Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 15 - 16 / 10.04.2006
Gerd Renken

Eine Tugend mit Zukunft?

Patriotismus im Zeitalter der Globalisierung
Ubi bene, ibi patria! Wo ich mich wohl fühle, da ist mein Vaterland? Das Fragezeichen hinter diesem berühmten Satz Ciceros, der gemeinhin "vaterlandslosen Gesellen" als Credo in den Mund gelegt wird, steht hier für das Gegenteil. In einer Zeit, in der sich in Deutschland patriotische Gefühle allenfalls anlässlich Olympischer Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften äußern, und dann zumeist höchst eruptiv, hat es nicht nur die Politik schwer, die "inneren Werte" des Begriffs zu vermitteln.

Volker Kronenberg, der am Seminar für Politische Wissenschaft der Bonner Universität lehrt, hat sich in seiner Habilitationsschrift "Patriotismus in Deutschland" des schwierigen Themas angenommen - mit Blick auf den Untertitel darf man wohl auch sagen: Er hat versucht, dem Thema eine Zukunft zu geben. Denn über die analytische Darstellung und Bewertung des Begriffs im historischen und aktuellen Kontext hinaus, die es zulassen, Höhen und Tiefen der deutschen politischen Kultur gründlich "auszuloten", hat Kronenberg ein deutliches Anliegen: Das Nachdenken über die sozio-moralischen Grundlagen unseres Gemeinwesens in den Zeiten des Wandels.

Er legt die Felder der Gegensätze offen, und schnell vergisst man über der Lektüre, dass im Mittelpunkt dieser Studie ein Begriff steht, dessen "Charakterbild" wie kaum ein zweites in der deutschen Geschichte schwankt. Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche kennzeichnen dem Autor zufolge die politisch-kulturelle Situation der Gesellschafts- und Staatenwelt zu Beginn des 3. Jahrtausends. Während als Folge der Globalisierung einerseits Funktionsverluste des klassischen Nationalstaats zu beobachten seien, ließe sich andererseits weltweit eine Renaissance des Nationalen feststellen.

Nun hat es in Deutschland nach der Wende 1989 nicht an politischen Versuchen gefehlt, Grundwerte und -orientierungen zu vermitteln, die dem verbreiteten Frust als Folge der wirtschaftlichen Lage und der offenbar manifesten Arbeitslosigkeit etwas entgegensetzen sollten. Ob hier Erfolge messbar wurden, mag bezweifelt werden, aber es ist dann doch erstaunlich, wer sich auch unter Deutschlands hochmögenden kulturellen Repräsentanten ernsthaft und kontrovers mit dem Thema auseinandergesetzt hat und mithin keinen Zweifel daran ließ, dass das Nachdenken über Patriotismus fruchtbar und lohnend wäre.

Selbstbewusstsein und Nölen

Kronenberg lässt dabei den "Linken" oder denen, die eher unverdächtig sind, im "rechten" Lager zu stehen, gerne den Vortritt. Enzensberger etwa, der in seinen "patriotischen Kleinigkeiten" eine von Politik, Medien und Kultur verursachte Überproduktionskrise deutscher Selbstkritik diagnostiziert: "…ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein ist nicht nur für einen selber, sondern auch für die anderen leichter zu ertragen als das penetrante Nölen derer, die an ihrer deutschen Herkunft tragen, als handele es sich um ihren Hauptberuf." Das ist aus heutiger Sicht kaum weniger prägnant als das berühmte Wort von Tucholsky, der befand, man dürfe den Patriotismus nicht den Nationalisten überlassen.

Die politische Geschichte oder, wenn man will, die politische Instrumentalisierung des Patriotismus ist weitgehend bekannt, weniger sind es die kulturhistorischen und -philosophischen Verknüpfungen. Hier hat die Arbeit von Kronenberg eine Lücke geschlossen: Von der Begriffsbestimmung über die Rahmenbedingungen nationaler Selbstfindung zu den Aufklärern, von der deutschen Nationalbewegung zu den Trägern des Widerstands in den Zeiten des Totalitarismus zum Patriotismus in Deutschland nach der Wende - hier wird natürlich auch dem viel zitierten und -strapazierten Thema "Verfassungspatriotismus" Raum gegeben - und von dort zum Patriotismus in Europa seziert der Autor diesen "Schlüsselbegriff im Beziehungsgeflecht von Nation, Nationalismus, Verfassung und Europa".

Der Frage Patriotismus in Deutschland als Patriotismus für Deutschland begegnet Kronenberg mit dem Hinweis darauf, dass ein angemessenes, historisch fundiertes Verständnis von Patriotismus dieser Frage eben jenes Maß an Pathos nehme, welches allzu voreilige Antworten evoziere.

In diesem Sinne unspektakulär ist auch die Antwort von Ralf Darendorf, die der Autor aus einem mit ihm geführten Interview zitiert. Auf die Frage, ob er Patriotismus für eine Tugend halte, antwortet Darendorf mit einem Ja und begründet dies: "Loyalität und Zugehörigkeit bezogen auf ein Gemeinwesen ist der Hintergrund für das Vertrauen, von dem Gemeinwesen getragen werden. Ohne Empfindungen dieser Art werden Gemeinwesen zu einer reinen Formalität, die vielleicht nicht auf Dauer tragfähig ist."

 

Volker Kronenberg
Patriotismus in Deutschland.
Perspektiven für eine weltoffene Nation.
VS Verlag, Wiesbaden 2005; 418 S., 44,90 Euro


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