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Die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, ist überzeugt, dass Minijobs "die sozialen Sicherungssysteme aushöhlen". Denn die abgeführten Beiträge sind niedriger als bei einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. "In dem Maße, wie reguläre Arbeitsverhältnisse durch Minijobs verdrängt werden, verringern sich die Einnahmen der Sozialsysteme", erklärt sie in einem am Montag, 29. Oktober 2012, veröffentlichten Gespräch mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Das Interview im Wortlaut:
Frau Zimmermann, welche Konsequenzen wird das neue Minijob-Gesetz für die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt haben?
Durch die Anhebung der Entgeltgrenze bei geringfügig entlohnter Beschäftigung auf 450 Euro wird der Niedriglohnsektor weiter ausgebaut. Zudem wird dies im Gesetzentwurf als Lohnerhöhung dargestellt, da scheinbar davon ausgegangen wird, dass die Arbeitgeber sogleich die 50 Euro mehr draufschlagen. Die Realität sagt aber etwas anderes. Minijobber erhalten im Schnitt nur 260 Euro und nicht 400.
Kritisieren Sie Minijobs an sich oder halten Sie diese für sinnvoll?
Minijobs sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Mehr als 80 Prozent von ihnen werden unterhalb der Niedriglohngrenze entlohnt. Beschäftigte mit einem Minijob, offiziell geringfügig Beschäftigte genannt, sind völlig unzureichend sozial abgesichert. Sie entrichten keine eigenständigen Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme und erwerben auch keine nennenswerten Ansprüche.
Aber Befürworter sagen, dass die Minijobber die Chance haben, in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse übernommen zu werden?
Minijobs sind keine Brücke in reguläre Beschäftigung. Nur ein Drittel der geringfügig Beschäftigten erlangt ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Die große Mehrheit bleibt in der prekären Beschäftigung gefangen. Minijobs sind keine Zwischenbeschäftigung. Sechs von zehn Minijobs dauern länger als ein Jahr, vier von zehn sogar länger als zwei Jahre.
Hätten die geltenden Regelungen für geringfügig Beschäftigte damals von Rot-Grün Ihrer Meinung nach überhaupt eingeführt werden dürfen?
Durch die Neuregelung wurde der Bereich der geringfügigen Beschäftigung umfassend dereguliert, insbesondere durch den Wegfall der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit von maximal 15 Stunden und die Anhebung der Entgeltgrenze auf 400 Euro. Durch diese Reform wurde ein weiterer Baustein des Niedriglohnsektors geschaffen.
Übervorteilt die Regelung Ihrer Ansicht nach die Arbeitgeber?
Das bestehende Diskriminierungsverbot gegenüber Teilzeitbeschäftigten wird in der Praxis unterlaufen. Hierdurch schaffen sich die Arbeitgeber zulasten der Beschäftigten immense Kostenvorteile gegenüber regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. In den letzten Jahren haben viele Arbeitgeber zunehmend sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Minijobs zerlegt, da sich dadurch einerseits Kosten sparen lassen und andererseits die Beschäftigten flexibler eingesetzt werden können. Viele Minijobberinnen und Minijobber werden auf Abruf eingesetzt und haben keine geregelte feste Arbeitszeit. In manch einer Branche ist die geringfügige Beschäftigung kurz davor, zur Regelbeschäftigung zu werden, wie zum Beispiel in der Gastronomie.
Aber der arbeitsrechtliche Schutz muss doch auch für Minijobber gelten?
Minijobberinnen und Minijobber sind im Arbeitsalltag häufig benachteiligt. Obwohl das Arbeitsrecht auch für geringfügig Beschäftigte gilt, wird es oft missachtet. Das betrifft nicht nur die Gleichbehandlung bei der Entlohnung. Geringfügig Beschäftigte erhalten häufig keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder keinen bezahlten Urlaub. Sie werden auch nur in geringem Umfang in Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen. Geringfügige Beschäftigung ist daher mangels Alternativen vor allem erzwungene Teilzeitarbeit.
Sehen Sie darüber hinaus auch Nachteile für die Allgemeinheit?
Nicht zuletzt höhlen Minijobs die sozialen Sicherungssysteme aus, da die abgeführten Beiträge niedriger als bei einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sind. In dem Maße wie reguläre Arbeitsverhältnisse durch Minijobs verdrängt werden, verringern sich die Einnahmen der Sozialsysteme. Wären Minijobs in vollem Umfang sozialversicherungspflichtig, würde die Einnahmebasis verbessert.
Befürworter der Minijobs sagen, dass beispielsweise Hausfrauen und Mütter von Minijobs profitieren und gar nicht mehr arbeiten wollten. Können Sie dem zustimmen?
Nein, dem kann ich absolut nicht zustimmen. Minijobs tragen in erheblichem Maße zur geschlechtsspezifischen Spaltung des Arbeitsmarktes bei. Zwei von drei Minijobs werden von Frauen ausgeübt. Sie können ihre Existenz mit einer solchen Beschäftigung nicht sichern. Minijobs bieten zudem kaum berufliche Perspektiven und keine eigenständige Absicherung gegen allgemeine Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit und gegen das Alter. Durch die Privilegierung geringfügiger Beschäftigung wird ein überholtes Familienmodell mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Zuverdienerin gefördert.
Gibt es Länder, in denen bessere Regelungen getroffen wurden und werden?
Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten kennen mehrheitlich keine vergleichbaren Abweichungen von einer allgemeinen Sozialversicherungspflicht wie in Deutschland. Die Überleitung von geringfügiger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist deshalb wichtig für ein sozial einheitliches Europa. Beachtenswert ist die Gegenwehr in Slowenien. Dort haben sich im April 2011 in einer Volksabstimmung 80 Prozent der Beteiligten gegen eine Einführung von Minijobs nach deutschem Vorbild ausgesprochen.
Welche Schritte halten Sie für notwendig, um den von Ihnen befürchteten Entwicklungen entgegenzuwirken?
Als Die Linke haben wir dazu ja einen eigenen Antrag eingebracht, in dem wir die Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführen möchten. Aber der Antrag wurde ja leider abgelehnt. Auch im Bereich der Rentenversicherung haben wir umfassende Vorschläge eingebracht, damit niemand im Alter in Armut leben muss. Dazu gehört auch die Einführung einer solidarischen Mindestrente, die perspektivisch bei 1.050 Euro netto liegen sollte. Zudem sprechen wir uns für eine Anhebung des Rentenniveaus und eine dauerhafte Stabilisierung auf mindestens 53 Prozent, die Rücknahme der Rente erst ab 67, die Wiedereinführung von Rentenbeiträgen für Langzeiterwerbslose und die Angleichung der Renten in Ostdeutschland auf Westniveau aus.
(ver/29.10.2012)