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Der lange Weg durchs Parlament

Bild: Bundeskanzler Gerhard Schröder stimmt mit weiteren Abgeordneten des Bundestages über Hartz IV ab.
Abstimmung über Hartz IV im Parlament.

Bild: Blick in den Sitzungssaal des Vermittlungsausschusses im Bundesratsgebäude.
Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat.

Bild: Blick in den Plenarsaal. Im Hintergrund der Bundestagsadler.
Der Bundestag debattiert über Hartz IV.

Emotionen um „Hartz IV“. Schon die Abgeordneten bewegte die Arbeitsmarktreform auf dem Weg vom Gutachten zum Gesetz. Über Monate gab es ein Tauziehen um den besten Weg zu mehr Beschäftigung. In unzähligen Treffen, Tagungen und Telefonaten ging es nicht nur darum, eine Vielzahl von Einzelgesetzen umzubauen, Widersprüche auszuräumen und unnötige Härten zu mildern, es mussten auch höchst unterschiedliche Konzepte unter einen Hut gebracht werden.

Am 16. August 2002 schlug für die Öffentlichkeit die Geburtsstunde für „Hartz“. Im Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt präsentierte die Regierungskommission unter Leitung von Peter Hartz den „Masterplan“, dessen Umsetzung vielen Menschen wieder Beschäftigung bringen soll. Von einem „großen Wurf“ sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder, aus dem eine „neue Wirklichkeit in Deutschland“ gemacht werden müsse. Der Bundestag war zu diesem Zeitpunkt bereits in die Sommerpause, die Abgeordneten in den Wahlkampf gegangen. Noch am selben Tag fanden die für Wirtschaft und Arbeit zuständigen Abgeordneten das Gutachten in ihren Fächern. Der Inhalt war den Abgeordneten alles andere als neu. Denn zwischen Kommission und Abgeordneten gab es viele Kontakte. Vor allem die Fachleute in den Koalitionsfraktionen waren in die Hartz-Arbeit eingebunden.

Kein Neuland für Parlamentarier

An einen weiteren Umstand erinnert Klaus Brandner, der als Berichterstatter für die SPD-Fraktion die Hartz-Gesetze besonders intensiv begleitete. „Das Prinzip ‚Fördern und Fordern’ war vor dem 16. August 2002 vom Bundestag bereits gesetzt.“ Und zwar in einem Prozess, wie man sich klassische Parlamentsarbeit vorstellt: Arbeitsgruppen und Fraktionen machten sich Gedanken, luden Experten, besprachen mit den Fachministerien die verschiedenen Instrumente, klopften alle Details in Ausschüssen, Anhörungen und Plenumsdebatten ab – und am Ende stand als Ergebnis unter anderem das Job-AQTIV-Paket im Gesetzblatt.

Kein Neuland sei für die Abgeordneten auch die Stoßrichtung gewesen, doppelte Zuständigkeit für denselben Personenkreis durch Arbeits- und Sozialamt abzubauen. So habe der Gesetzgeber bereits längst die Grundlage zur Erprobung dieses Ansatzes im Rahmen von Modellprojekten geschaffen und auch genutzt. Die Zusammenfassung von Arbeits­losen- und Sozialhilfe sei ganz hervorragend vorbereitet worden.

Offene Türen auch in der anderen Regierungsfraktion: „Die Runderneuerung der Arbeitsvermittlung stand ohnehin auf der parlamentarischen Tagesordnung“, sagt die Berichterstatterin von Bündnis 90/Die Grünen, Thea Dückert. Insofern hätten Hartz I bis IV „viele Väter und Mütter“. Nicht ohne Folgen sei die damals regelmäßig tagende Facharbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen gewesen. Deren Wirken sei kaum nach außen gedrungen, und insofern habe man ohne öffentlichen Schlagabtausch Ansätze gemeinsam diskutieren können. Hier sei der „Masterplan“ von Hartz „auf fruchtbaren Boden“ gefallen und habe „noch einmal politische Impulse gegeben“.

Die Ausgangslage bei den Oppositionsfraktionen war ebenfalls außerordentlich günstig: Die CDU/CSU-Fraktion habe sich bereits im Jahr 2001 auf die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe verständigt, betont der Hartz-Berichterstatter der CDU/CSU, Karl-Josef Laumann. Aus seiner Sicht war somit die Präsentation der angeblich neuen Arbeitsmarktideen im Sommer 2002 nur eine „sagenhafte Inszenierung“, die im Wahlkampf lediglich den Eindruck habe vermitteln sollen, dass etwas passiere. Ähnlich die Einstellung bei der FDP. Deren Berichterstatter Dirk Niebel erklärt: „Wir waren schon seit vielen Jahren für die Zusammenlegung. Vor vier Jahren hatte man uns deswegen noch beschimpft.“ Deswegen habe er sich über das Umdenken auf der anderen Seite gefreut.

Erste Gesetzespakete geschnürt

Die ersten Gesetzespakete waren nach und nach entwickelt, beraten und beschlossen worden, als Ende Juni 2003 erstmals auch „Hartz IV“ Konturen bekam. Ort: die SPD-Bundestagsfraktion. Beteiligte: die Arbeitsmarktexperten der Fraktion, aber auch die Fachleute aus dem Bundesminis­terium für Wirtschaft und Arbeit. Somit arbeitete das Ministerium unter ständiger Tuchfühlung mit den Berichterstattern einen Gesetzesentwurf aus: mit einer Fülle von Paragrafen, die das Prinzip von „Fördern und Fordern“ in neue Grundsatzdarlegungen des Sozialgesetzbuches gossen und gleichzeitig viele gesetzliche Regelungen an die geplanten Umbauten anpassten.

Parallel dazu fasste die CDU/CSU-Fraktion die Entscheidung, sich nicht auf Änderungsanträge zu beschränken, sondern ebenfalls mit einem eigenen Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren zu gehen. Ein solch anspruchsvolles Werk übersteigt jedoch in der Regel die Kapazitäten der schmalen Fraktionsstäbe. Und da sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch bereits intensiv mit einer möglichen Übertragung amerikanischer Erfahrungen befasst hatte, überließ es die CDU/CSU der hessischen Administration, den Gegenentwurf auszuarbeiten.

Anfang August erreichten die Arbeiten im Bundesministerium die Zielgerade. Zusammen mit Hartz III kam Hartz IV am 13. August auf die Tagesordnung des Bundeskabinetts. Der Entwurf wurde beschlossen und konnte mit der Bitte um Stellungnahme an den Bundesrat und anschließend an den Bundestag gehen. In den Regierungsfraktionen setzten nun Beratungen über die einzelnen Vorschriften ein. Soziale Härten durch eine zweijährige Übergangsfrist vermeiden – damit konnten sich alle Abgeordneten schnell anfreunden. Aber welche Arbeit „zumutbar“ sein sollte, das traf auf starke Bedenken in einer Parlamentariergruppe, die bald „Abweichler“ genannt wurden.

Streit um Zumutbarkeit

Wochenlang gab es Einzelgespräche, dann präsentierten die Fraktionsführungen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Gesetzentwurf, der mit dem Regierungsentwurf weitgehend identisch war. An einigen kritischen Stellen war er jedoch so abgeändert worden, dass die Mehrheit bei der Abstimmung im Bundestag auch gegen eine ablehnende Front der Opposition sichergestellt war. Zum Beispiel wurde die Zumutbarkeit an einer tariflichen und ortsüblichen Bezahlung orientiert – und nicht mehr nur die Sittenwidrigkeit als Ausschließungsgrund genannt.

Der nächste Schritt: die erste Beratung sämtlicher vorliegender Entwürfe in der ersten Lesung am 11. September 2004. Erster Redner: Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Er stellt nicht nur die Vorhaben im Hartz-IV-Gesetz vor, sondern auch Hartz III, die in den Gremien nun stets gemeinsam beraten wurden. Beide seien Bestandteile der „Agenda 2010“. Denn es gehe darum, „die Wachstumsschwäche ... zu überwinden und am Arbeitsmarkt nach vielen Jahren endlich eine Trendwende zu bewirken.“

Ihm antwortete für die CDU/CSU Karl-Josef Laumann und gab ein klares Signal: „Wir sind sehr an einer Lösung interessiert.“ Allerdings wollte die CDU/CSU nur eine mittragen, die auch funktioniere. Angesicht von 4,3 Millionen Betroffenen sagte Laumann voraus: „Die Bundesanstalt für Arbeit ist dazu nicht in der Lage.“ Stattdessen markierte er einen der wesentlichen Unterschiede zum Koalitionsentwurf: „Wir möchten, dass die Kommunen dabei den Hut aufhaben.“

Nach der Debatte wurden alle Vorlagen zur Beratung an die Fachausschüsse überwiesen – federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit. Mit dabei waren nun auch Anträge der FDP-Fraktion, die unter anderem an die Stelle von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ein Sozialgeld stellen, die Bundesanstalt für Arbeit auflösen, durch eine Versicherungsagentur ersetzen und die Verantwortung für Arbeitsmarktpolitik auf die Job-Center bei den Kommunen übertragen will.

Öffentliche Anhörung im Ausschuss

Die unterschiedlichen Ziele von Koalition und Opposition kamen wenig später in einer öffentlichen Expertenanhörung des Ausschusses zum Ausdruck. Jede Fraktion kann entsprechend ihrer Größe Fachleute vorschlagen. „Natürlich sucht man sich Gutachter, die der Philosophie zugeneigt sind, die man selbst verfolgt“, erläutert Thea Dückert. Gleichzeitig führen die Anhörungen aber auch zu Änderungen im Detail, denn die Praktiker sehen eher Punkte, die in ihren Auswirkungen kontraproduktiv sein können. „Das ist normal“, sagt Dückert.

In der Anhörung am 8. Oktober begrüßte der Deutsche Gewerkschaftsbund die Einbeziehung erwerbsfähiger Sozialhilfebezieher in die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung und die Einführung eines Kinderzuschlages für viele Familien. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe dürfe jedoch nicht zu „Leistungskürzungen missbraucht“ werden, die materielle Sicherung sei völlig unzureichend.

Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sah positive Ansätze im Koalitionsentwurf, der wirksame Sanktionsmöglichkeiten und Anreize zur schnellen Jobsuche schaffe. Das Arbeitslosengeld II sei jedoch systematisch falsch angelegt. Insgesamt neigten die Arbeitgeberverbände dem Entwurf der CDU/CSU zu, in dem sie jedoch ebenfalls dringenden Nachsteuerungsbedarf sehen. Auf zusätzliche Finanzrisiken für ihre Mitglieder machten die Vertreter von Renten- und Krankenversicherungen aufmerksam. Die Vertreter der Kommunen kamen zu keiner einheitlichen Einschätzung. Der Deutsche Landkreistag glaubte wie die CDU/CSU, dass die Kommunen wegen ihrer Kompetenzen im gesamten sozialen Bereich die individuellen Vermittlungsprobleme eines Langzeitarbeitslosen vor Ort erfolgreicher lösen könnten. Das widerspricht nach Einschätzung des Deutschen Städtetages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes jedoch jeder Realität. Sie setzten eher auf bessere Betreuungskapazitäten in der Agentur für Arbeit und wollten die Kompetenzen der Städte und Gemeinden in die neu zu bildenden Job-Center einbinden.

Mehrere Dutzend weitere Sachverständige stellten sich den Nachfragen der Abgeordneten. Auf Vorschlag der CDU/CSU wurde selbst ein Experte aus dem US-Bundesstaat Wisconsin eingeflogen, der den Vorschlägen zu einem Existenzgrundlagengesetz (EGG) im Lichte der amerikanischen Erfahrungen umfassende Wirkungen voraussagte. Der hessische Ministerpräsident Koch hatte bereits lange vor den Hartz-Entwürfen das Wisconsin-Modell in die Diskussion eingeführt.

Nun wurde die Anhörung intensiv ausgewertet – und als Folge der Koalitionsentwurf noch einmal kräftig überarbeitet. Zusammen mit den Argumenten aller Fraktionen leitete der Ausschuss dem Bundestag in einem dicken Bericht einen Vergleich zu: Links stand der Gesetzentwurf in der eingebrachten Fassung, rechts daneben die empfohlenen Änderungen des Ausschusses.

Dritte Lesung im Plenum

Am 17. Oktober war die erste Phase der Entscheidung erreicht: zweite und dritte Lesung im Bundestag. Auf Wirtschaftsminister Clement als erstem Redner antwortete diesmal Ministerpräsident Koch. Er sprach klar an, dass mit der erfolgenden Verabschiedung des Koalitionsentwurfes durch die Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag das Kapitel nicht erledigt sei: „So wie wir Verhandlungen darüber fordern, wie die Kommunen in Ihr Modell integriert werden können, werden auch Sie im Zusammenhang mit dem Existenzgrundlagengesetz darüber verhandeln wollen, wie die Bundesanstalt integriert werden kann.“

Verhandlungen – darum ging es nun. Denn die unionsgeführte Mehrheit im Bundesrat lehnte den Koalitionsentwurf ab. Nun schlug die Stunde des Vermittlungsausschusses. Wochenlang dauerte das Ringen. Die Fraktionsexperten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sprachen mit ihren Parteifreunden aus den A-Ländern die Strategie ab, die Fraktionsexperten von CDU/CSU und FDP mit denen der B-Länder. Dann tagten immer wieder die für verschiedene Aspekte eingerichteten Facharbeitsgruppen. Was unter den Fachleuten ausgelotet wurde, prüfte anschließend der Vermittlungsausschuss als Ganzes auf seine Kompromissfähigkeit.

Es entwickelte sich eine besondere Dramatik, in der neue Vorschläge durchgerechnet wurden, sich kleine Zirkel zusammenfanden, Kontakt auch zu den Parteivorsitzenden bestand, der Vermittlungsausschuss sämtliche Mitarbeiter rausschickte, um vertraulich Kompromisse auszutesten. Dabei wurden auch Vorhaben in die Waagschale gelegt, die nicht Teil des Vermittlungsverfahrens waren – wie der Kündigungsschutz.

In der Nacht zum 15. Dezember war der Durchbruch geschafft: Die Koalition hatte unter anderem bei der Zumutbarkeit nachgegeben, die Opposition unter anderem die grundsätzliche Zuständigkeit der Arbeitsagentur angenommen. Die Details beim Zusammenwirken von Agentur und Kommunen wurden jedoch einem weiteren Bundesgesetz vorbehalten. Ansonsten standen beide Seiten nun zur Arbeitsmarktreform, wie am 19. Dezember bei der Abstimmung über das Vermittlungsergebnis im Bundestag deutlich wurde: 294 Ja- und zwölf Neinstimmen bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen, 287 Ja- und vier Neinstimmen bei CDU/CSU und FDP.

Sofort nahmen die Arbeitsgruppen in den Fraktionen wie auch die Fachabteilungen in der Bundesregierung die Arbeit an der so genannten Optionsregelung auf. Wie und welche Kommunen sollen für die eigene Arbeitsvermittlung optieren und auf welche Weise sollen die Städte und Gemeinden für ihre Leistungen vom Bund bezahlt werden?

Ringen ums Optionsgesetz

Es zeigte sich, dass die von der CDU/CSU angestrebte Grundgesetzänderung nicht mehrheitsfähig sein wird. Es fand sich jedoch eine Grundgesetzbestimmung, die ursprünglich für Bundesleistungen an Garnisonsstädte, also Kommunen mit Bundeswehrstandorten, gedacht war. Das jedoch bedeutet, dass es sich nur um Ausnahmen handeln kann. Ein neues Tauziehen begann: Die Opposition wollte möglichst viele Ausnahmen zulassen, die Koalition möglichst wenige. Das Optionsgesetz durchlief die erste Lesung im Bundestag, die Beratungen in den Ausschüssen, wurde in zweiter und dritter Lesung beschlossen, vom Bundesrat abgelehnt – und lag somit im Mai 2004 im Vermittlungsausschuss.

In der Arbeitsgruppe wurde es konkret: Mindestens 99 Städte sollten nach Auffassung der B-Seite optieren können, nach Einschätzung der A-Seite allenfalls 45. Der Kompromiss lautete 69. So viele Stimmen haben alle Bundesländer zusammen im Bundesrat, und damit war gleichzeitig ein Verteilungsschlüssel gefunden, wie viele Kommunen in jedem einzelnen Bundesland optieren können. Mit einer „offenen Klammer“ kam der Vorschlag der Experten in den Vermittlungsausschuss. Das heißt: Der Passus war offiziell noch strittig, aber hier konnte die Einigung liegen.

Wieder wurde ein Paket geschnürt: Als Ergebnis war dann detailliert geregelt, welche Statistiken wie herangezogen werden, um die garantierten Leistungen des Bundes an die Länder zur Weiterleitung an die Kommunen auszurechnen. So wurden in einer Nacht Milliarden bewegt. Aber Anfang Juli 2004 war es endlich geschafft: „Hartz IV“ stand im Gesetz. Die Vorbereitungen zur Umsetzung ab 1. Januar 2005 konnten beginnen.

Öffentliche Debatte in Fahrt

Doch nun kam die öffentliche Debatte erst richtig in Fahrt. Denn mit der Beschlussfassung wurde den Betroffenen bewusst, dass die Umsteuerung der Arbeitsvermittlung nun endgültig auf dem Weg ist. Rainer Wend (SPD), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit, kann über viele Parolen bei Demonstrationen und Diskussionen nur den Kopf schütteln. Das sei in Teilen „absurd“ und beruhe offensichtlich auf einer Mischung aus Unkenntnis und fehlender Informationsvermittlung. Empört sehen sich Bürger durch die Reform in ihrer Menschenwürde verletzt. Dem hält Wend entgegen: „Die Würde des Menschen bestimmt sich doch nicht allein nach Höhe und Dauer empfangener Transferleistungen, sondern nach den Möglichkeiten, in einem aktivierenden Prozess in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.“

Die Verständigungen im Vermittlungsausschuss bedeuten zudem nicht, dass die Fraktionen ihre grundsätzlich unterschiedlichen Konzeptionen nun für alle Zeit aufgegeben haben. Für die CDU/CSU und die FDP kann Hartz IV nur eine von vielen Reformen sein, um Arbeits­plätze zu schaffen. Auch nach Auf­fassung der Koalition müssen die Reformen weitergehen. Die Aus­wirkungen von Hartz IV werden auch den Bundestag immer wieder beschäftigen. Wiewohl sich alle Seiten darauf verständigten, nun erst einmal die Nerven zu behalten, gab es am 24. September schon einmal erste Ver­änderungen, die unter anderem zu höheren Freibeträgen für Familien führen.

Die Bilanz von Ausschusschef Rainer Wend: Der Bundestag sei bei der Arbeitsmarktreform zwar nur ein Akteur unter mehreren gewesen. „Wir konnten aber eine Reihe von Kritik, Sorgen und Bedenken aufnehmen und in das Gesetz reinbringen.“ Zudem hätten die Volksvertreter gezeigt, dass sie auch in Bereichen, die nicht so populär seien, die Bereitschaft zu grundlegenden Veränderungen haben. Er ist sich sicher: „Die Bürger werden im Rückblick honorieren, dass wir diese Kraft aufgebracht haben.“

Text: Gregor Mayntz
Fotos: Caro, picture-alliance, Deutscher Bundestag, ullstein bild
Erschienen am 18. Oktober 2004

Einseitige Debatte
Eine Stellungnahme von Klaus Brandner, SPD

Aktivität fördern
Eine Stellungnahme von Karl-Josef Laumann, CDU/CSU

Konzept stimmt
Eine Stellungnahme von Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen

Reklamationen absehbar
Eine Stellungnahme von Dirk Niebel, FDP

Hartz I-IV, Erklärungen


Job-AQTIV-Paket: Das Gesetz trat am 1. Januar 2002 in Kraft. Die Buchstaben stehen für Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren und Vermitteln – inzwischen hat sich als Schreibweise auch ein einfaches „Job-aktiv“ eingebürgert. Bereits in diesem Gesetzes­vorhaben ging es neben etlichen anderen Instrumenten und Erprobungsmodellen darum, zu Beginn der Arbeitslosigkeit umfassend die beruflichen Stärken und Chancen des Arbeitslosen zu ermitteln und mögliche Hindernisse bei der Arbeitssuche zu überwinden.
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Vermittlungsausschuss: Dieses Gremium mit 16 Vertretern des Bundestages und 16 Vertretern des Bundesrates (aus jedem Bundesland ein Mitglied) kann angerufen werden, wenn zwischen der Mehrheitsmeinung des Bundestages und der Mehrheitsmeinung des Bundesrates im ersten Durchlauf eines Gesetzes keine Einigung hergestellt werden konnte – insbesondere, wenn die Zustimmung des Bundesrates zwingend erforderlich ist. Weicht der Beschluss des Vermittlungsausschusses von der ursprünglich im Bundestag verabschiedeten Fassung ab, ist eine neue Abstimmung im Bundestag erforderlich.
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A-Länder und B-Länder: Im Vordergrund der Entscheidungsfindung im Bundesrat stehen die Interessen der einzelnen Landesregierungen. Die können jedoch auch entsprechend grundsätzlicher politischer Überzeugungen entlang gemeinsamer Parteizugehörigkeit entstehen. In der Regel existieren die unterschiedlichsten Koalitions- und Alleinregierungen in den Bundes­ländern. Es hat sich jedoch eine umgangssprachliche Eingliederung nach A- und B-Ländern herausgebildet. A-Länder sind zumindest seit 20 Jahren die SPD-geführten Länder, B-Länder immer die CDU/CSU-geführten Länder.
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