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Die neuen Erkenntnisse blieben spärlich bei der Befragung des ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und seiner früheren Referatsleiterin Christine Hammann durch den sogenannten NSU-Untersuchungsausschuss am Freitag, 15. März 2013. Der Ausschuss unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) soll Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten.
Schily, Minister der Regierung Schröder, beeindruckte den Ausschuss mit einer Feststellung in seinem Eingangsstatement. Dass es den Sicherheitsbehörden nicht gelungen sei, der "Mörderbande, die sich selbst den Namen Nationalsozialistischer Untergrund gegeben hat", rechtzeitig auf die Spur zu kommen, sei "ein höchst schockierender und äußerst bedrückender Sachverhalt, für den ich die politische Verantwortung übernehme", sagte Schily. Sowohl von Koalitions- wie Oppositionsseite erhielt er dafür Anerkennung.
Schily führte aus, dass die Verfassungsschutzberichte über Jahre hinweg immer die Feststellung enthalten hätten, dass im rechtsextremen Milieu nicht die Bildung terroristischer Strukturen erkennbar sei. Nach dem vereitelten Anschlag auf die Münchner Synagoge habe dann 2003 erstmals der Generalbundesanwalt Anklage gegen Rechtsextreme wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erhoben. Doch in seinem Bericht für dieses Jahr habe das Bundesamt für Verfassungsschutz festgestellt, dass "darüber hinaus" keine solchen Strukturen erkennbar seien. Es werde aber darauf hingewiesen, dass Einzelpersonen oder Kleinstgruppen Anschläge verüben könnten, um ein Fanal zu setzen, sagte Schily.
Die Fragen der Ausschussmitglieder an den früheren Innenminister bezogen sich insbesondere auf den Anschlag des NSU mit einer Nagelbombe in Köln-Mülheim am 9. Juni 2004, bei dem 22 Menschen überwiegend türkischer und kurdischer Herkunft teils schwer verletzt wurden. Schily hatte am Tag nach diesem Anschlag erklärt, es gebe bisher keine Hinweise auf eine terroristische Tat und man gehe von einem kriminellen Hintergrund aus, allerdings seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Auf welche Informationen er sich dabei stützte, vermochte Schily allerdings nicht mehr mit Sicherheit festzustellen. Auch auf andere Fragen erklärte er immer wieder, sich an Details der Vorgänge vor fast zehn Jahren nicht mehr zu erinnern.
Auf eine Frage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) hin zitierte Schily aus einem Bericht von Spiegel-Online fast zwei Wochen nach der Tat, wonach die Ermittler rassistische oder extremistische Hintergründe nicht ausschlössen. "Die Behörden haben demnach in alle Richtungen ermittelt", stellte Schily fest. Auf die zentrale Frage des Untersuchungsausschusses, warum dann die Ermittlungen in die rechtsextreme Richtung nicht konsequent fortgesetzt worden seien, hatte aber auch Schily keine Antwort.
Clemens Binninger (CDU/CSU) befragte Schily insbesondere nach der Rolle des damaligen Innenministers von Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens (SPD). Nach bisherigen Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses hat ein für Rechtsextremismus zuständiger Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz wenige Stunden nach dem Kölner Anschlag beim örtlichen Lagezentrum der Polizei angerufen mit der dringenden Bitte, einen Kontakt zum Landesamt für Verfassungsschutz herzustellen. Etwa eine Stunde danach habe Behrens im Lagezentrum angerufen "mit der ungehaltenen Frage", so Binninger, warum der Verfassungsschutz einbezogen werde.
Die Frage, ob ihn der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, auf diesen Vorgang angesprochen habe, beantwortete Schily ebenso mit fehlender Erinnerung wie die Frage, ob Behrens ihn bei seiner Beurteilung am Tag danach beeinflusst habe. Er halte es zwar für wahrscheinlich, dass er irgendwann nach dem Anschlag mit Behrens gesprochen hat, wisse es aber nicht mehr, erklärte Schily.
Nachdrücklich wies Hartfrid Wolff (FDP) darauf hin, die Opfer des Kölner Anschlags hätten "sehr früh und sehr deutlich" geäußert, dass "ein rassistischer Hintergrund sehr wahrscheinlich" sei. Schily sagte dazu, er gehe davon aus, dass diese Tatsache auch Gegenstand der Sicherheitsrunde gewesen sei, in der er sich in seinem Haus ständig habe unterrichten lassen. Nachdem Petra Pau (Die Linke) auszugsweise den Brief einer Kurdin verlas, deren Wohnung kurz nach der Tat von Sicherheitskräften gestürmt und durchwühlt worden sei, äußerste sich Schily sehr betroffen über den Umgang von Sicherheitskräften mit Opfern und Zeugen der NSU-Straftaten.
Gar nicht ging Schily auf die Vorhaltung von Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) ein, die Sicherheitsbehörden hätten die Medienarbeit bewusst so gesteuert, dass sich der Eindruck festsetze, die Taten hätten einen normalen kriminellen Hintergrund. Stattdessen entspann sich ein Streit zwischen Wieland und dem Ausschussvorsitzenden Edathy über die Rolle Nordrhein-Westfalens bei der Weitergabe von Informationen, in dessen Verlauf Wieland Edathy als "Verteidiger Schilys" titulierte.
Unmittelbar vor Schily hatte der 2. Untersuchungsausschuss Ministerialdirigentin Christine Hammann befragt, die zur Zeit des Kölner Anschlags das Referat "Politisch motivierte Kriminalität rechts/links" im Bundesinnenministerium geleitet hatte. Sie hatte kurz nach dem Kölner Anschlag in einem Vermerk an den Minister dafür plädiert, auch in Richtung politischer Hintergründe weiter zu ermitteln. Dieser Vermerk wurde allerdings von einem Vorgesetzten Hammanns mit dem Vermerk zurückgeschickt, er enthalte nichts, was der Minister nicht schon wisse. Auch Hammann konnte sich allerdings in der knapp zweistündigen Befragung kaum mehr an Einzelheiten zu erinnern.
Bereits am Donnerstag, 14. März 2013, war im Ausschuss Wolfgang Jehle, von 2000 bis 2004 Leiter des Dezernats Rechtsextremismus (Soko Rex) in der Staatsschutzabteilung des LKA Sachsen, vernommen worden. Nach seiner Aussage sei das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen in die Fahndungsmaßnahmen nach den untergetauchten Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nur punktuell eingebunden gewesen.
Das LKA Thüringen habe die Fahndung geleitet, sagte der Kriminalhauptkommissar. Seine Abteilung habe die Thüringer Kollegen bei Observierungsmaßnahmen, Zeugenbefragungen und Routinefahndungen unterstützt. Das sei ein "übliches Verfahren", fügte Jehle hinzu. Die Maßnahmen hätten jedoch nicht dazu geführt, den Aufenthaltsort zu ermitteln.
Erstmals gehört habe er von dem Trio im Jahr 2000, als eine TV-Fahndung in der Sendung "Kripo Live" geplant wurde. Seinerzeit, so erinnerte sich der Zeuge, sei ein Aufenthalt des Trios in Chemnitz "nicht ausgeschlossen gewesen". Ebenso habe es aber Gerüchte gegeben, die drei seien im Ausland untergetaucht. Ende 2000 habe es dann im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung eine Hausdurchsuchung bei Thomas S. gegeben, der in Sachsen als "Größe" des im September 2000 verbotenen rechtsextremen Netzwerks Blood and Honour bekannt war.
Dabei, so Jehle, sei auch ein Notizbuch gefunden worden, in dem die Geburtstage von Zschäpe und Böhnhardt vermerkt waren. Ein Jahr später habe dann Thomas S. einen befreundeten Neonazi benannt, der angeblich Kontakt mit den Untergetauchten halten würde. Auf Wunsch des LKA Thüringen habe man diesem Kontaktmann zweimal eine Ladung zu einer Befragung zugestellt, der aber nicht gefolgt wurde.
Für Kopfschütteln sorgte diese Aussage beim Unionsabgeordneten Clemens Binninger. "Jedem Rotlichtsünder wird mit mehr Akribie nachgegangen", sagte er. Der sächsische LKA-Beamte stimmte dem grundsätzlich zu. Weitere Maßnahmen hätten jedoch vom LKA Thüringern ergriffen werden müssen, machte er deutlich. Auf die Frage, ob man nicht auf Thomas S. einen genaueren Blick hätte werfen müssen, verwies Jehle ebenfalls auf die Zuständigkeit Thüringens und machte gleichzeitig deutlich: "Wir haben damals nicht nach Mördern gesucht."
Insofern habe das Ganze nicht die oberste Priorität besessen. Da es für die Soko Rex in Sachsen nicht erkennbar gewesen sei, "inwieweit Thomas S. involviert ist", habe man den Kollegen in Thüringen nur mitgeteilt, "was wir über ihn wissen". Die SPD-Abgeordnete Dr. Eva Högl zeigte sich überrascht ob der eher geringen Priorität, die die Suche offenbar gehabt habe. Ob es denn oft vorkomme, "dass Gewaltbereite untertauchen", wollte sie wissen. Jehle antwortete mit Nein, fügte aber hinzu, es sei ein Unterschied, ob man eigene Ermittlungen führe, oder lediglich unterstützend wirke. "Aus heutiger Sicht", so der Beamte, "hätte man manche Nachfrage energischer stellen sollen."
Mangelnde personelle Ausstattung sei nicht das Problem gewesen, sagte Jehle weiter. Während seiner Leitung der Soko Rex hätten 35 bis 40 Personen darin mitgearbeitet, erläuterte er auf Nachfrage des FDP-Abgeordneten Patrick Kurth. Petra Pau (Die Linke) wollte wissen, ob man sich beim LKA auch mit den Strategien der Neonazis in Sachsen beschäftigt habe. Jehle bejahte dies. Aufgabe der Soko Rex sei es aber gewesen, sich mit konkreten Straftaten zu beschäftigen.
Zugleich räumte er ein, es sei bekannt gewesen, dass ehemalige Mitglieder von Blood and Honour zum bewaffneten Kampf aufgerufen hätten. Ob bei ihm nicht die Alarmglocken geschrillt hätten, als dann das LKA Thüringen im Rahmen der Fahndung nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt um die Überprüfung einzelner ehemaliger Blood-and-Honour-Mitglieder gebeten habe, wurde Jehle gefragt. "Der Zusammenhang ist von mir nicht hergestellt worden", antwortete der Kriminalbeamte.
Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) erkundigte sich schließlich danach, ob Jehle bekannt gewesen sei, dass das LKA Berlin laut Aktenlage Thomas S. Ende 2000 als V-Mann angeworben hat und ihn den sächsischen Kollegen als Quelle zu Verfügung stellen wollte.
Nein, so Jehle, davon wisse er nichts. Das fand Wieland merkwürdig: "Wie kann es denn sein, dass so etwas bei der Soko Rex nicht ankommt?" Der damalige Soko-Leiter konnte darauf keine Antwort geben. (pst/hau/15.03.2013)
Freitag, 15. März
Donnerstag, 14. März