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Zum Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Terrorzelle fordern die Fraktionen des Deutschen Bundestages eine umfassende Aufklärung und radikale Reformen in den Sicherheitsbehörden. Dies wurde am Donnerstag, 8. November 2012, in einer von Bündnis 90/Die Grünen verlangten Aktuellen Stunde deutlich, in der eine Zwischenbilanz der Ermittlungspannenaufklärung und des Kampfes gegen den Rechtsextremismus gezogen werden sollte.
Der Innenexperte der Fraktion, Wolfgang Wieland, sagte, ohne "das Finale in Eisenach" würden die Sicherheitsbehörden noch immer im Milieu der Organisierten Kriminalität nach den Mördern von neun Migranten und einer Polizistin suchen. Wieland sprach von einem "Totalversagen aller Sicherheitsbehörden".
Das Bundeskriminalamt habe mit seinen Verdächtigungen den Opfern zweifach zugesetzt, der Staat habe damit "schwere Schuld auf sich geladen". Der Abgeordnete forderte Änderungen im V-Mann-System, betonte aber auch, der Kampf gegen den Rechtsextremismus sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Dem stimmte auch Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) zu. Er räumte ein, dass der Schock auch nach zwölf Monaten nach der Enttarnung der Terrorgruppe tief sitze und sich "alle Experten offenkundig geirrt" hätten. Er unterstrich, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz seit einem Jahr engagiert und mit Hochdruck ermitteln würden. Dies habe etwa zur Anklageerhebung gegen Beate Zschäpe geführt. Bis zu 400 Beamte hätten mehr als 6.880 Asservate ausgewertet und sich durch 280.000 Aktenseiten gearbeitet.
Es brauche, so der Innenminister, eine "neue Entschlossenheit zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland". Deshalb habe man bereits auf die Kommunikationsprobleme zwischen den einzelnen Behörden reagiert, eine Bund-Länder-Kommission eingerichtet und ein gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Die seit September bestehende Rechtsextremismus-Datei sei ein wichtiges Hilfsmittel der Behörden. Zudem unterstütze sein Haus Projekte zur Stärkung der Zivilgesellschaft.
Die SPD-Innenpolitikerin Dr. Eva Högl nannte die Mordserie "einen Anschlag auf die Demokratie". Es sei die richtige Entscheidung gewesen, einen Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag einzurichten: Dieser habe in seiner bisher zehnmonatigen Arbeit bereits "sehr viel ans Tageslicht befördert"; dies sei auch für die Angehörigen der Opfer ein "wichtiges Signal aus dem Parlament".
Bei den Sicherheitsbehörden müsse es "umfassende Reformen" geben – nur "ein bisschen schrauben" hieße, die Lehren aus den Terrorakten nicht verstanden zu haben. Högl warf dem Bundesinnenminister vor, das, was er vor dem Bundestag vorgetragen habe, reiche nicht aus. Es sei "ein schwerer Fehler" gewesen, dass Friedrich nicht sofort im November 2011 einen umfassenden Aktenvernichtungsstopp erlassen habe. Mit der Löschung von Akten sei "Vertrauen zerstört" und der Eindruck erweckt worden, "dass vertuscht werden sollte".
Auch die Liberalen kritisierten die Sicherheitsbehörden scharf: Es könne sich niemand darüber wundern, dass deren Ansehen beschädigt sei, so der FDP-Innenpolitiker Hartfrid Wolff. Hier sei "zu viel augenscheinlich schiefgelaufen". Die Fehler seien teilweise "erschütternd".
Wolff lobte die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses und regte an, dem nächsten Bundestag eine Empfehlung dahingehend auszusprechen, dass der Ausschuss seine Arbeit auch in der kommenden Legislatur fortsetzen solle. Für den Verfassungsschutz sei eine grundlegende Reform nötig, es brauche etwa eine bessere Ausbildung der Mitarbeiter, bundeseinheitliche Standards für den Einsatz von V-Leuten und Vorgaben für die Aufbewahrung und Löschung von Akten.
Petra Pau (Die Linke) erinnerte in ihrem Redebeitrag daran, dass schon vor der "ersten Hinrichtung" des NSU seit 1990 in Deutschland 105 Menschen aus rassistischen und rechtsextremistischen Motiven ermordet worden seien: "Auch sie mahnen uns."
Bis heute zeige sich immer wieder latenter Rassismus; etwa wenn wie gerade in Berlin demonstrierenden Asylbewerbern Decken, Schirme und Isomatten entzogen würden, um sie zum Aufgeben zu bringen. Derzeit eine neue Asyldebatte gegen Sinti und Roma zu entfachen, sei "ein Spiel mit dem Feuer".
Der Terrorismusexperte der Unionsfraktion, Clemens Binninger, betonte, niemand in diesem Land dürfe Angst um sein Leben haben, weil er ausländischer Abstammung sei. Es sei gut, wenn der Untersuchungsausschuss des Bundestages "alle Fragen" stelle. Dazu gehöre zu klären, warum es trotz vieler Hinweise nicht gelungen sei, die Täter zu ermitteln.
Dass man die Verbindung zwischen den 14 Banküberfällen und Morden nicht habe ziehen können, sei ein "Armutszeugnis". Auch Aufwand und Risiko beim Einsatz von V-Leuten innerhalb der vergangenen zehn Jahre stünden in "keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn". Man müsse daher, so Binninger, über das Instrument der V-Männer "grundlegend nachdenken". (suk/08.11.2012)