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Trotz fortdauernder Probleme wegen der Auseinandersetzung mit den Taliban zeigt sich Dr. Karl A. Lamers optimistisch, dass Afghanistan in der Lage sein wird, nach dem für Ende 2014 geplanten Abzug der Nato-Truppen Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Kabul werde jedoch weiterhin Hilfe benötigen, weshalb sich das Bündnis über 2014 hinaus unterstützend engagieren werde, so der CDU/CSU-Abgeordnete im Interview. Die Lage am Hindukusch gehört zu den Themen der Parlamentarischen Versammlung der Nato, die von Freitag, 17. Mai, bis Montag, 20. Mai 2013, in Luxemburg tagt. Lamers leitet die Bundestagsdelegation. Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Lamers, die Debatte über eine militärische Intervention in Syrien zugunsten der Aufständischen gewinnt zusehends an Fahrt. Welche Position nehmen die Nato-Parlamentarier ein?
Die Bilder aus Syrien schockieren und wecken das dringende Bedürfnis, diesen Konflikt so schnell wie möglich zu beenden. Doch die Risiken einer militärischen Intervention sind unübersehbar, der Ausgang wäre ungewiss, die Opposition ist zersplittert. Sollte sich der Verdacht erhärten, dass chemische Waffen zum Einsatz kommen, stellt sich die Frage eines militärischen Eingreifens stärker denn je. Dies werden wir in Luxemburg erörtern.
Die Nato-Parlamentarier wollen über Syrien unter dem Gesichtspunkt der regionalen Sicherheit diskutieren. Würde eine Militärintervention nicht zwangsläufig die Nachbarländer tangieren und in dieser ohnehin spannungsgeladenen Weltgegend einen Flächenbrand heraufbeschwören, der auch Israel bedroht?
Der Konflikt zieht bereits heute die Region in Mitleidenschaft. Der jüngste Luftangriff Israels auf Syrien, um eine Waffenlieferung an die israelfeindliche Schiitenmiliz Hisbollah zu verhindern, hat ein weiteres Schlaglicht auf die Situation im Nahen Osten geworfen. Auch die Flüchtlingsströme, besonders in die Türkei, nach Jordanien und in den Libanon, sind eine große Herausforderung für die Nachbarn. Auf Einschläge syrischer Granaten in der Türkei antwortete die Nato mit der Stationierung von Patriot-Einheiten an der türkisch-syrischen Grenze, zu denen auch 300 deutsche Soldaten gehören. Ob angesichts aktueller Entwicklungen eine Militärintervention in Syrien zum Schutz der Sicherheit in der Region erforderlich wird oder die Gefahr einer Internationalisierung des Konflikts eher zu erhöhen droht, wird unsere Versammlung ebenfalls in Luxemburg diskutieren.
Zum wiederholten Male erörtern die Nato-Parlamentarier die Zukunft Afghanistans. Bisher hat die Versammlung den Plan für einen Abzug der Nato-Truppen bis Ende 2014 unterstützt. Nun scheinen aber die Regierungstruppen kaum in der Lage zu sein, die Taliban in Schach zu halten. Wird Ihnen da nicht mulmig zumute? Welches Konzept schwebt den Nato-Abgeordneten für den Hindukusch nach 2014 vor?
Es ist nicht zu leugnen, dass Afghanistan immer noch vor großen Herausforderungen steht. Wir alle beklagen den neuerlichen Tod eines Bundeswehrsoldaten zutiefst. Es gibt aber auch Positives zu berichten. Ich bin zuversichtlich, dass Afghanistan langfristig in der Lage sein wird, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Dabei wird das Land auch weiter unsere Hilfe benötigen. Die Nato wird sich deshalb über 2014 hinaus am Hindukusch engagieren, aber nicht mit Kampftruppen, sondern durch Unterstützung, Ausbildung und Beratung. Wie das konkret aussehen wird, wollen wir in der Parlamentarischen Versammlung debattieren. Mit der Zusage, zunächst bis zu 800 Soldaten als Trainer und Berater in dem Land zu belassen, hat Deutschland als erstes Nato-Mitglied ein deutliches Signal für eine fortdauernde Übernahme von Verantwortung in Afghanistan gesetzt.
Die Konferenz in Luxemburg widmet sich auch der Lage in Mali. Warum eigentlich? Dort hat Frankreich die Dschihadisten weitgehend geschlagen, und jetzt soll eine UN-Blauhelmmission das Land befrieden. Die Nato ist doch gar nicht gefragt.
Der Konflikt in Mali ist keine rein nationale, sondern eine regionale Krise von internationaler Bedeutung, und sie ist noch lange nicht beendet. Dank der französischen Intervention konnte zwar verhindert werden, dass islamistische Rebellen die Hauptstadt Malis einnehmen. Die Gefahr, dass sich in dieser Region unregierte Gebiete herausbilden, in denen Terroristen Zuflucht finden und der Waffen- und Drogenhandel floriert, besteht jedoch fort. Die Aufgabe unserer Versammlung sehe ich darin, sich mit der Gesamtsituation in diesem Teil Afrikas auseinanderzusetzen - dies insbesondere auch deshalb, da einige ihrer Mitglieder, darunter die deutsche Delegation, aus Staaten kommen, die sich an der UN-Mission in Mali beteiligen.
Was hätte die Nato von einem Engagement in der Sahel-Region? Wie könnte eine solche Initiative aussehen?
Die Erfahrungen in Mali zeigen das Gefahrenpotenzial, das von islamistischen Kräften in der Region ausgeht. Dabei spielt auch der Handel mit Waffen aus dem Libyen-Krieg eine Rolle. Die Folgen für die regionale Sicherheit sind nicht abzuschätzen. Ziel der internationalen Gemeinschaft muss es sein, eine koordinierte Strategie zu entwickeln, um die Region nachhaltig zu stabilisieren. Hierfür könnte auch die Nato ein geeigneter Rahmen sein, etwa durch die Vertiefung bestehender und den Aufbau neuer Partnerschaften mit Ländern der Sahel-Region. (kos/10.05.2013)