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Der SPD-Abgeordnete Prof. Dr. Karl Lauterbachgab in der Plenardebatte am Donnerstag, 25. Oktober 2012, zum Thema Praxisgebühr für seine Fraktion gleich zu Beginn ein klares Votum ab: "Die Praxisgebühr gehört abgeschafft." Die Erwartung der Koalition, dass man damit die Zahl der Arztbesuche pro Patient verringern könnte, habe sich nicht erfüllt. Als seinerzeit über deren Einführung diskutiert worden sei, habe die Union noch viel mehr gewollt: "Horst Seehofer befand sich damals in einem regelrechten Zuzahlungsrausch und wollte eine Zuzahlung für jeden Praxisbesuch", sagte Lauterbach.
Die Bedenken, die die SPD schon damals gegen jede Form von Zuzahlung gehabt habe, hätten sich in der Folgezeit bestätigt. "Arztbesuche haben zugenommen, und Alte und Kranke fühlen sich diskriminiert", betonte Lauterbach.
Mittlerweile trete auch die FDP für die Abschaffung der Praxisgebühr ein. Sie lasse sich dafür aber auf einen "Kuhhandel" mit der Union ein, indem sie der Einführung des Betreuungsgeldes zustimme, kritisierte Lauterbach. Wenn die FDP es mit der Abschaffung der Praxisgebühr ehrlich meine, dann solle sie dem Antrag der SPD zustimmen. "Bei uns gibt es heute die Abschaffung der Praxisgebühr pur", meinte Lauterbach.
Der CDU-Abgeordnete Jens Spahn stellte die rhetorische Frage, weshalb man die Debatte über eine Abschaffung der Praxisgebühr überhaupt führen könne. Seine Antwort lautete: "Weil wir in der GKV heute über Rücklagen verfügen." Während die Gesundheitspolitik über Jahrzehnte vor dem Problem gestanden habe, wie die Defizite zu verringern seien, gebe es derzeit ein Guthaben, nämlich zehn Milliarden Euro im Gesundheitsfonds und 14 Milliarden Euro bei den Krankenkassen.
Spahn plädierte dafür, diese Rücklagen nicht gleich wieder aufzulösen, sondern für schlechtere Zeiten aufzubewahren. "Wir wissen nicht, ob die wirtschaftliche Lage so gut bleibt, wie sie ist", sagte er. Es liege im Interesse der Versicherten, wenn es wenigstens für einige Jahre Stabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gebe. Die Union habe zu Zeiten der rot-grünen Koalition im Zusammenhang mit der sogenannten Agenda 2010 eine Reihe von Maßnahmen mitbeschlossen, die "das zweite deutsche Wirtschaftswunder erst ermöglicht" hätten, sagte Spahn. Dazu habe auch die Praxisgebühr gehört.
Mitbedingt durch diese Maßnahmen gebe es heute so viel Beschäftigung in Deutschland wie nie zuvor, meinte Spahn. Dennoch schäme sich die SPD heute für Agenda 2010. "Sie laufen weg vor dem, was sie einmal gemeinsam mit uns beschlossen haben", kritisierte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Dies ist für Spahn unverständlich, hält er doch die Praxisgebühr für sozial ausgewogen. So müssten chronisch Kranke nicht mehr als ein Prozent ihres Einkommens für Zuzahlungen aufbringen. Man könne die Zuzahlungen aber noch gerechter gestalten, denn mancher chronisch Kranke sei zugleich sehr vermögend. Daher diskutiere die Koalition gerade darüber, inwieweit man die Rücklagen dafür verwenden könne, um die Versicherten zu entlasten.
Der AbgeordneteDr. Dietmar Bartschvon der FraktionDie Linkebetonte, für viele Patienten sei es ein Problem, das Geld für die Praxisgebühr aufzubringen. "Die Praxisgebühr ist unsozial und gefährdet die Gesundheit", sagte Bartsch. Denn mancher Versicherte verzichte auf einen notwendigen Arztbesuch. Die Praxisgebühr trage so dazu bei, dass Krankheiten verschleppt würden, meinte Bartsch. Gleichwohl habe die Praxisgebühr die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.
Generell sei die Zahl der Arztbesuche nicht zurückgegangen, führte Bartsch aus. Daher gebe es mittlerweile in allen Fraktion Kritik an der Gebühr. Auch bei der Gesundheitsministerkonferenz hätten sich elf Länder dafür ausgesprochen, die Praxisgebühr abzuschaffen, sagte Bartsch. Ein Ärgernis stellten auch die zusätzlichen Bürokratiekosten dar. Die Arztpraxen müssen nach Angaben des Abgeordneten derzeit jährlich 360 Millionen Euro dafür aufbringen.
Unakzeptabel sei auch die Ungleichbehandlung, die darin liege, dass Privatversicherte von der Praxisgebühr verschont blieben. "Wir brauchen daher eine solidarische Bürgerversicherung und eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze", sagte Bartsch. Mit diesen Maßnahmen könne man alle Zuzahlungen und die Praxisgebühr abschaffen.
Der FDP-Abgeordnete Heinz Lanfermann warf der SPD vor, es gehe ihr in der Debatte nur scheinbar um die Praxisgebühr. Sie springe in der Sache auf einen Zug auf, der in Wahrheit von der FDP in Gang gesetzt worden sei. "Ihre Anträge bestehen doch nur aus Versatzstücken früherer Anträge", sagte Lanfermann. Inhaltlich sei über die vorliegenden Anträge bereits auf Basis früherer Anträge ausgiebig debattiert worden.
Allerdings räumte Lanfermann ein, dass über die Frage der Beibehaltung oder Abschaffung der Praxisgebühr zwischen den Koalitionspartnern noch Diskussionsbedarf bestehe. "Wir stehen in der Koalition aber kurz davor, eine vernünftige Lösung zu finden", versicherte Lanfermann. Solange die Diskussion noch nicht abgeschlossen sei, könne über die vorliegenden Anträge aber nicht abgestimmt werden. Darauf habe er im Gesundheitsausschuss mehrmals hingewiesen, sagte Lanfermann.
Die Opposition habe das Angebot, im Ausschuss über die Sache zu diskutieren, jedoch mehrmals ausgeschlagen. Sie habe es stattdessen vorgezogen, ihr taktisches Spiel fortzusetzen und nach einer Abstimmung über die Vorlagen zu verlangen, meinte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP.
Für die Grünen-Abgeordnete Birgitt Bendergibt es viele gute Gründe, die Praxisgebühr abzuschaffen. "Die Praxisgebühr ist ein bürokratisches Ärgernis in den Arztpraxen", sagte Bender. Im Gesundheitsfonds sei derzeit genügend Geld vorhanden, um die Abschaffung der Praxisgebühr zweieinhalb Jahre lang zu finanzieren. Die FDP trete zwar ebenfalls dafür ein, die Praxisgebühr abzuschaffen, sie sei dafür aber bereit, dem von der CSU geforderten sogenannten Betreuungsgeld zuzustimmen, meinte Bender.
Die FDP gebe sich somit dafür her, bei der Einführung einer "Fernhalteprämie von den Kitas" mitzumachen. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung müsse aber grundsätzlich anders geregelt werden. Denn im Rahmen des geltenden Systems würde die Abschaffung der Praxisgebühr zu höheren Zusatzbeiträgen führen. Eine Auflösung des Widerspruchs zwischen Überschüssen der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds hier und Zusatzbeiträgen und Praxisgebühr dort lasse sich nur durch eine Bürgerversicherung auflösen.
Grundlage der Debatte waren Anträge der SPD (17/11192), der Linksfraktion (17/11141) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/11179), die Praxisgebühr abzuschaffen. Während die Antragsteller über ihre Anträge sofort abstimmen lassen wollten, plädierten die Koalitionsfraktionen für die weitere Beratung in den Ausschüssen. In einem Hammesprung zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse entschieden sich 297 Abgeordnete für die Überweisung und 225 für die Abstimmung entschieden, sodass sich der Gesundheitsausschuss nun federführend mit dem Thema befassen wird. (tvw/25.10.2012)