Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 15 - 16 / 10.04.2006
Birgit Johannsmeier

Die Hoffnung aus dem Exil

Weißrussen studieren in Litauen

Mit der Wahl am 19. März in Weißrussland wurde erwartungsgemäß Präsident Alexander Lukaschenko in seinem Amt bestätigt. Ausländische Beobachter sprechen zwar von massivem Wahlbetrug, Tausende demonstrierten gegen das Ergebnis, viele Oppositionelle wurden verhaftet, aber noch glaubt niemand daran, dass sich an der Gewalt-herrschaft bald etwas ändern wird. Und doch gibt es einen Funken Hoffnung, wenn man nach Wilna, in die Hauptstadt des benachbarten Litauens schaut, wo weißrussische Studenten Zuflucht suchen.

Dort geht es in den Seminaren an der Europäischen Humanistischen Universität immer sehr lebhaft zu. Auch die 27-jährige Kristina liebt es zu diskutieren, zu streiten und zu widersprechen. Sie ist Juristin und kommt aus Weißrussland. "Ich möchte mich frei äußern dürfen und nicht mit Ideologie zugeschüttet werden", sagt Kristina. "Natürlich wäre es besser, wenn unsere Hochschule in Minsk wäre, aber ich bin froh, dass ich hier in Litauen studieren darf."

160 Studierende reisen Woche für Woche mit dem Zug aus Weißrussland an und werden in litauischen Wohnheimen untergebracht, knapp 800 nehmen an Fernstudien teil. Wie Kristina wollen viele in Wilna einen Magisterabschluss im "Internationalen Recht" erhalten, andere studieren kulturelle Fächer, Politische Philosophie oder Psychologie. Wilna liegt nur 40 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt. Bei der Ausreise gebe es keine Probleme, meint Kristina, sie zeige ihren Studentenausweis, auf dem nur der Name ihrer litauischen Gast-Uni stehe. "Niemand weiß, dass ich an der Hochschule studiere, die von Lukaschenko geschlossen wurde. Ich habe Angst vor Schwierigkeiten, wenn man mich mit der Europäischen Humanistischen Universität in Verbindung bringt."

1992, nach dem Zerfall der Sowjetunion, entstand in Weißrussland die Idee von der ersten freien Universität. Der Korektor Wladimir Dunajew gehörte zu jenen Leuten, die mit einer Öffnung zum demokratischen Westen das sozialistische Hochschulwesen reformieren wollten. Unterstützt von amerikanischen und europäischen Sponsoren wurde neben einem Fernstudium über das Internet auch der Lehrbetrieb in Minsk angeboten. Aber schon zwei Jahre später gelangte Alexander Lukaschenko an die Macht. Er ordnete bald eine Rückkehr zum sowjetischen Ausbildungsmodell an, um Weißrussland wieder vom Wes-ten zu isolieren.

Wladimir Dunajew erinnert sich: "Nach den Wahlen 2001 hat die Regierung entdeckt, dass an der Uni ihre größte Opposition heranwächst, weil viele Studenten gegen den Präsidenten gestimmt hatten. Also entwickelte Lukaschenko die totale Kontrolle an der Universität." Heute bestimmt der Präsident, wer in Weißrussland Rektor ist und wer nicht. Aber die Europäische Humanistische Universität ließ sich nicht kontrollieren. Darum wurde sie im Sommer 2004 geschlossen.

Die meisten sind gegen Lukaschenko

"Damit hat Lukaschenko verhindern wollen, dass wir eine Elite ausbilden, die Weißrussland Europa näher bringt", erzählt Dunajew. "Das hat er damals wörtlich gesagt. Und ich hoffe natürlich, dass wir mit unserer Uni Weißrussland in die Europäische Union integrieren." Die heimatlose Universität nahm die Einladung des Litauischen Parlamentes gerne an und eröffnete in Wilna wieder ihren Lehrbetrieb. Im Februar wurde sie registriert und kann Diplome verleihen. Der Abgeordnete Jonas Cekuolis erklärt, warum Litauen die Hochschule aus Weißrussland aufgenommen hat: "Wir wissen noch sehr gut, wie das ist, wenn man keine Freiheit hat. Wir verstehen, wie den Menschen in Weißrussland zumute ist. Und wir spüren einfach Sympathie für die Leute, die für ihre Freiheit kämpfen wollen. Außerdem sind sie unsere Nachbarn. Und wir wünschen uns ein demokratisches Nachbarland, das wir besser einschätzen können." Die Studierenden werden an der Europäischen Humanistischen Universität allerdings nicht für einen Umsturz ausgebildet und wollen sich nicht in die weißrussische Politik einmischen. Wie Kristina sind die meisten gegen das Lukaschenko-Regime, aber nur die wenigsten engagieren sich in der Opposition.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.