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Immer mehr junge Menschen finden eine Ausbildungsstelle, und immer weniger bleiben im sogenannten Übergangssystem nach der Schule hängen. Dennoch kritisierte die Opposition in der Debatte zur Ausbildungspolitik am Donnerstag, 18. Oktober 2012, die Lage auf dem Ausbildungsmarkt heftig. In Deutschland würden von den rund 540.000 Bewerbern für eine Ausbildung rund 30 Prozent der jungen Menschen im Übergangssystem zwischen Schule und Beruf verharren.
Das sei "nicht erträglich", sagte Willi Brase (SPD). Dass die Zahl nicht noch höher sei, sei nicht das Ergebnis politischer Maßnahmen, sondern "ein Produkt der demografischen Entwicklung", argumentierte Brase und stützte sich damit in Teilen auch auf den Berufsbildungsbericht 2012 der Bundesregierung (17/9700). Das Mitglied des Bildungsausschusses kritisierte, dass es zu viele unübersichtliche Maßnahmen im Übergangssystem gebe, das jährlich sechs Milliarden Euro koste.
Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan (CDU) konterte diesen Vorwurf: Verglichen mit 2010 sei die Zahl derjenigen, die nach der Schule keine Ausbildung finden, um 5,7 Prozent zurückgegangen. Sie wolle auch in Zukunft diese sogenannten Altbewerber mit verschiedenen Maßnahmen zum Einstieg in die berufliche Bildung unterstützen.
Grundsätzlich lobte Schavan das duale Ausbildungssystem in Deutschland. Es erlebe gerade international eine grundsätzliche Zustimmung und Akzeptanz wie nie zuvor. Länder wie China, Indien und zahlreiche europäische Staaten würden sich neuerdings für das duale Bildungssystem interessieren. Dabei spiele die im Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland eine große Rolle.
In Zukunft sei es zentral, wie es angesichts von technologischer Entwicklung und steigender Anforderungen von Unternehmen gelinge, qualifizierte Faschkräfte zu bekommen. Schavan kündigte an, eine europäische Berufsbildungskonferenz in Berlin zu veranstalten. Ihr gehe es dabei nicht nur darum zu thematisieren, wie man in Deutschland ausbildet, sondern um den Export des dualen Systems, also der Beantwortung der Frage, wie das System in andere Kulturen und Gesellschaften eingebaut werden kann.
Zudem ging Schavan auf den jetzt schon in einigen Branchen bestehenden Fachkräftemangel ein, der sich noch verstärkten dürfte. Sie erinnerte daran, dass die Bundesagentur für Arbeit bis zum Jahr 2025 in Deutschland mit einem Rückgang der Erwerbstätigen um 6,5 Millionen Menschen rechnet. "Deshalb müssen wir erreichen, dass die Unternehmen in unserem Land Fachkräfte bekommen."
Gerade in der Fläche sei das zunehmend ein Problem. Es müssten dort mehr Ausbildungsstätten geschaffen werden. Denn schon jetzt würden Unternehmen Ausbildungsstellen anbieten, die nicht besetzt würden. Zudem verwahrte sie sich dagegen, über die schon 360 bestehenden Ausbildungsberufe weitere zuzulassen.
Unterstützt wurde die Ministerin von Heiner Kamp (FDP). Er sagte: "Never touch a running system." Die Opposition solle nicht an den Zahnrädern des gut funktionierenden Ausbildungssystems in Deutschland herum stellen. Allein im vergangenen Jahr sei die Zahl der betrieblichen Ausbildung um vier Prozent gestiegen.
Agnes Alpers (Die Linke) ging vor allem auf die 2,2 Millionen jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ein, die gar keine Ausbildung erhalten. Nur noch 22,5 Prozent der Betriebe würden ausbilden, weil gerade bei Kleinbetrieben der Druck für die Betriebe groß sei. Jeder Auftrag müsse schnell und fachgerecht ausgeführt werden, niemand habe Zeit, den Lehrlingen etwas beizubringen, es gebe keine Ausbilder. Alpers forderte ein Recht auf Ausbildung in Deutschland.
Deutliche Worte fand Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). 2,2 Millionen Menschen in der Gruppe der 20 bis 34-Jährigen ohne Ausbildung nenne der Deutsche Gewerkschaftsbund bereits "Generation abgehängt", sagte der Sprecher für Bildung- und Hochschulpolitik. "Was tun Sie für die 2,2 Millionen ohne Berufsabschluss, die sich weder in einer Maßnahme noch in Ausbildung befinden?", fragte Gehring in der Debatte. Auch ging er auf die Gruppe der Menschen im Übergangssystem ein. Dabei verteidigte er das Modell DualPlus, das die Grünen erarbeitet haben. Es wird jedoch von einigen Fachleuten und Teilen der Regierungskoalition als nicht praxistauglich und umsetzbar angesehen.
DualPlus soll nach den Vorstellung der Grünen gerade solchen Jugendlichen die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen, die bisher als nicht "ausbildungsreif" oder "ausbildungsfähig" eingestuft worden sind oder aus anderen Gründen am Arbeitsmarkt schlechte Chancen haben. Gehring sagte: "DualPlus garantiert individuelle Förderung, bringt Betriebe und Bewerber zusammen und fügt sich in die unterschiedlichen Gegebenheiten der Bundesländer ein. DualPlus gestaltet diesen ineffizienten Übergangsdschungel zu einer echten Eingangsphase der beruflichen Ausbildung für alle Jugendlichen."
Der eineinhalbstündigen Debatte lagen Anträge von CDU/CSU und FDP "Das Deutsche Berufsbildungssystem – Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel" (17/10986), der SPD "Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung" (17/10116), der Linksfraktion "Perspektiven für 1,5 Millionen Menschen ohne Berufsabschluss schaffen – Ausbildung für alle garantieren" (17/10856) und von Bündnis 90/Die Grünen "Mit DualPlus mehr Jugendlichen und Betrieben die Teilnahme an der dualen Ausbildung ermöglichen" (17/9586) zugrunde.
Die Anträge wurden zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. (rol/18.10.2012)