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Zu einer scharfen Abrechnung mit der Pflegepolitik der Bundesregierung geriet die Debatte des Bundestages am Donnerstag, 27. Juni 2013, zu zwei Anträgen von SPD (17/9977) und Bündnis 90/Die Grünen (17/13760). Die Opposition warf Schwarz-Gelb völliges Versagen und einen vierjährigen Stillstand vor. Die Koalition verwies dagegen auf das Anfang des Jahres in Kraft getretene Pflege-Neuausrichtungsgesetz.
So sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Prof. Dr. Karl Lauterbach, der damalige Gesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) habe 2010 ein "Jahr der Pflege" angekündigt; stattdessen sei es ein "Jahr der Lüge" gewesen. Die Arbeitskräfte in der Pflege litten unter schwierigen und unsicheren Arbeitsbedingungen, die Patienten beklagten die mangelnde Qualität der Pflege. Deutschland laufe "ohne Wenn und Aber in einen Pflegenotstand", gebe es nicht innerhalb der kommenden vier Jahre eine deutliche Pflegereform.
Lauterbach verwies dabei auf ein Papier der SPD mit Eckpunkten zur Pflege und warf der Koalition vor, mit ihre "Gipfeldemokratie" vom "eigenen Regierungsversagen" ablenken zu wollen. Es spreche für sich, dass die Bundeskanzlerin in dieser Legislatur keine einzige richtungsweisende oder inhaltlich tiefgehende Rede zum Thema Pflege gehalten habe. Mit der Einführung einer Fünf-Euro-Zusatzversicherung habe die Koalition der privaten Krankenversicherung ein "ideologisch geprägtes Wahlgeschenk" gemacht, verbessere die Lage der Pflegebedürftigen aber nicht.
Für die pflegepolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Senger-Schäfer, sei es die "traurige Bilanz" für 2,5 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland, dass die Regierung das Thema vier Jahre lang "verschlafen" habe. Mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz und der Einführung des "Pflege-Bahrs" sei ein "völlig falscher Weg" in der Finanzierung der Pflegeversicherung eingeschlagen worden; der "Privatisierungswahn von Union und FDP" habe die Pflegeversicherung "aus den Angeln der Gerechtigkeit" gehoben.
Vor allem das "Teilkostenprinzip" der Pflegeversicherung sei der Grund vieler Probleme: Weil die Pflegeversicherung nur einen Zuschuss zu den Pflegekosten zubillige, seien viele Betroffene auf Sozialhilfe oder die Unterstützung ihrer Verwandten angewiesen. Das produziere Altersarmut. Es müsse eine Vollversicherung für die Pflege geben; diese müsse als "öffentliche Daseinsvorsorge" begriffen und nicht als "Geschäftemacherei" begriffen werden.
Für die Grünen übte deren Sprecherin für Pflegepolitik, Elisabeth Scharfenberg, heftige Kritik: In der Pflege gebe es einzelne Brandherde, die zunehmend zum Flächenbrand würden - und Schwarz-Gelb habe "das Feuer sogar an einigen Stellen mit Brandbeschleunigern genährt".
Mehr denn je sei eine umfassende Pflegereform nötig. Dass der Gesundheitsminister einen Pflegebeirat erst 2012 eingesetzt und diesem so viel Zeit gegeben habe, dass die Umsetzung seiner Vorschläge in dieser Legislatur gar nicht möglich sei, sei "reine Drückebergerei". Man müsse dringend den Pflege-TÜV abschaffen; dieser gaukele eine Qualität der Einrichtungen vor, die es nur auf dem Papier gebe.
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verteidigte sich gegen die Angriffe: Die Koalition nehme die Wünsche der Menschen, so lange wie möglich zu Hause gepflegt zu werden, ernst und unterstütze auch die pflegenden Angehörigen. Mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz erhielten erstmals Demenzkranke Leistungen aus der Pflegeversicherung, die sonst kein Geld bekommen hätten.
Zudem habe die Koalition für eine bessere Vergütung, eine Verkürzung der Fristen für Leistungsentscheidungen und Alternativen zum "monopolistischen medizinischen Dienst der Krankenkassen" gesorgt. Der Koalition warf er vor, jetzt über mangelnden Bürokratieabbau zu klagen, aber immer, wenn in Einrichtungen Pflegemängel festgestellt würden, mehr Kontrolle und Dokumentationen zu fordern. Zudem sei eine private Vorsorge in der Pflege sinnvoll; dies gelte hier genauso wie in der Rente.
Für die Union sage Willy Zylajew (CDU/CSU), der Antrag der Grünen sei "vor Monaten richtig" gewesen, heute aber "überholt", weil inzwischen Änderungsvorschläge zu den Pflegenoten vorliegen würden. Diese hätten bislang tatsächlich nicht so funktioniert wie gewünscht.
Zum Antrag der SPD sagte Christine Aschenberg-Dugnus, pflegepolitische Sprecherin der FDP, seit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz hätten sich dessen Forderungen "erledigt". Die Umstellung des Pflegebegriffs brauche Zeit.
Die Abgeordneten lehnten den Antrag der SPD mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung von Linken und Grünen ab und folgten dabei der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (17/13319). Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Ddie Grünen wurde mit den Stimmen von Union, FDP und SPD gegen die Stimmen der Grünen und der Linken abgelehnt. (suk/27.06.2013)