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Meinungsumfragen zum möglichen Verhalten in der Wahlkabine und zu aktuellen politischen Themen sind seit Jahrzehnten nicht mehr aus der Berichterstattung wegzudenken. Darin waren sich die Referenten des Themenabends "Die Rolle der Demoskopie in der Politik" der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen am Mittwoch, 12. Juni 2013, einig. Der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap Richard Hilmer, der thüringische Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie Matthias Machnig und der Leiter der Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung in Berlin Nico Fried erläuterten, wie die Umfragen zustande kommen und wie Politiker und Journalisten sie nutzen. Die Diskussion moderierte Prof. Dr. Dr. Heinrich Oberreuter, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen..
Demoskopie sei zu Beginn der Bundesrepublik im Wesentlichen von der Politik in Auftrag gegeben worden, sagte Hilmer. Das habe sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren geändert, als die elektronischen Medien stärker verbreitet wurden. Denn während die Politiker als Auftraggeber nicht immer daran interessiert gewesen seien, die Studien hinterher zu veröffentlichen, hätten die Medien ein großes Interesse daran. Das diene auch der Demokratie. "Sie nehmen ein Stück weit eine Kontrollfunktion wahr."
Hilmer wandte sich gegen die These, die Politik werde nur noch nach Meinungsumfragen gemacht. "Stimmen, die behaupten, die Politik sei ein Sklave der Demoskopie – das ist nun wirklich Unsinn", sagte er. Hätten Politiker sich immer nur nach Umfragewerten gerichtet, hätte es zum Beispiel den Euro nie gegeben.
Sein Institut erhebe nach wie vor meistens über Telefonumfragen. Die Stichproben seien auf diese Weise schnell und präzise. Über Telefon würden breitere Bevölkerungsschichten erreicht als per Internet. Dabei wählten die Meinungsforscher inzwischen auch Mobiltelefone an. Ein bestimmter Teil der Bevölkerung besitze nämlich nur noch einen Handyanschluss.
"Wenn man sich das aus Sicht der Parteien ansieht, muss man zunächst feststellen, sie ist Realität", meinte Machnig über Demoskopie. Die Umfragen seien sowohl ein Stimmungs- als auch ein analytisches, ein Planungs- und ein Kampfinstrument. Sie gäben vor Wahlen nur die Befindlichkeiten der Wähler wieder, prognostizierten aber nicht sicher den Wahlausgang.
Seine Partei habe Demoskopie schon genutzt, um wichtige Themen für den Wahlkampf herauszufinden, sagte der SPD-Politiker. 4.000 Menschen seien regelmäßig befragt worden, um festzustellen, welche Themen gerade aktuell und welche umstritten sind. So eingesetzt könnten die Meinungsumfragen dazu dienen, eine Kampagne zu optimieren.
Eigentlich könnten sie von den Parteien noch sinnvoller genutzt werden, sagte Machnig, der verantwortlich war für die Kampagnen der Sozialdemokraten zu den Bundestagswahlen 1998 und 2002. "Die Umfragen werden nach Wahlen eigentlich nie genutzt." Dabei könnten sie dazu dienen, die Wahlkampagne auszuwerten. In den USA werde so etwas mit großer Professionalität betrieben, davon könnten deutsche Parteien lernen, meinte Machnig.
Die Süddeutsche Zeitung veröffentliche – wie andere Medien auch – alle 14 Tage die Ergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen, erklärte Fried. "Der Einfluss auf die Zeitung ist ein Geschichten und Analysen lenkender." Denn natürlich schauten seine Kollegen und er sich die Umfragewerte einer Partei genau an und würden nach den Gründen fragen, wenn sie beispielsweise dauerhaft im Tief stecke.
Der Fokus der Umfragen habe sich ein wenig verschoben. "Die personalisierten Werte haben enorm an Beliebtheit in der Öffentlichkeit zugelegt", sagte Fried. Das habe natürlich auch mit der Konzentration der Medien auf einzelne Personen zu tun. Inzwischen schaffe sich die Demoskopie ihre eigenen Referenzwerte, wenn sie die Beliebtheitsgrade einzelner Politiker miteinander vergleiche.
Ein negatives Beispiel für den Umgang mit Umfragen sei die Bundestagswahl 2005 gewesen. Die Medien hätten die Werte vor der Wahl zu unkritisch übernommen und sich darauf verlassen, dass sie tatsächlich den Ausgang vorhersagten. "Das hat durchaus zu einer kritischen Debatte in den Medien geführt."
Die sei nach drei Wochen allerdings schon wieder vorbei gewesen und die Journalisten hätten nichts daraus gelernt. Allerdings gelte gleiches für Politiker. Diese riefen teilweise in den Redaktionen an und wollten von den Journalisten wissen, was die aktuellen Zahlen für ihre Politik bedeuteten. (ske/13.06.2013)