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Der Geheimdienstexperte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Hans-Christian Ströbele, ist sich sicher, dass es in jedem Fall einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre geben wird. Dabei müsse es auch um die Rolle der deutschen Geheimdienste und der Bundesregierung gehen. "Es ist eigentlich kaum nachvollziehbar, dass sie gar nichts davon wussten", sagt Ströbele in einem am Montag, 25. November 2013, veröffentlichten Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Das Interview im Wortlaut:
Herr Ströbele, die Grünen und Die Linke fordern einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre. Union und SPD plädieren eher dafür, die Vorgänge durch das Parlamentarische Kontrollgremium aufklären zu lassen. Welche Vorteile hätte ein Untersuchungsausschuss gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium?
Ein Untersuchungsausschuss hat ganz andere rechtliche Möglichkeiten der Aufklärung. Er kann Zeugen laden, die auch vereidigt werden können. Wenn sie die Unwahrheit sagen, ist das strafbar. Das ist ein Unterschied zum Parlamentarischen Kontrollgremium, wo Zeugen eigentlich gar nicht vorgesehen sind. Und wenn Mitarbeiter bis hin zu den Präsidenten der Dienste vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium Angaben machen, fehlt die Wahrheitspflicht und vor allen Dingen auch eine Konsequenz, wenn mal etwas Falsches gesagt wird.
Die Zeugen müssen vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium nicht wahrheitsgemäß antworten?
Man soll im Leben immer die Wahrheit sagen. Aber nur bestimmte Aussagen sind, wenn sie falsch sind, strafbewehrt. Das ist im Parlamentarischen Kontrollgremium nicht der Fall. Das kann politische oder dienstrechtliche Folgen haben, aber es hat keine strafrechtlichen Folgen.
Wie müsste das Parlamentarische Kontrollgremium ausgestattet sein, um seine Aufgaben künftig noch besser erfüllen zu können?
Die Arbeitsfähigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums muss erheblich erweitert werden. Bisher können die einzelnen Abgeordneten zwar Mitarbeiter beschäftigen. Diese dürfen aber nicht an den Sitzungen teilnehmen. Der Abgeordnete kann ihnen nur hinterher einen Überblick über das Besprochene geben. Eine ausreichende Zuarbeit ist damit nicht möglich. Die Arbeit muss zudem transparenter werden. Zwar gibt es im Anschluss an die Sitzung in Einzelfällen die Möglichkeit, öffentlich eine Bewertung vorzunehmen. Wir dürfen nie sagen, was wir im Gremium erfahren haben. Nicht zwingend geheime Sachverhalte müssen auch in einer öffentlichen Anhörung erörtert werden können.
Reicht die Auskunftspflicht von Geheimdienstbehörden gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium aus?
Tja, es gibt zwar das Gesetz, wonach die Bundesregierung über Vorkommnisse von besonderer Bedeutung von sich aus informieren muss. Das tut sie aber sehr häufig nicht. Wir stellen das immer wieder manchmal erst Jahre später fest, etwa nach journalistischen Recherchen und Medienberichten. Die wirklich prekären Sachen, die berichten die Bundesregierung und die Dienste von sich aus fast nie. Ich habe auch schon erlebt, dass sich eine Unterrichtung nachträglich als nicht richtig erwiesen hat.
SPD-Fraktionschef Steinmeier meinte, ein Untersuchungsausschuss mache deswegen keinen Sinn, weil amerikanischen Zeugen nicht erscheinen würden und US-Dokumente nicht übergeben werden.
Da gibt es ganz wenig Hoffnung, das stimmt. Aber dieser Ausschuss hätte in erster Linie die Aufgabe herauszufinden, was die deutschen Dienste gemacht haben, vielleicht mit der NSA zusammen. Zweitens sollte er klären, was die deutschen Dienste und die Bundesregierung gewusst haben. Denn es ist eigentlich kaum nachvollziehbar, dass sie gar nichts davon wussten. Schließlich lebt der Bundesnachrichtendienst auch von den Informationen von NSA und CIA. Das ist auch bekannt.
Ohne Zustimmung der SPD oder der Union wird es nichts werden mit einem Untersuchungsausschuss.
Der Ausschuss kommt mit Sicherheit, wenn die Grünen und Die Linke das wollen. Wenn eine Große Koalition der Opposition dieses Recht verwehrt, dann bin ich sicher, dass wir in wenigen Monaten eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu haben. Niemand kann Interesse daran haben, dass hier eine zahnlose Opposition im Bundestag über vier Jahre alleine ist.
Macht ein Untersuchungsausschuss ohne die Befragung Edward Snowdens Sinn?
Einen Untersuchungsausschuss wird es wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres geben, und bis der richtig zu arbeiten anfängt, vergehen noch mal viele Wochen. Das heißt, erst dann wird der Ausschuss entscheiden: Brauchen wir Snowden oder nicht? Dagegen steht natürlich die Behauptung des Bundesinnenministers, Herrn Friedrichs, Snowden erhalte hier kein Asyl. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, dass er hier einen Aufenthalt bekommt.
Zum Beispiel?
Aus politischen und humanitären Gründen kann der Bundesinnenminister ihm Aufenthalt gewähren. Und man kann darauf hinwirken, bei Behörden und Parlamentariern in den USA selbst eine zumindest tolerierende Haltung in dieser Frage zu erreichen. Ich habe deshalb auch an Kongressabgeordnete geschrieben und eine Antwort bekommen, die nicht unerfreulich ist. In dieser Woche wird eine US-Kongressdelegation hier sein. Da wird sicher noch nicht alles geklärt werden, aber wir werden intensive Gespräche auf Parlamentsebene haben. Ich bin da guter Hoffnung.
Sie haben sich in der vergangenen Woche auch mit britischen Abgeordneten getroffen. Wie geht man in Großbritannien mit der Affäre um?
Ich habe dort mit insgesamt zwölf Abgeordneten aus allen Fraktionen gesprochen. Und wir waren uns darüber einig, dass es Aufgabe der Parlamente in der EU ist, sich intensiver über die Arbeit und die Befugnisse der Kontrollgremien auszutauschen. Da kommt etwas in Gang.
Wird dort auch über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses diskutiert?
Nein. Die Diskussion dreht sich mehr um die Frage: Hat der "Guardian" sich durch die Veröffentlichung der Snowden-Dokumente strafbar gemacht? Großbritannien ist eigentlich das Land, von dem wir gelernt haben, was Pressefreiheit und investigativer Journalismus sind. Und ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass die jetzt mit einem liberalen Blatt so umgehen. Der Kampf gegen den Terror darf nicht zu unverantwortlichen Eingriffen in Grundrechte, in Verfassungsrechte, in die Privatsphäre, in die Freiheit der Kommunikation der ganzen Bevölkerung führen.
Ist es für Sie in dem Zusammenhang ein Argument zu sagen, wir dürfen auf keinen Fall eine Verschlechterung des Verhältnisses zu den USA riskieren?
Nicht Snowden ist Schuld an diesem größten Spionageskandal der Weltgeschichte. Die liegt vor allem bei der NSA und bei den Briten. Weder in den USA noch in Großbritannien kommt irgendeiner ernsthaft auf den Gedanken, da könnten Beziehungen abgebrochen werden, weil wir überlegen, Snowden als Zeugen zu laden.
Snowden ist mit seinem Handeln ein sehr hohes Risiko eingegangen. Haben Sie den Eindruck, dass er sich dessen völlig bewusst war?
Ganz eindeutig ja. Herr Snowden hat mir bei meinem Besuch in Moskau sehr ernst klargemacht, dass er sich darüber bewusst war und ist. Aber er ist der Auffassung, dass er das machen muss.
Gibt es ein Recht, vielleicht sogar eine Plicht zum Geheimnisverrat, wenn Regierungen den legalen Pfad des Handelns verlassen?
Es gibt sicher keine einklagbare Pflicht, aber es gibt eine moralische Verpflichtung als Humanist, als Demokrat solche Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Natürlich darf dadurch niemand persönlich zu Schaden kommen, aber das ist in dieser Affäre meines Wissens bisher auch nicht geschehen.
Nicht nur die NSA, auch der Bundesnachrichtendienst hat Interesse an bestimmten Informationen. Bespitzelt der BND auch Bürger oder Regierungsmitglieder im Ausland?
Ich gehe davon aus, dass auch die deutschen Dienste im Ausland Regierungsstellen beobachten. Die entscheidende Frage ist aber: Machen sie das nur in Ländern, die sowieso in Betracht kommen, etwa Syrien, Pakistan oder Afghanistan? Da spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür. Aber dass die jetzt Herrn Obama ausspionieren, halte ich für unwahrscheinlich.
(che/aw/25.11.2013)