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Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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O. Ulrich Weidner

Zwischen Schulden und Schuldzuweisungen

Generaldebatte zum Haushalt 2005 offenbart tiefe Kluft im Bundestag
Die parlamentarische Sommerpause dieses Jahres ging mit einem großen politischen Paukenschlag zu Ende: Traditionell ist die erste Sitzungswoche im September der Beratung des Haushaltes für das kommende Jahr vorbehalten. Das Etatrecht ist das Königsrecht des Parlaments, hier haben die Abgeordneten die Möglichkeiten, an den finanziellen Planungen der Bundesregierung Veränderungen und Akzentverschiebungen vorzunehmen. Und Regierung und Opposition ziehen Bilanz der bisherigen Politik und geben Ausblicke auf das kommende Geschehen.

Der Etat des Kanzleramtes ist die Gelegenheit, die jeweiligen Positionen öffentlich in großen Reden darzustellen. So begann am vergangenen Mittwoch der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Michael Glos, mit einem heftigen Angriff auf die Bundesregierung und den Kanzler. Glos zeichnete ein düsteres Bild der deutschen Wirtschaft und beklagte einen Ausverkauf deutscher Firmen und Banken an ausländische Anleger. Schuld auch an der Verlagerung von Arbeitsplätzen seien die hohen Arbeits- und Lohnzusatzkosten. Seit Jahren würden "illusionäre Konjunktur- und Wachstumsprognosen" von der Regierung präsentiert. Dies habe zu einer großen Vertrauenkrise in Deutschland geführt, die "Wahlkampfwunderwaffe" Hartz IV habe sich als Rohrkrepierer erwiesen. Den Haushalt von Finanzminister Eichel, der Weltmeister im Schuldenmachen sei, nannte Glos "geschönt und gefälscht". Deutschland sitze in der Schuldenfalle, man brauche einen Neuanfang auf der Basis von Wahrheit und Klarheit.

Bundeskanzler Gerhard Schröder wies die Vorwürfe engagiert zurück und ging auf die drei Probleme, die man in Europa hat, ein: Terrorismus, Globalisierung und der veränderte demographische Aufbau der Bevölkerung. Auf die beiden letzten Punkte habe man mit der Agenda 2010 geantwortet. Allerdings sei der Reformprozess noch nicht abgeschlossen. Der Kanzler vermied es, wie übrigens auch die nachfolgenden Redner der Opposition, auf konkrete Maßnahmen einzugehen. Zu sehr ist wohl das Wort Reform diskreditiert. So ging es eher um Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung, Zahnersatz und Hartz IV, dabei um Schonvermögen, zumutbare Arbeit. Man sei weit davon entfernt, ein rosiges Bild zu malen, aber zu sagen, "dieses Land sei ein einziges Jammertal, nur weil Ihnen die Regierung nicht passt, das ist hanebüchener Unsinn". Nach innen müsse man den Umbau der sozialen Sicherungssysteme voranbringen, weil sie nur so auf Dauer zu sichern seien.

Für die FDP-Fraktion widersprach Guido Westerwelle dem Kanzler: Das Problem dieser Regierung sei, dass sie viel verspreche, aber nichts halte, "deswegen laufen Ihnen auch die Menschen davon". Die Opposition verhalte sich, zum Beispiel im Vermittlungsverfahren, konstruktiv, deswegen könne man sie auch für die derzeitige Lage nicht verantwortlich machen. Das wahre Problem sei, dass man permanent mit neuen Vorschlägen komme. Widerstand leiste die Bevölkerung nicht, weil die Reformen durchgesetzt werden, sondern weil man keine verlässliche Politik betreibe. Als Beispiel nannte Westerwelle das Hakenschlagen in der Frage der Ausbildungsplatzabgabe. Bei allen Reformen sei man auf halbem Wege stehen geblieben. Hartz werden nicht tragen und ausreichen, "wenn Sie Ihre Wirtschaftspolitik nicht korrigieren und an die Stelle Ihrer Verteilungsstrategie eine Wachstumsstrategie setzen", meinte der liberale Politiker.

Fördern als zentrale Rolle

Für die Bündnisgrünen sprach die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Sie zeigte auf, was die Regierungskoalition zur Halbzeit der Legislaturperiode bereits alles erreicht habe: Stabilität bei der Rentenversicherung, Steuersenkung, Gesundheitsreform. In der Gesundheitspolitik wolle man jetzt die Bürgerversicherung, "eine Versicherung für alle". Natürlich gingen viele Menschen gerade in Ostdeutschland auf die Straße, weil sie verunsichert seien und berechtigte Ängste hätten. Aber wenn man genau hinhöre, sei festzustellen: Hartz IV sei richtig und müsse nicht verändert werden, "aber wir müssen bei der Umsetzung darauf achten, dass das Fördern tatsächlich eine zentrale Rolle spielt". Als Positivpunkte nannte Göring-Eckardt auch die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich der Umwelttechnologie in Ostdeutschland.

Die Vorsitzende der Unionsfraktion, Angela Merkel, zog eine düstere Halbzeitbilanz der Bundesregierung: Die meisten Menschen in Deutschland seien reicher geworden, reicher an Enttäuschungen und ärmer an Hoffnungen. Wie wolle man den Menschen erklären, dass jahrelang mangelndes Wachstum mit schwächelnder Weltkonjunktur begründet wird, dann aber, wenn die Weltwirtschaft boomt, die Realeinkommen in Deutschland trotzdem nicht steigen? So sei man zwar Exportweltmeister, aber jetzt müsse die Binnenkonjunktur wieder in Gang gebracht werden. Mit dem Programm "Kapital für Arbeit", dem Jobfloater, habe man sich jährlich 120.000 neue Arbeitsplätze versprochen, geschaffen wurden aber in zwei Jahren nur 12.000 - das sei "völliges Versagen eines hochgejubelten Instruments".

Merkel ging auch besonders auf die Lage in Ostdeutschland ein: Die Menschen in den neuen Bundesländern spürten, dass die Schere zwischen Ost und West seit 1998 wieder aufgegangen ist, obwohl der Kanzler in jenem Jahr den Aufbau Ost zur Chefsache gemacht habe. Man könne doch bei Hartz IV nicht stehen bleiben und hoffen, dass der Wind der Weltkonjunktur hilft, man brauche weitere Schritte, eine Weiterentwicklung des Arbeitsrechts, Innovationen und eine Entbürokratisierung. Dazu wolle die Union eine Politik aus einem Guss.

Franz Müntefehring, Vorsitzender der SPD-Fraktion, antwortete, dies sei eine "hochmütige Rechtfertigungsrede" gewesen. Man habe das Gefühl, die Union wolle das ganze Land schlecht- und herunterreden und es mies machen. Das sei völlig unangemessen und werde zurückgewiesen. Müntefering warnte davor, Deutschland "auseinanderdividieren" zu wollen: "Wir sind ein Deutschland. Wir müssen Politik für ganz Deutschland machen. Wir müssen aufhören, Ost- und Westdeutschland gegeneinander zu stellen." Die Agenda 2010 beginne zu wirken, das zeige sich deutlich bei der Gesundheitsreform, aber auch bei den Hartz-Gesetzen, "vor allem beim Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt". Müntefering erklärte abschließend, die rot-grüne Koalition werde Deutschland in eine gute Zukunft führen.

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