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Raul kann nicht laufen und doch scheint für ihn die Freiheit grenzenlos zu sein. Raul Krauthausen sitzt seit Geburt im Rollstuhl und ist einer von 299 Teilnehmern, die am Freitag, 26. Oktober, und Sonnabend, 27. Oktober 2012, zur Veranstaltung "Menschen mit Behinderung" im Deutschen Bundestag geladen waren.
Raul Krauthausen ist aufgrund seiner Krankheit kleinwüchsig und hat großen Lebensmut. "Ich habe mir nie gewünscht, laufen zu können", stellt Raul klar und fügt hinzu: "Ich wünsche mir nur überall Aufzüge und Rampen." Mit seinem Rollstuhl erkundet er das Bundestagsgebäude während der zweitägigen Veranstaltung, diskutiert und debattiert über die Probleme von Menschen mit Behinderung.
Die Teilnehmer und Bundestagsabgeordnete sprechen über die Benachteiligung am Arbeitsmarkt, über Schwierigkeiten im öffentlichen Nahverkehr und im Gesundheitssystem. In zwölf Arbeitsgruppen formulieren die Menschen mit Behinderungen konkrete Forderungen an die Politik. "Es kann nicht sein, dass die Krankenkasse bestimmt, was am besten für uns ist", benennt Jürgen Dürrmann Defizite hinsichtlich der Pflege und Behandlung.
Doch eine solche Veranstaltung könne ein Anstoß sein, sagt Sabine Pranger. Sie ist sehbehindert und stolz darauf, im Bundestag ihre Anliegen vortragen zu dürfen. "Es gibt viele Ansätze, aber es ist wichtig, dass Barrierefreiheit auch flächendeckend umgesetzt wird", so die Teilnehmerin.
Auch Raul Krauthausen kennt das Problem. Oft sei ein Bahnhof vorhanden, aber kein Fahrstuhl. Die Service-Hotline der Deutschen Bahn sei kostenpflichtig, die Ausgleichsabgabe bei Arbeitgebern nicht spürbar genug. All dies müsse seitens der Politik angegangen werden, so die Teilnehmer.
Ein zentraler Punkt der Veranstaltung war die Forderung nach selbstbestimmtem Leben. "Solange wir meinen, Behinderung in unserer Gesellschaft lösen zu müssen, anstatt die Gesellschaft anzupassen, solange wird es auch noch immer die Barriere in den Köpfen geben", so Rollstuhlfahrer Krauthausen. Man müsse aufhören mit dem "Randgruppendenken" und Behinderung als etwas Kulturelles, Gesellschaftliches begreifen.
Auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) unterstreicht in ihren Schlussworten am Sonnabend: "Politik für Menschen mit Behinderung ist kein Spezialgebiet in Gesundheit oder Soziales, was sich verstecken lässt." Sie nimmt auch die Kritik der Teilnehmer auf, die gern mit mehr Volksvertretern bei der Veranstaltung ins Gespräch gekommen wären. "Viele Abgeordnete hätten an beiden Tagen den barrierefreien Zugang zu uns gehabt, doch dies wurde wenig genutzt", sagt Rollstuhlfahrer Jürgen Dürrmann.
Ein offener Umgang sei wichtig, da sind sich die Teilnehmer einig. "Wenn Politiker dazu beitragen, dass das Thema angstfreier und unkomplizierter diskutiert wird, ist dies ein Erfolg", so Anke Dallmann. Die Rollstuhlfahrerin ist selbst Kommunalpolitikerin und kennt die Schwierigkeiten der Politik.
Diese erfahren auch die Teilnehmer bei ihrem Einblick in die Arbeit des Parlaments. Auf dem Rundgang durch die Gebäude wird der Bundestag für die Menschen mit Behinderung erlebbar. Die Ausstellung "Gestaltung für alle" macht die Örtlichkeiten des Parlamentsviertels greifbar.
"Was ich einmal unter meinen Händen spüre, ist für mich vorstellbar", sagt Sabine Pranger, als sie das Reichstagsgebäude im Tastmodell erkundet. Für die Teilnehmer war die Veranstaltung auch eine einmalige Chance, sich sein eigenes Bild vom Deutschen Bundestag zu machen. (ldi/29.10.2012)