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Der Bundestag hat Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) in seiner ersten, konstituierenden Sitzung der neuen Wahlperiode am Dienstag, 22. Oktober 2013, mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Lammert konnte in geheimer Wahl 591 von 625 abgegebenen Stimmen bei 26 Gegenstimmen und acht Enthaltungen auf sich vereinigen. Zu Stellvertretern Lammerts wählte der Bundestag Peter Hintze (CDU/CSU), Johannes Singhammer (CDU/CSU), Edelgard Bulmahn (SPD), Ulla Schmidt (SPD), Petra Pau (Die Linke) und Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen).
Auf Peter Hintze entfielen 449 Ja-Stimmen, 122 Nein-Stimmen bei 51 Enthaltungen und vier ungültigen Stimmen, auf Johannes Singhammer 442 Ja-Stimmen, 115 Nein-Stimmen bei 63 Enthaltungen und sechs ungültigen Stimmen, auf Edelgard Bulmahn 534 Ja-Stimmen, 50 Nein-Stimmen bei 36 Enthaltungen und sechs ungültigen Stimmen, auf Ulla Schmidt 520 Ja-Stimmen, 66 Nein-Stimmen bei 35 Enthaltungen und fünf ungültigen Stimmen, auf Petra Pau 451 Ja-Stimmen, 113 nein-Stimmen bei 45 Enthaltungen und 17 ungültigen Stimmen und auf Claudia Roth 415 Ja-Stimmen, 128 Nein-Stimmen bei 69 Enthaltungen und 14 ungültigen Stimmen. 626 Abgeordneten hatten sich an der Wahl beteiligt.
Gegen das Votum der Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beschloss der Bundestag auf Antrag von CDU/CSU und SPD (18/2), dass die stärkste Fraktion sowie die nächstgrößere Fraktion je zwei Stellvertreter des Präsidenten, jede weitere Fraktion je einen Stellvertreter stellen.
Begründet wurde der Antrag damit, dass die 1994 in die Geschäftsordnung des Bundestages aufgenommene so genannte Grundmandatsklausel auch in der neuen, 18. Wahlperiode beibehalten werden soll. Dennoch bestehe Bedarf, die unterschiedlichen Fraktionsstärken, wenn sie deutlich voneinander abweichen, im Präsidium annähernd abzubilden. Daher sollten Union und SPD je zwei Vizepräsidenten erhalten.
Der Erste Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU, Michael Grosse-Bröme, begründete den Antrag mit den vielfältigen Aufgaben des Parlaments und dem Interesse an einem "starken Präsidium". Auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, hielt ein siebenköpfiges Präsidium nicht für unangemessen groß für ein Parlament mit 631 Abgeordneten.
Oppermann sicherte der Opposition Gesprächsbereitschaft bei Minderheitenrechten zu, wenn es etwa um öffentliche Anhörungen, die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oder um Redezeiten im Plenum gehe: "Wir werden einen Konsens bekommen." Grosse-Brömer nannte Kritik an dieser Regelung "falsch und kleinlich".
Das sahen Dr. Petra Sitte und Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerinnen der Linksfraktion und von Bündnis 90/Die Grünen anders. Diese Geste habe ein "Geschmäckle" und werde nicht als vertrauensbildende Maßnahme wahrgenommen, sagte Sitte. Die Aufgaben der Opposition würden mit weniger Abgeordneten gewaltiger. Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach die herausgehobene Stellung der Opposition betont.
Britta Haßelmann bemängelte, dass die Vergrößerung des Präsidiums nicht sachlich begründet werde, sondern mit dem Wunsch der SPD nach "Augenhöhe" mit der CDU/CSU. Das Signal, das nach außen gegeben werde, sei: Eine Große Koalition wird teuer. Beide Fraktionen lehnten den Antrag ab.
Einstimmig bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und einiger Abgeordneter der Linksfraktion beschloss der Bundestag auf Antrag von Union und SPD (18/1), dass die Geschäftsordnung des Bundestages, die Gemeinsame Geschäftsordnung von Bundestag und Bundesrat für den Vermittlungsausschuss nach Artikel 77 des Grundgesetzes, die Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuss, die Geschäftsordnuhng für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes (dringliche Gesetzesvorlagen) und die Richtlinien zur Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR für die neue Wahlperiode übernommen werden.
Der alte und neue Bundestagspräsident wies darauf hin, dass im Bundestag mit 230 neuen Mitgliedern weniger Männer und mehr Frauen, mehr jüngere und weniger ältere Abgeordnete sitzen als in der letzten und in früheren Wahlperioden. Auch habe es noch nie so viele Abgeordnete mit einem Einwanderungshintergrund gegeben.
Lammert hob hervor, dass mit der konstituierenden Sitzung auch die Amtszeit der Bundesregierung endet. Die dann im Amt befindliche geschäftsführende Bundesregierung bedürfe nicht weniger der parlamentarischen Kontrolle als eine gewählte. Der Bundestag werde seine Arbeit nicht erst nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen aufnehmen.
Als "parlamentarische Hausaufgaben" nannte Lammert, dass geklärt werden müsse, ob Änderungen in der Geschäftsordnung oder in Gesetzen nötig und möglich sind, um die Rechte der Opposition zu wahren. Die Minderheit müsse wissen, dass die Mehrheit entscheidet, was gilt. Die Mehrheit müsse akzeptieren, dass die Minderheit bis dahin ihre Vorschläge und Alternativen zur Geltung bringen können muss. Alle Fraktionen hätten sich grundsätzlich dazu bereit erklärt.
Ferner machte der Bundestagspräsident auf die notwendige neue Balance zwischen Zahl und Umfang der Beratungsgegenstände und der zur Verfügung stehenden Zeit aufmerksam. Mit fast 15.000 Drucksachen sei in den vergangenen vier Jahren ein "zweifelhafter Rekord" von parlamentarischen Initiativen aufgestellt worden, darunter 900 Gesetzesvorhaben, von denen 553 verabschiedet worden seien.
Das Parlament werde nicht daran vorbeikommen, so Lammert weiter, entweder die Zahl der Sitzungswochen zu erhöhen oder den Ehrgeiz in der Produktion von Papieren stärker zu disziplinieren. Auch seien Parlamente keine Instrumente zur Beschleunigung, sondern zur Legitimierung von Entscheidungen, was Sorgfalt und Gründlichkeit voraussetze. Die gewöhlich mittwochs stattfindenden Regierungsbefragungen und Fragestunden seien beides keine "Glanzstücke des Parlaments", so der Präsident weiter. Beide sollten in "lebendigerer Weise" neu geregelt werden.
Schließlich regte Lammert auch an, das in diesem Jahr geänderte Wahlrecht noch einmal in den Blick zu nehmen. Ganze vier Überhangmandate hätten zu 29 Ausgleichsmandaten geführt. Es lasse sich ahnen, welche Größenordnung das Parlament bei einem knapperen Wahlausgang hätte annehmen können. Lammert riet dazu, noch vor der nächsten Bundestagswahl einen sorgfältigen Blick auf die Regelungen zu werfen.
Sollte es große Mehrheiten geben, so der Präsident, werde die Urteilsbildung im Parlament noch wichtiger als bei knappen Mehrheiten. Ein Parlament müsse die Auffassungen zum Ausruck bringen, die es unter den Abgeordneten und Wählern gibt. Die "offene Rede" sei möglich und manchmal sogar nötig.
Zu Beginn hatte Lammert seinem Amtsvorgänger Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD) gedankt, der 15 Jahre im Präsidium des Bundestages vertreten war und als ehemaliges Mitglied der frei gewählten Volkskammer den Aufbruch der neuen Länder in die Demokratie fast ein Vierteljahrhundert lang begleitet habe. Der frühere Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP) gehörte dem Bundestag 33 Jahre lang an, davon 15 Jahre dem Präsidium. Stellvertretend für alle ausgeschiedenen Abgeordneten dankte Lammert Eduard Oswald (CDU/CSU), der als Abgeordneter drei Fachausschüsse geleitet hat und zuletzt Vizepräsident des Bundestages war.
Lammert erinnerte schließlich daran, dass das Parlament keine Versammlung von Helden und Heiligen, sondern von Volksvertretern sei, nicht besser und nicht schlechter als andere. Volksvertreter eben.
Eröffnet hatte die Sitzung der CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, mit 77 Jahren der älteste Abgeordnete und damit bereits zum zweiten Mal Alterspräsident. Er hieß Bundespräsident Joachim Gauck, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Altbundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler, die früheren Bundestagspräsidenten Dr. h.c. Wolfgang Thierse, der an diesem Tag seinen 70. Geburstag feierte, und Prof. Dr. Rita Süssmuth auf der Tribüne des Plenarsaals willkommen.
Riesenhuber erinnerte an die FDP-Abgeordneten, die dem neuen Bundestag nicht mehr angehören und dankte den ausgeschiedenen Abgeordneten, die "uns verbunden bleiben", für ihre Arbeit. Dabei ging er auch auf das Ausscheiden der FDP ein, die seit Gründung der Bundesrepublik die deutsche Politik in "liberalem Geist" mitgestaltet habe.
Riesenhuber zeichnete ein Bild der Gegenwart Deutschlands in "unübersichtlicher Zeit": Deutschland sei stark in der Gemeinschaft Europas mit mehr Arbeitsplätzen als je zuvor und einer innovationsstarken Industrie auf den Weltmärkten. Er nannte die Tarifpartnerschaft, die Wissenschaft, die Qualitätspresse, den Rechtsstaat, die "tüchtige" Verwaltung und die repräsentative Demokratie, "vielfältig wie das deutsche Volk".
Als "komplexe Herausforderungen" skizzierte der Alterspräsident den demografischen Wandel, den es als Chance zu begreifen gelte. Die "Chance zum Aufstieg" als Merkmal der sozialen Marktwirtschaft müsse ermöglicht werden. Riesenhuber warb für lebenslanges Lernen, Aufstieg, Durchlässigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und lebendige Wahlfreiheit. Männer und Frauen sollten gleiche Chancen haben, das zu verwirklichen, was sie können.
Die Energiewende bezeichnete Riesenhuber als "Riesenprojekt". Der kurzfristige Ausstieg aus der Kentechnik, der mittelfristige aus Kohle und Öl seien entschieden. Wenn es gelinge, das "Reich der erneuerbaren Energien" bei erträglichen Kosten zu errichten, sei dies eine einzigartige Chance für deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten.
Als weitere Herausforderung ging der Alterspräsident auf den Zusammenhalt Europas ein. Dafür gebe es keinen Masterplan. Die EU müsse aus Prinzipien wie dem, dass Hilfe nur wirksam wird, wenn jeder Staat aus eigener Kraft seine Zukunft gestaltet, neu erfunden werden.
Die deutsche Wissenschaft sei besser geworden, der Innovationswettbewerb sei aber nur zu gewinnen, wenn man schneller und besser sei als andere. Mit Blick auf die Aufgabenverteilung im Grundgesetz auf diesem Gebiet richtete sich Riesenhuber an die Ländervertreter auf der Bundesratsbank mit der Bemerkung, er sehe hier "zukunftsweisenden Gesprächen" entgegen.
Riesenhuber rief dazu auf, die Legislaturperiode mit "Tatkraft und Zuversicht" zu beginnen: "Stillstand darf nicht sein." Für Deutschland und die Zukunftskraft der Landes könne es nur gut sein, wenn die Abgeordneten fraktionsübergreifend "auch ein Bier miteinander trinken". Er rief dazu auf, daran zu arbeiten, dass Deutschland ein guter Ort ist, um zu leben, zu arbeiten und Kinder großzuziehen. (vom/22.10.2013)