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Eine von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte Aktuelle Stunde hat am Freitag, 19. April 2013, zu einem heftigen Schlagabtausch zum Thema Visafreiheit geführt. Die Fraktion hatte gefordert, Inhabern russischer Dienstpässe keine Visafreiheit zu gewähren sowie für die Menschen aus dem Westbalkan keine Visapflicht zu schaffen. Ersteres Ansinnen begründete Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) damit, dass das "Regime Putin" die Zivilgesellschaft flächendeckend mit Repressalien überziehe. Diese Aktionen würden von hohen Beamten der russischen Staatsanwaltschaft und verschiedener Ministerien ausgeführt, sagte Beck.
Zeitgleich habe die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission erklärt, dass der Visumsfreiheit für russische Dienstpassinhaber nichts mehr im Wege stehe. "Das bedeutet Reisefreiheit für den Repressionsapparat, während sich russische Normalbürger weiterhin in deutschen Konsulaten nach einem Visum anstellen und hochnotpeinliche Befragungen über sich ergehen lassen müssen", sagte Beck.
Die EU lasse sich von Russland erpressen, so die Grünen-Abgeordnete. Der Kreml verlange Visaprivilegien für den eigenen Repressionsapparat, um zuzustimmen, dass russische Studierende beispielsweise in Deutschland ein Mehrfachvisum bekommen. Auf der anderen Seite werde darüber nachgedacht, die Visumserleichterungen für die Menschen aus dem Westbalkan wieder zurückzunehmen, kritisierte sie.
Die beiden Themen hätten nichts miteinander zu tun, entgegnete Dr. Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Die Haltung der Bundesregierung zur Politik der russischen Regierung sei eindeutig, sagte er auf dieses Thema eingehend. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe zuletzt klare Worte in Richtung Putin gefunden. "Solch klare Worte hätte ich mir seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder auch gewünscht", fügte der Staatssekretär hinzu.
Was die Visafreiheit für Dienstpassinhaber angeht, so sei das üblich und notwendig, "um die gewünschten Erleichterungen für die Zivilgesellschaft zu erhalten". Gerade gegenüber Russland sei es wichtig, das Für und Wider eines solchen Zugeständnisses abzuwägen, sagte Schröder weiter. Die Bundesregierung habe sich daher gegenüber der EU-Kommission für eine deutliche Reduzierung der Privilegien für Dienstpassinhaber ausgesprochen. Was den Westbalkan angeht, so könne man nicht ignorieren, dass massenhaft unberechtigte Asylanträge gestellt würden. Allein 2012 seien es 13.000 aus Serbien bei einer Anerkennungsquote von Null gewesen. Daher müsse eine Aussetzung der Visafreiheit als Ultima Ratio möglich sein.
Franz Thönnes (SPD) kritisierte ebenfalls die Vermischung der beiden Themen durch die Grünen. Seine Partei, so machte er deutlich, wolle keine Visumpflicht für den Westbalkan. 77.000 Asylanträge im Jahr 2012 seien auch kein Grund zu dramatisieren und hektisch zu reagieren, wie es Bundesinnenminister Friedrich tue, sagte Thönnes. Besser sei es, die Armut in Europa gemeinsam zu bekämpfen.
Zudem müsse bei der Frage der Visafreiheit der Einzelfall betrachtet werden, statt zu pauschalisieren. Das gelte im Übrigen auch für die Situation mit Russland, so der SPD-Abgeordnete weiter. Auch wenn es dort in Sachen Demokratie noch "Luft nach oben" gebe, müsse auch hier differenziert werden. "Auch hier sollte der Einzelfall geprüft werden", regte er an.
Ziel des Abkommens mit Russland sei es, Visaerleichterungen für die russische Bevölkerung zu erreichen, sagte Hagen Reinhold (FDP). "Wollen Sie, dass wir darauf verzichten?", fragte er an die Grünen gewandt. Bei der konkreten Ausgestaltung der Visumsfreiheit für Dienstpassinhaber müsse genau hingeschaut werden, da es durchaus Spielraum gebe, sagte er. Es sei noch zu klären, welche Gruppen der Dienstpassinhaber von der Reisefreiheit profitieren dürften.
Einer Wiedereinführung der Visumpflicht für die Menschen aus dem Westbalkan lehnte der FDP-Abgeordnete ab. "Das wäre eine viel zu harsche Reaktion." Über eine vorübergehende Aussetzung der Visumfreiheit müsse man hingegen diskutieren dürfen, forderte er.
Sie teile die Einschätzung der Grünen, was die Situation in Russland angeht, sagte Rita Pawelski (CDU/CSU). Daher sei sie auch dankbar für die klaren Worte Merkels gegenüber Russlands Präsidenten Wladimir Putin. "Wir brauchen einen kritischen Dialog mit Russland", forderte sie. Nicht vergessen dürfe man aber, dass Russland für die deutsche Wirtschaft ein sehr wichtiger Partner sei. Allein 300.000 Arbeitsplätze in Deutschland hingen von den Wirtschaftsbeziehungen zu dem Land ab.
Nicht zuletzt deshalb sei es richtig, dass Deutschland auf EU-Ebene Kompromissbereitschaft zeige. Ohne die Zusage für die Dienstpassinhaber würde es auch keine Erleichterungen für Journalisten, Schüler, Studenten, Familienangehörige und Geschäftsleute geben, machte Pawelski deutlich.
Sevim Dağdelen (Die Linke) erhob heftige Vorwürfe in Richtung Bundesregierung. Innenminister Friedrich hetze gegen Roma, die er als Asyl- und Sozialhilfemissbraucher bezeichnet habe und leiste so "lebensgefährlichem Rassismus" Vorschub, sagte sie.
Ihre Kritik richtete sich auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese habe zwar anlässlich der Eröffnung des Denkmals für die unter den Nazis ermordeten Sinti und Roma der Volksgruppe ihre Unterstützung zugesagt. Dann aber schicke sie ihren Innenminister aus, "um gegen die nicht einmal 12.000 Roma aus Serbien und Mazedonien, wovon die Hälfte Kinder waren, zu hetzen". (hau/19.04.2013)