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Zehn bis zwölf Millionen Menschen in Europa sind Roma, rund sechs Millionen Roma leben in der Europäischen Union – der größte Teil in äußerst prekären wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. In deutschen Großstädten hausen sie zu Dutzenden eingeengt auf kleinstem Wohnraum. Schon lange schlagen die Kommunen Alarm. Die Situation der Roma in Südosteuropa als gesamteuropäische Herausforderung war Thema der Vortragsreihe W-Forum der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages am Dienstag, 7. Mai 2013.
Es gebe nicht die Roma-Gesellschaft als solche, machte Norbert Mappes-Niediek bei der Veranstaltung deutlich. Mappes-Niediek ist Journalist und langjähriger Balkan-Korrespondent. Kommunikation unter den Roma selbst finde kaum statt, das Wissen über die eigene Bevölkerungsgruppe sei unter den Roma eher gering. Deshalb dürfe man sie nicht als handelnde Subjekte verstehen, Forderungen an sie hätten keinen Adressaten, so der Südosteuropa-Experte.
Vielmehr seien die Roma eine ethnische Kategorie mit unterschiedlichen sozialen Klassen. Zum einen gebe es die Assimilierten, bei denen kaum ein Roma-Selbstverständnis herrsche, zum anderen lebten in den Balkan-Staaten, meist in dörflichen Regionen, ganz arme Roma.
"Sie wohnen in winzigen, verfallenen Hütten, buchstäblich am Rande der Existenz. Es gibt sogar Gruppen, die als Jäger und Sammler in den Wäldern leben ohne jegliche Schulbildung", erklärte Mappes-Niediek und ergänzte: "Was wir jedoch als Roma wahrnehmen, ist die sogenannte Mittelschicht. Die Puzzle-Existenz ist ihre Überlebensstrategie." Diese hätten in ihrer Heimat keine Arbeit, kein Geld und wanderten deshalb verstärkt nach Westeuropa.
Sie sammeln Schrott oder Metall, gehen anschaffen oder betteln. Sie sind diejenigen, die aus Armut migrieren und die westeuropäischen Staaten vor neue Herausforderungen stellen. 2012 lebten laut dem dritten Roma-Status-Bericht allein rund 25.000 gemeldete Rumänen und Bulgaren in Berlin. Durch Schwarzarbeit und den Bezug von Kindergeld halten sie sich über Wasser.
Selbst betteln scheint im Vergleich zu den Lebensbedingungen in Südosteuropa attraktiv. In Spitzenzeiten verdienten die bettelnden Roma hierzulande bis zu 30 Euro pro Tag, das sei das Doppelte des durchschnittlichen Lohns in Bulgarien, meinte Mappes-Niediek.
"So schlecht, dass die Armen zu Hause bleiben, können wir die Bedingungen hier gar nicht machen", mahnt Mappes-Niediek an. Denn eine Armutswanderung, wie sie derzeit von den Balkan-Saaten ins westliche Europa stattfinde, könne man nicht verhindern – da helfe auch kein Druck auf die Herkunftsländer, die Lebensbedingungen zu verbessern.
Vielmehr müsse die Verwaltung modernisiert und das selektive Bildungswesen reformiert werden, so der Journalist. Auch eine gezielte Förderung strukturschwacher Regionen könne die wirtschaftliche und soziale Lage der Roma entspannen.
"Es hilft nur klassische Armutspolitik. Auf dieser Basis kann sich viel entwickeln." Wenn man in diese Richtung nicht weiter denke, "bleibt die große europäische Strategie zur Zukunft der Roma nur Heuchelei", sagte Mappes-Niediek zum Abschluss seines Vortrags. (ldi/07.05.2013)