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Sie sprüht vor Energie, ist seit fast zehn Jahren Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und war drei Jahre Mitarbeiterin im Europaparlament. Sie studierte Völkerrecht, schloss mit dem Master in Public International Law (LL.M.) an der London School of Economics ab und begann eine Promotion über Naturkatastrophen und humanitäre Hilfe an der Freien Universität in Berlin. Und eine kleine Tochter hat sie auch. Annalena Baerbock ist noch nicht einmal 34 Jahre, seit 2013 Bundestagsabgeordnete und klimapolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Wer sie trifft, denkt sofort: Hätten wir mehr junge Politiker mit dem Format von Annalena Baerbock, müssten wir uns um die Zukunft der politischen Kultur keine Sorgen zu machen.
Annalena Baerbock kommt aus einem kleinen Ort in der Nähe von Hannover und interessierte sich schon als Kind für Politik.
Mit einem Schmunzeln über sich selbst sagt sie: „Globale Herausforderungen und die Zerstörung unseres Planeten haben mich aus irgendeinem Grund schon als Kind sehr bewegt. In meinem Kinderzimmer hing das Greenpeace-Plakat „Erst wenn der letzte Baum gerodet…“ und die Umwelt-AG war selbstverständlich. Zum Unmut meiner Mitschüler habe ich mit einer Freundin in der Grundschule durchgesetzt, dass wir als Protest gegen den damaligen Irak Krieg kein Fasching feiern. Das war sicherlich auch stark durch meine Eltern geprägt. Ich wurde einfach mitgenommen auf Demos, gegen den Nato-Doppelbeschluss oder gegen Atomkraft. Diskussionen über die Krisen dieser Welt gehörten bei uns irgendwie mit dazu. Lange Zeit war für mich klar: Darüber will ich auch später mal berichten und Reporterin aus Krisenregionen werden.“
Nach dem Abitur studierte Annalena Baerbock aber nicht Journalismus, sondern Politikwissenschaften, öffentliches Recht und Völkerrecht in Hamburg und London. Während des Studiums arbeitete sie als freie Mitarbeiterin bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und hospitierte beim Norddeutschen Rundfunk und der Deutschen Presseagentur, denn so ganz hatte sie ihr Vorhaben, einmal in den Journalismus zu gehen, noch nicht aufgegeben.
Doch ein Praktikum im Europarat in Straßburg und Europäischen Parlament bekräftige ihre Leidenschaft, durch internationale Zusammenarbeit Frieden zu schaffen. Sie sagt: „Wenn im Europaparlament eine portugiesische Konservative mit einem dänischen Linken über die neue Strukturförderung in Europa streitet und Nationalität so gut wie keine Rolle spielt, dann spürt man das manchmal sehr abstrakt klingende Friedensprojekt Europa hautnah.“
Zugleich weiß Annalena Baerbock, wie jung und auch zerbrechlich dieses für ihre Generation fast selbstverständlich gewordene grenzenlose Europa ist.
Sie sagt: „Ich hatte die große Ehre, am 1. Mai 2004 um Mitternacht auf der Oderbrücke zwischen Frankfurt an der Oder und dem polnischen Słubice die EU-Osterweiterung feiern zu dürfen. Als bei Feuerwerk die Europahymne über den ehemaligen Grenzfluss ertönte und der damalige Außenminister Joschka Fischer und sein polnischer Amtskollege symbolisch die Grenze durchschnitten, blieb so gut wie kein Auge trocken. Auch solche Momente prägen. Und zugleich zeigen jüngste Diskussionen über eine angebliche Grenzkriminalität und Ressentiments gegenüber so sinnvollen Projekten wie einer gemeinsamen Straßenbahn zwischen beiden Städten, dass die europäische Integration kein Selbstläufer ist. Es gilt weiter jeden Tag für das Friedensprojekt Europa zu werben. Ganz bewusst habe ich daher auch als heutige Bundestagsabgeordnete zusätzlich zu meinem Wahlkreisbüro in Potsdam auch in der Grenzregion Ostbrandenburg ein Bürgerbüro.“
Diese Begeisterung für die europäische Idee verschlug Annalena Baerbock 2005 gänzlich nach Brandenburg. Nach ihrem Abschluss des Masterstudiums an der London School of Economics and Political Science fragte die bündnisgrüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter Annalena Baerbock, ob sie ihr Büro in Potsdam unterstützen wolle.
Und dann ging es auch los mit den Grünen: „Ich hatte einige Zeit mit dem Parteieintritt gehadert, weil ich irgendwie dachte, man müsste hinter jedem grünen Punkt und Komma stehen. Aber schon bei meinem Praktikum merkte ich, dass man bei den Bündnisgrünen mit guten Ideen auch als ganz normales Mitglied sehr viel selbst gestalten und bei Bedarf auch verändern kann.“
Annalena Baerbock ist alles andere als der Typ Karteikastennummer. Was sie macht, tut sie ganz oder gar nicht. Für sie war es keine Frage, dass sie sich in der Partei engagiert und inhaltlich einbringt. „Es macht mir einfach Spaß, aktiv zu sein“, sagt sie, und es klingt sehr überzeugend.
Als Büroleiterin einer Europaabgeordneten aus Brandenburg spielten die Themen Klimaschutz, Energiewende und Kohleabbau von Anfang an eine große Rolle in ihrer beruflichen und politischen Arbeit. Zugleich profitierte sie auch hier und dann ab 2008 als Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Bundestagsfraktion der Grünen von ihrer völkerrechtlichen und europapolitischen akademischen Ausbildung.
Dass sie irgendwann in ein Parteiamt gewählt werden würde, war nur folgerichtig, denn jede Partei kann sich glücklich schätzen, so engagierte Mitglieder zu haben. Gemeinsam mit Benjamin Rasche kandidierte Annalena Baerbock 2009 für den Landesvorsitz der Grünen in Brandenburg. Beide wurden in eine Doppelspitze gewählt – was in allen Landesverbänden der Grünen selbstverständlich ist.
Annalena Baerbock erinnert sich: „Wir waren damals nach 15 Jahren endlich wieder in den Landtag eingezogen. Das hieß für uns als neue Landesvorsitzende vor allem, einen sehr kleinen und vor allem ehrenamtlich arbeitenden Landesverband neu aufzustellen und an professionellen Strukturen zu arbeiten. Der große Vorteil war, dass klar war, dies geht nur als Team oder gar nicht. Und ich bin auch heute noch überzeugt, dass unser gestärkter Wiedereinzug in den Brandenburger Landtag jetzt im Herbst 2014 auch darauf zurückzuführen ist, dass wir bei uns - anders als in einigen anderen Landesverbänden - weder organisierte parteipolitische Flügel noch persönliche Rivalitäten zwischen den Ko-Vorsitzenden und auch nicht zwischen Partei und Fraktion hatten und haben. Diese vertrauensvolle und vor allem auch persönliche Zusammenarbeit fehlt mir heute im Berliner Karussell manchmal etwas.“
Damals war Annalena Baerbock 28 Jahre jung und bewies neben ihrer Leidenschaft für Politik in ihren vier Jahren als Landesvorsitzende, dass sie analysieren und politische Themen weiterentwickeln kann. Das blieb ihrer Partei nicht verborgen. Bereits mit Parteieintritt engagierte sie sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa und wurde 2008 deren Sprecherin. Ein Jahr später entsandten sie die deutschen Grünen als Vorstandsmitglied in die Europäische Grüne Partei.
Vorausgegangen war eine heiß umstrittene Globalalternative zur Präambel des Europawahlprogramms 2009, die Annalena Baerbock mit eingebracht hatte und die dann auch größtenteils ins Wahlprogramm übernommen wurde. Sie sagt: „Da merkte ich, dass man bei uns in der Partei auch wirklich inhaltlich was verändern kann. Dazu braucht man allerdings auch Mitstreiter, Durchsetzungskraft und darf die Konfrontation in der Diskussion nicht scheuen.“
Vor der Bundestagswahl 2013 stand der Brandenburger Landesverband der Grünen vor der Frage: Wer wird Kandidat für die Bundestagswahl, nachdem die bisherige und einzige Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Brandenburg ihren Rückzug angekündigt hatte? Der Name Annalena Baerbock stand ganz oben auf der Vorschlagsliste, obwohl es auch andere Mitglieder gab, die Interesse signalisierten.
Sie sagt: „Nach vielen Jahren ehrenamtlicher Arbeit innerhalb der Partei wollte ich gerne parlamentarisch daran mitwirken, unsere Erde ökologischer und gerechter zu machen und unsere Brandenburger Erfahrungen in der Klima- und Energiepolitik mit in die grüne Fraktion einzubringen. Als leidenschaftliche Europäerin war und ist es mir zudem echt wichtig, ein wachsames Auge darauf zu haben, dass der Blick über den nationalen Tellerrand im Tagesgeschäft nicht verloren geht. Denn egal ob Energiewende, Zukunft der Währungsunion oder Handelspolitik: Eine Politik des nationalen Kämmerleins trägt in einer globalisierten Welt nicht. Doch natürlich war der Respekt vor der neuen Aufgabe auch enorm groß – gerade auch mit kleinem Kind.“
Nachdem Annalena Baerbock zur Direktkandidatin auf Listenplatz eins gewählt war, startete sie in den Wahlkampf. Nicht nur in ihrem Wahlkreis Potsdam - Potsdam-Mittelmark II - Teltow-Fläming II, sondern in ganz Brandenburg, denn das Bundesland ist groß, die Anzahl der Mitglieder aber klein.
Sie erinnert sich: „Wahlkampf heißt vor allem, vor Ort sein. Wenn man nicht zu den Promis gehört, sind das dann selten große Bühnen, sondern vor allem direkte Gespräche im kleinen Kreis: in Unternehmen, Sportvereinen, Schulen und bei Bürgerinitiativen, in wissenschaftlichen Institutionen und natürlich auf Marktplätzen. Das Gute daran: Mir machen diese persönlichen Gespräche echt Spaß. Denn man merkt, was die Leute wirklich bewegt und lernt immer wieder auch eine Menge selbst dazu.“
Annalena Baerbock war dabei auch schnell klar, dass das Steuerthema in Brandenburg so gut wie keine Rolle spielte. „Wenn ich in der Lausitz bin, dann wollen die Leute darüber diskutieren, wie es mit der Zukunft der Kohle aussieht. Über Spitzensteuersatz redet da niemand, da ist man in unserer Region weit von entfernt.“
Zwar konnte sie sich auf dem Bundesparteitag gemeinsam mit anderen zumindest damit durchsetzen, dass das Thema Kohleausstieg eines der Schlüsselprojekte im Wahlprogramm wird. Schwerpunktthema wurde es aber nicht. „Das wir unsere Kernthemen wie Klima, aber auch Landwirtschaft, nicht in den Mittelpunkt gestellt haben – aus meiner Sicht aus Rücksicht auf die SPD – war echt ein Fehler“, sagt Baerbock und man merkt, dass sie sich noch heute ärgert. Das Wahlplakat mit dem Braunkohle-Bagger und dem Slogan „Brandenburg hat genug abgebaut“, das der Landesverband Brandenburg dann selbst und sehr zum Unmut der Wahlkampfführung druckte, hängt heute an ihrer Bürotür im Bundestag.
Annalena Baerbock ist eine authentische Politikerin, die auf Menschen zugehen kann und mit Leidenschaft und Fachkompetenz überzeugt. Das hat sie in den Bundestag gebracht. Mitgebracht hat sie nicht nur ihr Braunkohle-Plakat aus dem Wahlkampf, sondern auch die thematischen Schwerpunkte ihrer bisherigen politischen Arbeit. Als Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie im Europaausschuss und als klimapolitische Sprecherin ihrer Fraktion liegt ihr nach wie die Energiewende am Herzen.
Im Vorfeld der Kyoto-Nachfolge-Konferenz, die 2015 in Paris stattfindet, macht sich Annalena Baerbock dafür stark, dass der globale Klimaschutz nicht unter die Räder gerät. Vor allem aber will sie der Bundesregierung ihre Verantwortung bei der Energiewende klar machen. „Wer nach dem Atomausstieg nicht auch den Kohleausstieg einleitet, vollzieht nur die halbe Energiewende“, sagt die Grünen-Politikerin. (bsl/01.12.2014)