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Der Bundestag setzt sich am Donnerstag, 22. November 2012, in erster Lesung mit Gesetzentwürfen der Bundesregierung über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (17/11295) und von 66 Abgeordneten von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen über den Umfang der Personensorge und die Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung (17/11430) auseinander. Auslöser dieser Initiativen war ein Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012 (Aktenzeichen: 151 Ns 169/11). Darin hatte das Gericht die Auffassung vertreten, bei der religiös begründeten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern vorgenommenen Beschneidung eines minderjährigen Jungen handele es sich um eine rechtswidrige Körperverletzung. Die 90-minütige Debatte beginnt voraussichtlich gegen 14.40 Uhr und dauert 90 Minuten.
Die Debatte wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Mit ihrem Gesetzentwurf reagiert die Bundesregierung auf dieses Urteil, um für die Zukunft Rechtssicherheit zu schaffen. Vorgesehen ist, dass im Recht der elterlichen Sorge im Bürgerlichen Gesetzbuch klargestellt wird, dass die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung bestimmter Anforderungen einer medizinisch nicht erforderlichen Beschneidung ihres "nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes" zuzustimmen. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn im Einzelfall durch die Beschneidung – auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks – das Kindeswohl gefährdet wird.
In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Sohnes sollen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen die Beschneidung vornehmen dürfen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und wie eine Ärztin oder ein Arzt zur Beschneidung befähigt sind.
Der Bundestag hatte mit Beschluss vom 19. Juli 2012 betont, dass jüdisches und religiöses Leben in Deutschland weiterhin möglich sein müsse.
Auf Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP (17/10331) forderte das Parlament die Bundesregierung mit breiter Mehrheit auf, "unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist".
Danach hatte auch der Deutsche Ethikrat am 23. August das Thema Beschneidung aufgegriffen. Einmütig empfahl das 27-köpfige Gremium, rechtliche Standards für eine Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zu etablieren und dabei folgende Mindestanforderungen umzusetzen: umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten, qualifizierte Schmerzbehandlung, fachgerechte Durchführung des Eingriffs sowie Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen.
Darüber hinaus forderte der Ethikrat, fachliche Standards für die Beschneidung mit Betroffenen und beteiligten Gruppen zu entwickeln und zu evaluieren.
66 Abgeordnete von SPD, Linksfraktion und Grünen, darunter Marlene Rupprecht (SPD), Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) und Diana Golze (Die Linke), haben einen eigenen Gesetzentwurf zum Thema vorgelegt, der ebenfalls in erster Lesung beraten wird. Darin ist vorgesehen, im BGB klarzustellen, dass die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung bestimmter Anforderungen in eine nicht medizinisch veranlasste Beschneidung ihres Sohnes einzuwilligen.
Voraussetzung dafür sei "wegen der Schwere und Irreversibilität des Eingriffs" die Einwilligung des "einsichts- und urteilsfähigen Sohnes", der das 14. Lebensjahr vollendet haben müsse. Dies solle nur dann nicht gelten, wenn im Einzelfall durch die Beschneidung – auch unter Berücksichtung ihres Zwecks – das Kindeswohl gefährdet wird. Die Beschneidung solle nur von einer Ärztin oder einem Arzt "mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie" vorgenommen werden dürfen.
Die Abgeordneten weisen darauf hin, dass die Beschneidung in der juristischen und auch in der medizinischen Fachliteratur tendenziell als rechtswidrige Körperverletzung bewertet werde. Die Abgeordneten wollen wie die Bundesregierung Rechtssicherheit schaffen, und zwar "unter Berücksichtigung und Abwägung verschiedener grundgesetzlich geschützter Rechtsgüter, insbesondere des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit der minderjährigen Jungen, des Erziehungsrechts der Eltern, welches auf das Kindeswohl verpflichtet ist, und der Religionsfreiheit".
Die Regelung orientiere sich daran, dass die körperliche Unversehrtheit des Kindes ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut sei. Damit folge der Gesetzentwurf dem Leitbild des Kindes als Träger von Grundrechten, wie es vom Bundesverfassungsgericht und den Vereinten Nationen in der Kinderrechtskonvention geprägt worden sei, heißt es in dem Gesetzentwurf.(vom/21.11.2012)