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Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) muss erstmals Kürzungen für seinen Etat hinnehmen. Statt der im Regierungsentwurf (17/10200, 17/10202) vorgesehenen moderaten Erhöhung um 37,5 Millionen Euro gegenüber 2012 verabschiedete der Bundestag am Mittwoch, 21. November 2012, den Etat des Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in der vom Haushaltsausschuss beschlossenen Fassung (17/10819, 17/10823, 17/10824) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Das Ministerium muss demnach mit 87 Millionen Euro weniger als im Haushaltsjahr 2012 auskommen. Niebels Etat umfasst damit 2013 knapp 6,3 Milliarden Euro.
Dr. Bärbel Kofler (SPD) sprach von einer "fatalen Fehlentscheidung". Der Etat bleibe weiter hinter den Erfordernissen einer internationalen Armutsbekämpfung zurück und sende das "fatale Signal", dass Deutschland nicht bereit sei, sich an die internationale Verpflichtung zu halten, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen.
Dem Minister warf Kofler vor, sich hinter den Haushältern zu verstecken, wenn er nun behaupte, dass mit der Kürzung das 0,7-Prozent-Ziel nicht mehr zu halten sei. Tatsächlich hätte sein Etat seit Amtsantritt 2009 jährlich um eine Milliarde Euro steigen müssen. Es wäre schön gewesen, wenn der Minister den "Drive" von 372 Abgeordneten genutzt hätte, die sich fraktionsübergreifend für die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels stark gemacht haben, sagte Kofler.
Dr. Jürgen Koppelin (FDP) betonte, dass Deutschland heute der weltweit zweitgrößte Geber der Entwicklungszusammenarbeit sei. Der Haushalt des einst SPD-geführten Ministeriums habe "null Richtung" gehabt und sei ein "Sammelkorb" gewesen. Es sei nicht zuletzt das Verdienst Niebels, hier eine Linie hineingebracht zu haben. "Dieser Haushalt kann sich sehen lassen", auch wenn Niebel – wie andere Minister auch – "jetzt vielleicht nicht zufrieden ist", sagte Koppelin. Aber das sei so, wenn man die Neuverschuldung senken wolle.
"Hier hat jeder seinen Beitrag zu leisten", sagte Koppelin. Im Übrigen seien entwicklungsspezifische Mittel beim Auswärtigen Amt aufgestockt und beim BMZ-Etat zusätzliche Mittel unter anderem für Bildung, die politischen Stiftungen und die Kirchen in die Hand genommen worden.
Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) befand, dass mit dem Etat etwas "im Argen" liege. Ein "friendly fire" aus den eigenen Reihen habe den Minister schwer beschädigt und führe dazu, dass sich die Koalition von einem weiteren ihrer Ziele verabschiede.
Bartsch kritisierte zudem, dass die Entwicklungszusammenarbeit auf zu viele Ministerien verteilt sei und zuweilen als "zweites Standbein der Wirtschaftspolitik" und als Außenwirtschaftsförderung verstanden würde. Entwicklungszusammenarbeit heiße aber nicht, zuerst darauf zu sehen, "welche positiven Wirkungen sie auf die deutsche Wirtschaft hat", sagte Bartsch.
Volkmar Klein (CDU/CSU) bezeichnete die Absenkung als "nicht schön" – aber zugleich als "nur auf dem Papier" existierend.
Um rund 80 Millionen Euro schrumpfe der Einzelplan 23 gegenüber dem Vorjahr – allerdings gingen diese Mittel durch die Übertragung der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfen aus dem BMZ an das Auswärtige Amt über und damit unter dem Strich nicht zulasten der Entwicklungszusammenarbeit der gesamten Bundesregierung. Zudem sei der Entwicklungsetat seit 2009 von 5,7 Milliarden auf 6,3 Milliarden gestiegen, betonte Klein.
Die Haushaltsexpertin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Priska Hinz, warf ihrem Vorredner daraufhin "schlechte Buchungstricks" und "Vernebelungstaktik" vor: Die 80 Millionen Euro hätten eigentlich draufgesattelt werden müssen. Hinzu kommen müssten außerdem noch die insgesamt 144 Millionen Euro, die aus dem Europäischen Entwicklungsfonds zurückgeflossen seien.
"Das wäre dann eine reelle Zahl", sagte Hinz. "Alles andere ist eine Kürzung des Haushalts des BMZ." Ihre Fraktion habe einen "Aufholplan" vorgelegt, der 900 Millionen Euro zusätzlich für das Ministerium vorsehe und mit dem das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen sei, "zwar nicht bis 2015, aber 2017".
Keine Mehrheit fanden verschiedene Änderungsanträge der Oppositionsfraktionen. Die SPD-Fraktion hatte unter anderem gefordert, die Mittel für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) auf insgesamt 400 Millionen Euro zu verdoppeln (17/11528), die Mittel für den Titel "Entwicklungswichtige multilaterale Hilfen zum Umweltschutz, zur Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz" auf knapp 550 Millionen Euro zu erhöhen (17/11529) und die Haushaltstitel um eine Milliarde Euro anzuheben, die dazu beitragen können, dem 0,7-Prozent-Ziel näherzukommen (17/11530).
Auch die Änderungsanträge der Fraktion Die Linke scheiterten an den Stimmen der Koalitionsmehrheit: Die Linke hatte unter anderem mehr Gelder für den zivilen Friedensdienst und eine Erhöhung des Beitrags zum Europäischen Entwicklungsfonds gefordert (17/11531).
Die Grünen wollten den vom Haushaltsausschuss gekürzten Etat des BMZ "zumindest auf dem Niveau des Haushaltsentwurfs" der Bundesregierung belassen – durch eine Erhöhung der Mittel für die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit um 124 Millionen Euro.
Es müsse am Ziel festgehalten werden, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern, hieß es im Änderungsantrag der Grünen (17/11532) zur Begründung. 251 Abgeordnete votierten in namentlicher Abstimmung für den Antrag, 305 Abgeordnete dagegen, fünf Abgeordnete enthielten sich ihrer Stimme. (ahe/22.11.2012)