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Die Frage, welche wirtschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Konsequenzen eine mögliche Änderung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion für die Zukunft Europas und seiner Parlamente haben könnte, haben Experten einer Anhörung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union unter Vorsitz von Gunther Krichbaum (CDU/CSU) am Montag, 10. Dezember 2012, unterschiedlich bewertet. Grundlage der Diskussion waren der Zwischenbericht des Präsidenten des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, mit dem Titel: "Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion" vom Oktober 2012 (Ratsdokument SN 3962/12) und der sogenannte Quadriga-Bericht vom 5. Dezember 2012, in denen entsprechende Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Europäischen Union gemacht werden.
Die demokratische Legitimation und die Rechenschaftspflicht gegenüber den Parlamenten war ein zentrales Thema der Diskussion. Prof. Dr. Christian Callies von der Freien Universität Berlin versuchte dabei die Frage zu beantworten, welche Übertragung von Hoheitsrechten zulässig sei und welche einer Änderung des Grundgesetzes bedürften. Als ein Beispiel nannte der Jurist die möglichen Änderungen beim Budgetrecht. Sie verstießen, betonte Callies, "nicht von vornherein gegen die Verfassung".
Dies zeige unter anderem die Einführung einer Schuldenbremse. Es komme vielmehr auf die "verhältnismäßige Ausgestaltung" von europäischen "Kontroll- und Durchgriffsrechten" an. Mit der Mitgliedschaft Deutschlands in der Währungsunion sei das Land Teil einer "Stabilitätsgemeinschaft". Solange ein Mitgliedsland die Stabilitätskriterien einhalte, dürfe es keine rechtsverbindlichen Kontrollen durch die Europäische Union geben, erläuterte Callies.
Nur bei Verletzung der Stabilitätskriterien könnten die Durchgriffsrechte angewandt werden. Callies machte dabei zudem deutlich, dass ein Staat, der sich bereits für Nothilfen der Gemeinschaft entschieden habe, indirekt auch schon in die Beschränkung seiner Haushaltssouveränität eingewilligt habe.
Prof. Dr. Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld unterstrich, dass die Euro-Krise in starkem Maße als eine Krise der europäischen Integration wahrgenommen werde. Auch nach dem Vertrag von Lissabon gebe es in der Europäischen Union weiterhin eine Diskussion über ein "tatsächliches oder empfundenes Demokratiedefizit". Dies führe bei vielen Bürgern hinsichtlich der EU zu einer Vertrauens- und Legitimationskrise.
Vorschläge wie etwa die Stärkung der Rechte des Bundestages wiesen daher momentan ein hohes Legitimationspotenzial auf, weil es einen "Trend zur Rückbesinnung auf das Nationale" gebe. Mayer machte darauf aufmerksam, dass eine "echte Begleitung" von Regierungshandeln im Gegensatz zur Information und nachträglichen Unterrichtung nationaler Parlamente nur schwer zu verwirklichen sei.
Die Euro-Krise habe gezeigt, dass aufgrund fehlender Alternativen "keine aktuelle Einwirkung auf eine Entscheidung mehr möglich ist", erklärte Mayer. Dennoch würden Begleitmechanismen wahrscheinlich zu einer höheren Transparenz als bloße Unterrichtungs- und Informationsszenarien führen. (as/10.12.2012)
Prof. Dr. Christian Calliess, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Hans-Peter Grüner, Universität Mannheim
Prof. Dr. Franz C. Mayer, Universität Bielefeld
Dr. Waltraud Schelkle, London School of Economics and Political Science
Peter Wahl, World Economy, Ecology & Development