Gesellschaft in gemeinsamem Zusammenwirken".
In ihrem Bericht zeigen die Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen auf, dass "in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in erheblichem Umfang antisemitische Einstellungen in unterschiedlichen inhaltlichen Ausprägungen vorhanden sind, die wiederum auf weitverbreiteten Vorurteilen und tief verwurzelten Klischees beziehungsweise auf schlichtem Unwissen über Juden und Judentum basieren".
In dem Bericht kritisieren die Autoren, dass die gegen den Antisemitismus unternommenen Maßnahmen je nach Trägerorganisation "weitgehend uneinheitlich und unkoordiniert erfolgen" und eine umfassende Strategie gegen Antisemitismus in Deutschland bislang "nicht existiert".
Nach Einschätzung der Wissenschaftler weisen heute etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland antisemitische Tendenzen auf. Dabei gilt "das rechtsextremistische Lager als nach wie vor wichtigster Träger des Antisemitismus" in der Bundesrepublik, wie der Expertenkreis in seinem Bericht schreibt.
Während der Antisemitismus im rechtsextremen Spektrum zum konstitutiven Bestandteil der Ideologie und des Lagerzusammenhaltes gehöre, sei dies beim Linksextremismus nicht der Fall. Trotzdem gebe es auch unter Linksextremisten "Positionen, die einen antisemitischen Diskurs befördern können".
Friedrich erinnerte in der Debatte an den Überfall auf den Rabbiner Daniel Alter in Berlin von Ende August. Dieser Überfall sei ein "Handlungsauftrag" gewesen, "sicherzustellen, dass es kein Stadtviertel in irgendeiner Stadt dieses Landes geben darf, in dem Menschen um ihre Sicherheit oder gar um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie sich zu einer bestimmten Religion bekennen oder weil sie eine bestimmte Hautfarbe haben oder weil sie als ‚anders‘ erkennbar sind".
Der Minister betonte zugleich, dass man die in dem Bericht der Experten enthaltenen Empfehlungen "sorgfältig prüfen" werde und auch umsetzen, "soweit sie sinnvoll, notwendig und finanzierbar sind und nicht schon durchgeführt sind". Er plädierte zudem dafür, den Bericht mindestens einmal pro Wahlperiode zu aktualisieren.
Bundestagsvizepräsident Dr. Wolfgang Thierse (SPD) wertete den Überfall auf den Rabbiner als ein Beispiel des "alltäglichen Antisemitismus in Deutschland". Er mahnte, gemeinsam Konsequenzen aus dem Bericht zu ziehen. Der Kampf gegen Antisemitismus sei "Sache aller Demokraten, aller Anständigen im Lande". Interfraktionell sei beschlossen worden, regelmäßig Berichte über Antisemitismus in Deutschland erstellen zu lassen.
In jeder Legislaturperiode solle der Bundestag über einen solchen debattieren. Antisemitismus sei "eingebettet in und Teil von Rechtsextremismus, Rassismus, Islamismus, Israel-Feindschaft, Minderheitenfeindlichkeit". Thierse forderte zugleich eine "Verstetigung der Bundesprogramme" gegen Extremismus. Da "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus" andauernde Probleme seien, bedürfe es auch einer dauerhaften Bekämpfung.
Für Die Linke beklagte Thierses Amtskollegin Petra Pau, es gebe immer mehr Initiativen gegen Antisemitismus, "die finanziell ausbluten, weil sie bundespolitisch allein gelassen werden". Sie forderte, gesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus "verlässlich" zu fördern. Auch müsse das gesellschaftliche, wissenschaftliche und staatliche Engagement gegen Antisemitismus "endlich koordiniert" werden.
"Gegen Antisemitismus" heiße primär "gegen Rechtsextremismus", doch belege der Bericht, dass es Judenfeindlichkeit "quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und auch politischen Lager" gebe. Antisemitismus müsse parteiübergreifend geächtet werden. Auch müsse man viel mehr zur Prävention tun.
Der Grünen-Parlamentarier Volker Beck mahnte, man müsse offensiv etwas dagegen setzen, dass Antisemitismus "Teil unseres Alltags" sei. An die Bundesregierung richtete er die Frage, welche der Empfehlungen des Expertenkreises sie wann und wie umsetzen wolle. Man müsse sich "als Fraktionen und Bundesregierung zusammensetzen und gucken, wie wir diese Dinge auf den Weg bringen", fügte Beck hinzu.
Dazu gehöre für ihn auch die Beseitigung der sogenannten Extremismusklausel. Auch dürften Projekte, die vor Ort arbeiten, "nicht in einer Projektfinanzierung von drei Jahren" hängen "und danach ist Schluss". Notwendig sei eine nachhaltige Gegenstrategie, da man nicht davon ausgehen könne, "dass nach drei Jahren Projektarbeit das Problem gelöst ist".
Der FDP-Abgeordnete Dr. Stefan Ruppert betonte, er sei ein Anhänger von "Extremismusbekämpfungsprogrammen", doch sei dies ein "sehr punktueller Ansatz". Am Ende werde "das Problem nur durch die Gesamtheit der Bürger- und Zivilgesellschaft zu schultern sein" und nicht "durch einzelne Programme, so wichtig sie auch sind".
Man müsse sich dem Phänomen des Antisemitismus jeden Tag neu stellen. Dieses Phänomen sei auch in bürgerlichen Teilen der Gesellschaft verwurzelt und müsse auch dort wirksam bekämpft werden, argumentierte Ruppert, der zugleich für eine Fortschreibung des Berichts plädierte.
Der CSU-Parlamentarier Dr. Hans-Peter Uhl sagte mit Blick auf die Vorschläge des Expertenkreises, man sei "etwas zögerlich", wenn es darum gehe, konkrete Projekte auf Bundesebene zu starten. Es sei vielmehr Aufgabe der Kommunen, hier den Antisemitismus zu bekämpfen.
"Wir sollten assistieren" und "alles dazu beitragen, was man tun kann", fügte Uhl hinzu. Notwendig sei, dort zivilgesellschaftlich tätig zu werden, wo Antisemitismus "immer wieder aufflackert". Auch müsse man für Aufklärung in den Schulen sorgen und in den Ländern vielleicht die Lehrerausbildung verbessern. (sto/17.10.2012)