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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. Mai 2014)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Das Rentenreformpaket der Großen Koalition beinhaltet nach Ansicht des mittelstandspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), enorme Kostenrisiken und eine falsche Weichenstellung. So seien die Fehler bei der Rente mit 63 „zu schwerwiegend“. Mit dieser Regelung werde der große Kompromiss zur schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre gefährdet, sagte von Stetten der Wochenzeitung „Das Parlament“ und fügte hinzu: „Die Rente mit 63 ist ein Rückschritt.“
Es spreche nichts dagegen, wenn Leute nach 45 Arbeitsjahren mit 63 in Rente gingen. Das Grundproblem sei jedoch, dass Zeiten von Arbeitslosengeld-I-Bezug genauso angerechnet würden wie Arbeitsjahre. „Es können also auch Leute früher in Rente gehen, die eigentlich nicht die 45 Jahre gearbeitet haben“, monierte von Stetten. Dieses Problem sei nicht beseitigt worden und werde „auf Dauer sehr, sehr teuer“, sagte der CDU-Politiker voraus.
Als wichtige Lösung im Rentenkompromiss wertete der Unternehmer, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht angerechnet werden, wenn sie innerhalb der zwei Jahre vor dem Rentenbeginn ab 63 liegen. „Andernfalls hätten wir nicht die Rente mit 63, sondern die Rente mit 61 bekommen. Das wäre sicherlich die größte Frühverrentungswelle gewesen, die wir bisher erlebt hätten.“
Von Stetten sieht das Rentenpaket auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit kritisch und mit Sorge. Er sagte der Zeitung: “Es ist vor allem ein Generationenproblem, denn das, was wir jetzt an Wohltaten verteilen, das ist die soziale Kälte der Zukunft. Das muss jeder berücksichtigen.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr von Stetten, nach langem Streit hat die Koalition vergangene Woche einen Kompromiss bei der Rente mit 63 erzielt. Die Wirtschaftsverbände sind dennoch nicht zufrieden. Warum?
Wir haben nichts dagegen, dass Leute nach 45 Arbeitsjahren mit 63 Jahren in Rente gehen. Von mir aus soll als Kompromiss jemand auch mit 61 oder 62 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können, wenn er 45 Arbeitsjahre hinter sich hat. Das Grundproblem ist, dass Zeiten von Arbeitslosengeld-I-Bezug genauso angerechnet werden sollen wie Arbeitsjahre. Es können also auch Leute früher in Rente gehen, die eigentlich nicht die 45 Jahre gearbeitet haben. Dieses Problem hat der Kompromiss nicht beseitigt.
Ist das der Grund, warum Sie am vergangenen Freitag dem Rentenpaket nicht zustimmen konnten?
Ja, weil ich glaube, dass die Fehler bei der Rente mit 63 zu schwerwiegend sind. Wir gefährden dadurch den großen Kompromiss, den wir damals unter Franz Müntefering geschlossen haben, nämlich die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Die Rente mit 63 ist ein Rückschritt.
Andererseits steigt die Altersgrenze ja schrittweise wieder auf 65 Jahre an.
Es wird immer so getan, als wären wir dann wieder beim alten System, aber das sind wir nicht. Wir haben heute die 65er Grenze für eine abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren – allerdings aus gutem Grund ohne Anrechnung der Arbeitslosenzeiten. Wenn wir dann 2029 wieder bei 65 Jahren sind, rechnen wir aber weiterhin die Arbeitslosenzeiten an. Das wird auf Dauer sehr sehr teuer.
Die Rente mit 63 ist nur ein Aspekt des gesamten Paketes und nicht der teuerste. Mit Ihrer Ablehnung mussten Sie gleichzeitig auch die Mütterrente ablehnen.
Deswegen habe ich immer dafür plädiert, dass wir die einzelnen Punkte auch einzeln abstimmen. Die Fraktionsführung hat sich aber dagegen entschieden und dadurch gab es natürlich viel weniger Gegenstimmen, weil viele die Mütterrente unbedingt durchsetzen wollten.
Nun sollen Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht mehr auf die Wartezeit angerechnet werden, wenn sie innerhalb der zwei Jahre vor dem Rentenbeginn ab 63 liegen. Ausgenommen sind Insolvenz oder Betriebsaufgabe…
Das ist eine ganz wichtige Lösung. Andernfalls hätten wir nicht die Rente mit 63, sondern die Rente mit 61 bekommen, weil viele Beschäftigte sich mit 61 in die Arbeitslosigkeit und dann abschlagsfrei in die Rente verabschiedet hätten. Das wäre sicherlich die größte Frühverrentungswelle gewesen, die wir bisher erlebt hätten.
Ist das nicht übertrieben? Schließlich muss man dann zwei Jahre von dem deutlich niedrigeren Arbeitslosengeld I leben.
Solche Frühverrentungsphasen gab es aber in der Vergangenheit schon und sie waren schädlich für den Arbeitsmarkt. Im Ergebnis arbeiteten immer weniger Ältere, deren Wissen der Wirtschaft damit verloren ging. Deshalb sollten wir den Fehler nicht wieder machen. Es ist sicherlich sinnvoll, eine Stichtagsregelung einzuführen, auch wenn mir ein fester Stichtag lieber gewesen wäre.
Aber die Rente mit 63 ist erst mal nur eine Option und man wird erst nach einiger Zeit sehen, wie viele Leute sie wirklich nutzen.
Wenn jemand die Möglichkeit hat, mit 63 auszusteigen, wird er es auch machen. Denn er bekommt zwei Jahre früher Rente und da die Besteuerung der Renten jedes Jahr langsam ansteigt, lohnt sich ein früherer Renteneintritt allemal. Wir zwingen die Leute damit schon fast, diese Rentenmöglichkeit auch anzunehmen.
Die Opposition kritisiert, dass es neben der Insolvenz und Betriebsaufgabe auch andere Gründe gibt, unverschuldet in Arbeitslosigkeit zu geraten.
Die Kritik ist sicherlich prüfenswert, weil es auch hier zu Ungerechtigkeiten kommt. Deswegen habe ich immer dafür plädiert, die Arbeitslosenzeiten komplett rauszunehmen, dann kann es da zu keinen Ungerechtigkeiten kommen.
Der Bundesregierung wurde in den letzten Wochen vorgeworfen, einseitig Klientelpolitik zu betreiben…
Wenn die heutigen Rentner merken, dass sie wegen der jetzigen Beschlüsse 2015 eine niedrigere Rentenerhöhung bekommen, dann haben sie dieses Gefühl wahrscheinlich nicht mehr. Ich glaube, es ist weniger eine Argumentation Rentner gegen Arbeitgeber. Es ist vor allem ein Generationenproblem, denn das was wir jetzt an Wohltaten verteilen, das ist die soziale Kälte der Zukunft. Das muss jeder berücksichtigen.
Jetzt ist das Thema Fachkräftemangel damit nicht vom Tisch. Ist die Flexi-Rente die richtige Antwort darauf?
Es kommt darauf an, wie man die Flexi-Rente gestaltet. Mich stört, dass wir das Thema in eine Kommission verschieben. Da hätte ich mir vom jetzigen Gesetzgebungsverfahren mehr erwartet. Ich hoffe, dass diese Arbeitsgruppe öfter tagt als die Arbeitsgruppe zur Reform des Mehrwertsteuersystems, denn die ist auch eingeführt worden, hat aber nie getagt.
Wo sollen die vielen benötigten Fachkräfte also herkommen?
Ich finde es zum Beispiel sehr problematisch, dass mittlerweile jeder meint, er müsse studieren. Da sind wir mittlerweile bei einer Quote von 50 Prozent der Schulabgänger, die studieren. Ich verstehe auch nicht, warum unter anderem die OECD uns immer erklärt, wir bräuchten mehr Studenten. Handwerk ist ein ganz wichtiger Bereich bei uns. Das sind unsere Fachkräfte. Ich glaube, man muss deutlicher machen, dass Handwerk hier goldenen Boden hat und es stärker fördern, dass es für junge Leute attraktiv wird, einen Handwerksberuf zu erlernen.
Apropos Handwerk. Auch Selbstständige können die Rente mit 63 nutzen, wenn sie 18 Jahre lang Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben.
Handwerker, die sich selbständig machen, müssen 18 Jahre Pflichtbeiträge zahlen und erst dann können sie sich freiwillig versichern. Aber jeder andere Selbständige muss keine Pflichtjahre vorweisen, sondern kann sich freiwillig versichern, wann er will. Wenn der jetzt praktisch 48 Jahre gearbeitet und freiwillige Beiträge gezahlt hat, dann versteht der überhaupt nicht, warum er bis 67 weiterarbeiten muss, nur weil er keine 18 Jahre Pflichtbeiträge vorweisen kann. Andere, die, vielleicht inklusive Arbeitslosenzeiten, gerade noch so auf 45 Jahre kommen, können aber mit 63 Jahren in Rente gehen. Dieser Punkt ist aus meiner Sicht noch nicht abschließend geklärt.
Also sollte die 18-Jahres-Grenze einfach komplett wegfallen?
Für eine Ergänzung des Gesetzes ist es jetzt zu spät. Es wird am 1. Juli Gesetzeskraft erhalten und die darin enthaltenen Ungerechtigkeiten werden in den darauffolgenden Wochen Realität. Hätten wir die Anrechnung der Arbeitslosenzeiten verhindert, gäbe es jetzt keine Gerechtigkeitsdiskussion.
Was bedeutet Generationengerechtigkeit für Sie?
Zum Beispiel, dass wir ab dem nächsten Jahr keine neuen Schulden mehr im Bundeshaushalt machen. Das heißt, erstmals seit 1969 übergeben wir der nächsten Generation endlich ein Land, das nicht ständig neue Schulden macht. Umso wichtiger ist es auch, dass wir die Sozialsysteme jetzt nicht neu verschulden. Spätestens in vier Jahren müssen die Sozialbeiträge aufgrund der jetzigen Beschlüsse steigen. Das hätte man verhindern müssen.
Das Interview führte Claudia Heine
Christian Freiherr von Stetten, Betriebswirt und Unternehmer, gehört seit 2002 dem Bundestag als direkt gewählter Abgeordneter an. Er ist Mittelstandspolitischer Sprecher und Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand (PKM) der CDU/CSU-Fraktion.
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