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Berlin: (hib/PK) Das aktuelle Verfahren zur Bewertung von Pflegeeinrichtungen ist nach Ansicht von Gesundheitsexperten fragwürdig. Der sogenannte Pflege-TÜV spiegele die Wirklichkeit nur unzureichend wider, erklärten Sachverständige bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über einen Antrag (18/3551) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am Mittwoch im Bundestag und sprachen sich für Reformen aus.
Die Grünen verlangen, das Benotungssystem sofort auszusetzen. Die Bundesregierung hat Änderungen in Aussicht gestellt. Experten warnten davor, das jetzige Bewertungssystem fallen zu lassen, ohne eine praxistaugliche Alternative bereitzustellen, die den Schutz der Pflegebedürftigen durch Qualitätsprüfungen weiter umfassend garantieren könne. Zudem sollten die Betroffenen und ihre Vertreter künftig stärker in die Beurteilung der Angebote einbezogen werden.
Der Pflege-TÜV für stationäre Pflegeheime und ambulante Pflegedienste wurde 2009 eingeführt. Die Gesamtnote für Pflegeheime wird nach Angaben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) aus 59 Einzelkriterien gebildet, die der Pflegedienste aus 37 Kriterien. Im Ergebnis steht eine „Schulnote“. Wie gut die Einrichtungen sind, prüfen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) und der Prüfdienst des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV).
Untersucht werden für Pflegeheime vier Bereiche: "Pflege und medizinische Versorgung", "Umgang mit demenzkranken Bewohnern", "Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung" sowie "Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene". Jedes Kriterium wird mit Punkten auf einer Skala von 0 bis 10 bewertet und fließt ein in die Gesamtnote. Die Ergebnisse werden im Internet veröffentlicht und sollen Vergleiche zur Qualität der rund 26.000 Pflegeeinrichtungen ermöglichen.
Nach Ansicht der Grünen tragen die Noten nicht zum Verbraucherschutz bei. Es liege auf der Hand, dass eine Durchschnittsnote von aktuell 1,3 „keine objektive, differenzierte Bewertung der Versorgungsrealität“ sein könne, heißt es in dem Antrag.
Auch die Bundesregierung sieht das Benotungssystem als gescheitert an, weshalb der Pflegebevollmächtigte Karl-Josef Laumann (CDU) Anfang April einen Reformvorschlag vorlegte. Ab 2016 soll es statt der Gesamt- und Bereichsnoten nur noch Prüfberichte für die Einrichtungen geben. Eine Zusammenfassung der Berichte soll veröffentlicht werden. Der GKV-Spitzenverband soll bis Ende 2015 Vorgaben für die Kurzzusammenfassung erarbeiten, um den Verbrauchern einen Vergleich der Einrichtungen zu ermöglichen.
Zum 1. Januar 2016 soll dann ein Pflegequalitätsausschuss eingerichtet werden, der ein neues Qualitätsprüfungs- und Veröffentlichungssystem für Pflegeeinrichtungen berät und bis Jahresende 2017 als Richtlinie beschließt. In dem Ausschuss sollen neben den Einrichtungs- und Kostenträgern künftig auch die Verbände der Pflegebedürftigen und der Pflegeberufe gleichberechtigt mit Stimmrecht vertreten sein. Der Ausschuss wird von einem neu zu gründenden Pflegequalitätsinstitut mit unabhängigen Wissenschaftlern unterstützt. Die gesetzliche Neuregelung soll in das geplante zweite Pflegestärkungsgesetz einfließen, in dem auch der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff festgeschrieben wird.
Der GKV-Spitzenverband räumte in der Anhörung Veränderungsbedarf ein und machte „Kompromisszwänge“ angesichts der vielen Beteiligten für die aktuell „unbefriedigende“ Lage verantwortlich. Dadurch würden wesentliche Kriterien in der Pflege nicht mehr richtig dargestellt und verwässert. Kurzfristig sollten wenige „Kernkriterien“ ins Zentrum rücken, um Pflegesicherzeit zu erreichen. Dies könnte über Noten oder Ampelsysteme dargestellt werden. Für einen weiter reichenden Systemwechsel wären vermutlich zwei Jahre nötig. Die Einrichtung eines Pflegeinstituts sieht der Spitzenverband kritisch. Einen „Goldstandard“, also klare Leitlinien, gebe es in der Pflegewissenschaft nicht.
Bei der Anhörung sowie in ihren schriftlichen Stellungnahmen begrüßten die meisten Fachverbände die Abkehr von der bisherigen Praxis. Der Sozialverband VdK erklärte, die ermittelten Pflegenoten nach der Pflege-Transparenzvereinbarung (PTV) ermöglichten die „Verrechnung schlechter Grundpflegequalität mit anderen Bereichen“ und verschleierten vorhandene Qualitätsunterschiede. Die Neukonzeption einschließlich der Aussetzung der Veröffentlichung der Pflegenoten sei zu begrüßen. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Pflegerat, der anmerkte, es mache „keinen Sinn, sich noch lange mit dem alten System zu beschäftigen“. Vielmehr sollten Ressourcen nun in die „indikatorengestützte Qualitätsberichterstattung“ investiert werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) forderte, eine Übergangslösung müsse vor allem zeitnah und sofort umsetzbar sein und dürfe keinen zusätzlichen Aufwand erfordern. Das Bestreben, die Pflegequalität in einer Gesamtnote abzubilden, sei „gescheitert“. Verbraucher würden mit der Verrechnung einzelner Bereiche „in die Irre geführt“. Die jetzt geplanten Kurzzusammenfassungen sieht der Verband allerdings skeptisch. Prüfberichte seien nicht zu standardisieren und damit nicht vergleichbar. Eine Veröffentlichung von Mängelprotokollen im Internet werde „rechtlich wenig haltbar sein“.
Grundsätzlich kritische Anmerkungen kamen vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der davor warnte, mit den Noten auf wichtige Anhaltspunkte für Verbraucher zu verzichten. Das Prüfsystem sei weiterentwickelt worden. So werde seit 2014 nicht mehr vorrangig die Pflegedokumentation geprüft, vielmehr müssten die Mitarbeiter der Pflegeheime die tatsächliche Versorgung der Patienten darlegen und verteidigen. Dieser „Perspektivwechsel“ werde gar nicht gewürdigt. Der Verband rügte auch einseitige öffentliche Darstellungen des Pflegealltags. Behauptungen, mit einem gut lesbaren Speiseplan könne eine schlechte Wundversorgung im Notensystem ausgeglichen werden, seien von Unkenntnis geprägt. Es sei immer „unerlässlich, sich als Betroffener und als Angehöriger ein persönliches Bild vor Ort zu machen“.
Nach Ansicht des Interessenverbandes der Nutzer von Pflegeeinrichtungen ist eine Überprüfung der Qualität und Transparenz in der Pflege unverzichtbar. Der Fachverband BIVA monierte „sechs Jahre schlechte Praxis“ und forderte veränderte Prüfkriterien. In den nächsten zweieinhalb Jahren werden laut BIVA rund eine Million Menschen einen Heimplatz und weitere Hunderttausende eine ambulante Pflege suchen. Sie bräuchten auch in der Übergangszeit auf ein neues Begutachtungssystem eine Orientierungshilfe. Die Noten sollten abgeschafft werden, weil eine „Eins“ in der Pflege nur die Erfüllung eines Standards darstelle und kein „sehr gut“ wie in Schulen.
Der AOK Bundesverband argumentierte ganz ähnlich und sprach sich dafür aus, unter Verzicht auf die Noten an den „Pflegekärtchen“ festzuhalten, wo Informationen aus den Transparenzberichten verbrauchernah aufbereitet werden sollten.
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