Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 15 - 16 / 10.04.2006
vom

"Kanzleramt wurde über Bürgschaft für Gasprom-Kredit nie informiert"

Regierung unterrichtet Wirtschaftsausschuss

Wirtschaft und Technologie. Das Bundeswirtschaftsministerium hat das Bundeskanzleramt nie über die am 28. Oktober vergangenen Jahres vom damaligen Minister Wolfgang Clement (SPD) genehmigte Bürgschaft der Bundesregierung für einen Kredit an den russischen Energiekonzern Gasprom informiert. Dies unterstrich die Bundesregierung am 5. April im Ausschuss für Wirtschaft und Technolöogie.

Die Regierung habe sich bereit erklärt, eine Garantie für einen ungebundenen Finanzkredit eines aus der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Deutschen Bank bestehenden Konsortiums in Höhe von 1 Milliarde Euro für den Bau des Festlandabschnitts der geplanten Ostsee-Gaspipeline von den sibirischen Lagerstätten bis Sankt Petersburg zu übernehmen. Da ein Selbstbehalt der Banken in Höhe von zehn Prozent vereinbart worden sei, belaufe sich die Höchsthaftung des Bundes auf 900 Millionen Euro. Das gesamte Investitionsvolumen des Pipelineprojekts betrage bis zu 5,7 Milliarden Euro, hieß es von Regierungsseite.

Weiter teilte die Regierung mit, dass es zu einer Kreditvergabe bislang nicht gekommen sei. Das deutsche Bankenkonsortium befinde sich hier im internationalen Wettbewerb um die Kreditvergabe. Angesichts der Bonität von Gasprom sei das Ausfallrisiko gering einzuschätzen. Als Auflagen für die Übernahme der Bürgschaft habe die Bundesregierung verlangt, dass für die künftige Ostsee-Pipeline ausreichende Gasmengen zur Verfügung gestellt und die Umweltstandards der Weltbank eingehalten werden. Das Motiv für die Bürgschaftsübernahme war nach Regierungsangaben, die Rohstoffversorgung Deutschlands durch langfristige Bezugsverträge zu sichern, was im "besonderen Interesse" der Bundesrepublik liege. Der Bau der Pipeline sei auch im Interesse der Europäischen Union, und die Pipeline selbst sei Teil der transeuropäischen Netze.

Der Beschluss kam laut Regierung auf der Basis einer Empfehlung eines interministeriellen Ausschusses (IMA) zustande, an dem neben dem Bundeswirtschaftsministerium auch das Bundesfinanzministerium, das Bundesentwicklungshilfeministerium und das Auswärtige Amt beteiligt gewesen seien, nicht jedoch das Kanzleramt. Der IMA habe eine positive Grundsatzentscheidung am 24. Oktober getroffen. Eine politische Einflussnahme oder gar eine Beteiligung des Kanzleramtes habe es nicht gegeben. Die De-ckungsübernahme bedeute nicht, dass es tatsächlich zu einem Kreditvertrag kommt, weil dies für Gasprom nur eine von mehreren Finanzierungsoptionen wäre, so die Regierung.

Von der FDP auf Berichte angesprochen, wonach Gasprom gar kein Interesse mehr an einem solchen Kredit habe, erklärte der Regierungsvertreter, dies sei ihm nicht bekannt. Deutschlands Interesse sei es, dass die Pipeline gebaut wird und dass ausreichende Gaslieferungen aus Russland gewährleistet sind. Weitere Fragen der Oppositionsfraktionen bezogen sich auf die Rolle des früheren Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Caio Koch-Weser, der inzwischen für die Deutsche Bank tätig ist. Wie die Regierung mitteilte, war Koch-Weser nur einmal mit der Sache befasst, als er nach der Grundsatzentscheidung des IMA die Leitungsvorlage für den Minister in seinem Hause abgezeichnet habe. Im Übrigen sei es ein Wunsch der Banken gewesen, diese Sache "nicht zu politisieren". Der Ministerentscheidung seien eine grundsätzliche Präsentation der beiden Banken zu diesem Projekt am 20. September sowie ein förmlicher Antrag auf eine Bundesgarantie für einen ungebundenen Finanzkredit über 1 Milliarde Euro am 13. Okto-ber vorausgegangen.

Die FDP fand es merkwürdig, dass die Bürgschaft noch unmittelbar vor der Übergabe der Regierungsgeschäfte an die neue Regierung genehmigt worden sei. Normal wäre es gewesen, so die Liberalen, die Entscheidung der neuen Regierung zu überlassen. Im Zusammenhang mit dem Aufsichtsratsvorsitz von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Nordeuropäischen Gasleitungsgesellschaft (NEGP) sei eine "schwierige Sachlage" entstanden. Hier stelle sich die Frage nach der politischen Verflechtung. Die Frage der Bündnisgrünen, ob hier eine positive Grundsatzentscheidung "auf Verdacht" gefällt worden sei, verneinte die Regierung.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.