Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Für manche ist es ein lang gehegter Traum, für andere kommt es eher zur Unzeit: Martina Renner, Innenpolitikerin der Fraktion Die Linke, musste jedenfalls gründlich nachdenken, als ihre Partei sie fragte, ob sie nicht für den Wahlkreis Gotha bei der Bundestagswahl 2013 antreten wolle. „Ich war mitten in meiner ersten Legislaturperiode als Abgeordnete im Thüringer Landtag“, erinnert sich die 47-Jährige. Und fast noch wichtiger: Mittendrin in der Arbeit als Obfrau im Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, der seit 2012 die Verantwortung der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden im Zusammenhang mit den Morden des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) untersucht.
Die Bundestagskandidatur reizte sie natürlich. „Aber die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen“, sagt Renner. „Ich wollte die Arbeit im Untersuchungsausschuss gerne beenden. Das war doch mein Thema.“ Ihr Thema – das ist die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, insbesondere mit der Neonazi-Szene in Deutschland. Dazu publiziert die Politikerin mit den kinnlangen, dunklen Haaren und der ovalen, ebenso dunklen Brille, und dazu hält sie Vorträge.
Bereits als Jugendliche engagierte sich die gebürtige Mainzerin in „antifaschistischen Gruppen“, demonstrierte gegen die Aktivitäten von Neonazi-Vereinigungen wie der seit 2011 verbotenen „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“. „Deren Vorsitzende, Ursula Müller, hatte damals nur wenige Straßen von meiner Schule in Mainz-Gonsenheim entfernt eine Gärtnerei“, erzählt die Abgeordnete.
Auch in Bremen, wo sie nach dem Abitur unter anderem Philosophie und Kulturwissenschaften studiert, ist sie politische aktiv: Von 1993 bis 1995 gehört Renner zum Vorstand des Allgemeinen Studierendenausschusses.
Nach dem Abschluss arbeitet sie zunächst als Bildungsreferentin und als Kulturmanagerin. Doch ihr eigentliches Ziel hat sie klar vor Augen: „Ich wollte Politik machen. Eine berufliche Karriere in einem meiner Fächer war zu keinem Zeitpunkt so wichtig wie die Politik.“
So zögert Renner auch nicht lange, als sie von der PDS geworben wird, 1999 als Spitzenkandidatin für die Bremische Bürgerschaft zu kandidieren. Mit 2,89 Prozent Stimmen verpasst Renner zwar deutlich den Einzug, gehört dann aber bis 2001 dem PDS-Landesvorstand in der Hansestadt an.
2002 wechselt Renner schließlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin der PDS-Fraktion in den Thüringer Landtag nach Erfurt. „Diese Stelle war ein Glücksfall, ausgerechnet im Bereich der Innenpolitik, wo mein Herzblut fließt“, erzählt Renner lebhaft. „Von da an konnte ich Politik und Beruf zusammenbringen – ein großer Luxus.“
Im Osten akklimatisiert sich die lebhafte Frau schnell: Inzwischen wohnt sie seit Jahren mit Mann und Kindern in einem Bauernhaus am Rande des Thüringer Waldes: „Bei vielen Wessis im Osten erlebe ich so eine Larmoyanz. Sie jammern, dass sie zurück möchten oder sich so fremd fühlen…“.
Sie selbst habe sich immer angenommen gefühlt, auch in der Partei. „Das netteste Kompliment, das ich bekommen habe ist: Bei dir merkt man gar nicht so, dass du Wessi bist“, erzählt Renner lachend.
2009 kandidiert sie erfolgreich für ein Landtagsmandat, profiliert sich schnell als innenpolitische Sprecherin und Vize-Fraktionschefin der größten Oppositionsfraktion. Insbesondere auch als Obfrau im NSU-Ausschuss hat sich die Rechtsextremismus-Expertin mit ihrem differenzierten Urteil einen Namen gemacht. Die Kehrseite ihres Engagements: Eingeworfene Scheiben in ihrem Wahlkreisbüro und Drohbriefe gehören für die Politikerin zum Alltag. Die lokale Neonaziszene will sie einschüchtern.
Diesen Gefallen tut Renner ihnen aber nicht: „Für nichtrechte Jugendliche oder Migranten ist die Situation viel schlimmer. Körperlich angegriffen wurde ich zum Glück noch nie. Das Unangenehmste war, als sie Wahlplakate angezündet und auf mein Auto geworfen haben. Doch die waren selbstlöschend. Es ist kein großer Schaden entstanden.“ Trotz dieser tagtäglichen Bedrohung – ans Aufhören hat die Abgeordnete noch nie gedacht. „Nein, wenn man sich – wie ich – für ein Thema engagiert, dann ist man damit verbunden.“
Die Arbeit im Thüringer NSU-Ausschuss hat sie zudem zur scharfen Geheimdienstkritikerin gemacht: „Der Verfassungsschutz in Thüringen wurde politisch instrumentalisiert als Bollwerk und Geschosslieferant gegen Gewerkschafter, Kirchenaktivisten oder gegen meine Partei, die PDS. Er ist delegitimiert und muss grundlegend reformiert werden“, fordert sie.
Die Auseinandersetzung mit Geheimdiensten und der Kampf gegen den Rechtsextremismus sind schließlich auch die Triebfedern, doch für den Bundestag zu kandidieren: „Man hat eine ganz andere Reichweite – und vielleicht kann ich hier auch mehr bewegen.“
Der im März vom Bundestag eingesetzte NSA-Untersuchungsausschuss, der die Ausspähung durch den US-amerikanischen Geheimdienst und die Verwicklung des deutschen Bundesnachrichtendienstes aufklären soll, bietet ihr dafür eine willkommene Bühne. „Wir wollen die ganze Historie der NSA-Affäre aufdecken. Die Überwachung ist nicht erst seit 2013 ein Problem. Alle Kontrollmechanismen haben versagt - auch das wollen wir zeigen“, stellt die Obfrau der Linken im Gremium klar.
Dass dazu Whistleblower Edward Snowden im Ausschuss als Zeuge gehört werden muss, ist für sie selbstverständlich. Ihn aufgrund des Auslieferungsgesuchs der USA nur als Sachverständigen außerhalb Deutschlands zu befragen, wie es CDU/CSU-Mitglieder im Ausschuss wie Andrea Lindholz vorgeschlagen haben, ist für sie keine Option. „Die Aussage eines Zeugen ist ein Beweismittel. Die Aussage eines Sachverständigungen nicht.“
So sehr Renner die Arbeit als Bundestagsabgeordnete als „Privileg“ empfindet, so sehr fehle ihr auch die Zeit für das wissenschaftliche Arbeiten und Publizieren, sagt sie: „Trotz der Schnelllebigkeit des politischen Tagesgeschäfts möchte ich mir für langfristige Projekte weiterhin Zeit nehmen.“
Zeit fehlt auch für die Arbeit mit den eigenen Händen, im Garten daheim, wo Renner neben allerlei Obstsorten auch Gemüse anbaut. Doch in Sitzungswochen bleiben Bohnen, Mangold und Kohlrabi oftmals ungeerntet: „Man sieht dem Garten leider an, dass ich im Bundestag bin.“ (sas/14.07.2014)