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Eine Plenardebatte sowie ein Internet-Chat unter anderem mit der Vorsitzenden Daniela Kolbe (SPD) markieren am Donnerstag, 6. Juni 2013, das Finale der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Das Gremium sollte durch eine über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hinausweisende Neubemessung der Lebensqualität Wege zum nachhaltigen Wirtschaften weisen. Die Entwicklung eines solchen Rechenmodells unter dem Titel "W3-Indikatoren", das Plädoyer für eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte und die Forderung, die ökologischen Grenzen des Planeten auch als Grenzen der Politik zu akzeptieren, zählen zu den Kernbotschaften des rund tausendseitigen Abschlussberichts (17/13300). Die 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftler der Kommission haben diese Expertise in fast zweieinhalbjähriger Arbeit fertiggestellt. Die einstündige Aussprache im Bundestag beginnt etwa um 14.50 Uhr.
CDU/CSU und FDP haben ebenso einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Beratung des Schlussberichts (17/13730) vorgelegt wie SPD und Bündnis 90/Die Grünen (17/13731), über die beide abgestimmt wird.
Die Debatte wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de sowie auf mobilen Endgeräten übertragen.
Vor dieser Debatte können Interessierte zwischen 12 Uhr und 13.30 Uhr das Thema "Lebensqualität und Fortschritt – welche Wege sieht die Enquete-Kommission?" bei einem Internet-Chat mit Daniela Kolbe, Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) als stellvertretendem Vorsitzenden der Kommission sowie den Obleuten Edelgard Bulmahn (SPD), Florian Bernschneider (FDP), Ulla Lötzer (Die Linke) und Dr. Hermann Ott (Bündnis 90/Die Grünen) erörtern.
Erreichbar sind die sechs Parlamentarier unter www.bundestag.de/chat.
Das Gremium hat den Abschlussbericht einstimmig verabschiedet. Dieser Konsens wurde möglich, weil der Text nicht nur die vorwiegend von der schwarz-gelben Koalition geprägten Mehrheitsbeschlüsse enthält, sondern in vielen Sondervoten zudem die Sichtweisen der Oppositionsfraktionen SPD, Linke und Grüne widerspiegelt, weshalb sich alle Seiten in der Expertise wiederfinden können.
Gleichwohl ist im Plenum des Bundestages auch ein politischer Schlagabtausch zu erwarten, da die Gegensätze zwischen den Fraktionen in zentralen Punkten nicht ausgeräumt wurden. Offen ist im Übrigen, wie die Forderungen der Kommission politisch umgesetzt werden sollen – eine Aufgabe des neuen Parlaments, das im September gewählt wird.
Angesichts der erheblichen Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Wohlfahrt durch Umweltzerstörungen, Finanzkrisen und Verteilungsungerechtigkeiten darf sich die Politik nach dem Willen des Gremiums künftig nicht mehr allein an der Steigerung der Wirtschaftsleistung ausrichten, sondern muss verstärkt auch ökologische Erfordernisse und die soziale Balance berücksichtigen.
Dabei sollen sich Bundestag und Regierung fürderhin an einer über das BIP hinausreichenden Neuberechnung des Wohlstands mit Hilfe des von Union, SPD und FDP beschlossenen "W3"-Modells orientieren, dessen Größen "materieller Wohlstand", "Soziales und Teilhabe" sowie "Ökologie" anzeigen sollen, wie es um die Lebensqualität im Land steht.
Diese drei Kriterien werden über zehn "Leitindikatoren" wie etwa Artenvielfalt, Ausstoß von Treibhausgasen, Beschäftigungsquote, Einkommensverteilung oder BIP gemessen. Hinzu kommen zehn weitere Faktoren in Gestalt von neun "Warnlampen" und einer "Hinweislampe".
Die Politik soll aktiv werden, wenn "W3" Alarm schlägt – weil sich etwa der Zustand der Umwelt verschlechtert, der materielle Wohlstand abnimmt oder das Beschäftigungsniveau sinkt.
Nicht geklärt wurde in der Kommission die Frage, welchen Stellenwert in der Praxis Wachstum innerhalb des "W3"-Konzepts haben soll. Nicht zuletzt bei diesem Konflikt dürften im Plenum die Meinungen aufeinanderprallen. Union und FDP beharren auf einem positiven Verständnis von Wachstum, das die finanziellen und technischen Mittel schaffe, um Schuldenabbau, Sozialleistungen und Beschäftigung zu ermöglichen, um Umwelt- und Finanzkrisen zu meistern oder um Nachhaltigkeit zu fördern.
Für die Opposition hingegen ist die traditionelle Wachstumspolitik mitverantwortlich für wirtschaftliche und ökologische Krisen. Man müsse fragen, was wachsen solle und was nicht, sowie prüfen, ob und wie sich Ziele wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Gerechtigkeit oder soziale Sicherheit auch ohne hohe Wachstumsraten erreichen lassen.
Die Koalition plädiert für eine pragmatische Anpassung der sozialen Marktwirtschaft an die Erfordernisse der Nachhaltigkeit und ist überzeugt, dass auf diese Weise ohne tiefgreifende Änderungen der Gesellschaftsstruktur die Integration von Nachhaltigkeit in Ökonomie und Ökologie gelingen werde.
In den Reihen von SPD, Linksfraktion und Grünen hält man indes angesichts der dramatischen Krisen eine "sozialökologische Transformation" für nötig, die Rede ist auch von einer "Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft". Kleinere Anpassungen genügten nicht. Der Staat solle zwar nicht alles dekretieren, müsse aber eine aktive Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund fiel es der Kommission schwer, sich lagerübergreifend auf konkrete Forderungen zu einigen. Verständigt hat man sich etwa auf Vorschläge für eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte und des Bankensystems. Keine Übereinkunft gab es zur Frage, wie eine zukunftsfähige und nachhaltig ausgerichtete Arbeitswelt aussehen soll. Gleiches gilt für die Ressourcenpolitik.
Koalition wie Opposition sind zwar der Auffassung, dass die ökologischen Grenzen des Planeten in manchen Bereichen bereits überschritten sind, beispielsweise bei der Reduzierung der Artenvielfalt oder beim Ausstoß an Treibhausgasen. Nötig sei deshalb eine Reduzierung des Rohstoffverbrauchs. Nicht einigen konnten sich beide Lager freilich darüber, wie dies konkret bewerkstelligt werden soll. (kos/28.05.2013)