*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.2.3     Good Global Governance und das Nord-Süd-Verhältnis

10.2.3.1   Globale Strukturpolitik: Entwicklungs­ politik unter den Bedingungen der Globalisierung

Im Kontext der Globalisierungsdebatte tauchte Ende der 90er Jahre ein neuer Begriff auf, welcher der Entwicklungspolitik neue Aufgaben und Prioritäten zuwies: globale Strukturpolitik. Die rot-grüne Koalitionsregierung machte ihn zum ordnungspolitischen Leitbild einer „globalen nachhaltigen Entwicklung“.45 Dieses Leitbild geht von der Prämisse aus, dass die globalen Herausforderungen, vor denen sich in der „globalen Risikogesellschaft“ (Beck 1997) keine Gesellschaft drücken kann, nur durch eine neue multilaterale Kooperationskultur (sprich Global Governance) gemeistert werden können. Für die Entwicklungspolitik bedeutet globale Strukturpolitik stichwortartig:

Entwicklungspolitik muss auf die Veränderung interner und internationaler Strukturen abzielen. Die Hauptverantwortung für entwicklungsfördernde Strukturreformen tragen die Entwicklungsländer selbst, für Reformen der internationalen Finanz- und Handelsstrukturen aber die OECD-Länder, die das Sagen in der Weltwirtschaft haben.

Das Leitbild der „globalen nachhaltigen Entwicklung“ verlangt die Konzentration der knappen Mittel auf Bereiche, in denen es um die Lösung globaler Probleme mit hoher Risikostreuung geht, vor allem auf die Armutsbekämpfung, die Eindämmung der Umweltzerstörung und auf die friedenssichernde Konfliktprävention. Das BMZ orientiert sein Konzept der globalen Strukturpolitik an vier Zieldimensionen: soziale Gerechtigkeit – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – ökologisches Gleichgewicht – politische Stabilität. International wurden im Rahmen der Weltkonferenzen der 90er Jahre und beim Millenniumsgipfel 2000 sieben internationale Entwicklungsziele vereinbart (s. Kasten 10-5).

Aus globaler Perspektive ist es geboten, auch in den Schwellenländern mit einem wachsenden Energieverbrauch in regenerative Energiesysteme und in Umwelttechnologie zu investieren. Ohne Mitwirkung der Schwellen- und Transformationsländer kann es keine Lösung der globalen Umweltprobleme, kein Migrationsregime zur Steuerung internationaler Wanderungsbewegungen und keine stabile Friedensordnung geben. Diese Mitverantwortung setzt allerdings auch voraus, dass ihre Rolle in den internationalen Organisationen aufgewertet wird.

Die bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sollte stärker als bisher regionale Kooperationsprojekte unterstützen, um regionale Problemlösungskapazitäten aufzubauen und überforderte globale Organisationen (wie das gesamte UN-System) zu entlasten. Das Prinzip der Subsidiarität erfordert die Stärkung regionaler Organisationen. Diese Forderung ist auch von Vordenkern der „Gruppe 77“ zu hören (vgl. Bello 2001).

   Entwicklungspolitik muss wieder die Handlungsfähigkeit der Staaten stärken, nachdem der neo-liberale „Washington Konsensus“ nicht nur zum Abbau eines lähmenden Interventionismus geführt hat, sondern auch ihre Fähigkeit geschwächt hat, konstruktiv mit den eigenen Problemen und mit dem Globalisierungsdruck umzugehen. „Capacity building“ setzt „Institution building“ voraus.

Nicht nur schrumpfende Entwicklungsetats, sondern auch Einsichten, wie Fähigkeiten zur kooperativen Problem­ lösung aufgebaut werden können, verlangen die Suche nach neuen Formen von Public-Private-Partnership (PPP). Ohne die finanziellen und organisatorischen Ressourcen der weltweit agierenden „Multis“ und ohne das Engagement der zunehmend transnational organisierten NGOs ist die Lösung vieler Weltprobleme nicht mehr möglich. Zivilgesellschaftliches Engagement ist nicht nur eine demokratische Tugend, sondern bringt auch eine Menge Sachkunde und Bewegung in die Politik. Globale Politik-netzwerke nach dem Muster der „World Commission on Dams“ (vgl. Kapitel 10.3.3),die Staaten, internationale Organisationen, Unternehmen und NGOs an den Verhandlungstisch brachte, sind ein neues Modell für das „Regieren jenseits der Staaten“.

In der Entwicklungszusammenarbeit sollten Frauengruppen und andere NGOs, die sich in ihrem jeweiligen Kontext für die Ziele der IV. Weltfrauenkonferenz der UN in Peking einsetzen, gefördert werden. Dies gilt besonders für Frauen im Nahen Osten, in Asien und im subsaharischen Afrika, die sich mit fundamentalistischen Angriffen auf Frauen- und Menschenrechte auseinandersetzen müssen. Generell ist es für Gruppen von Frauen in Armenvierteln, Migrantinnen oder kleine lokale Projekte (vgl. Kortendiek 2001) schwierig, z.B. Räume, Aktivitäten oder auch die Flugreise zu internationalen Konferenzen zu finanzieren, sie haben zudem geringen Zugang zu organisationsrelevanten Ressourcen wie Geld, Wissen oder internationaler Kommunikation, z.B. dem Internet.

Globale Strukturpolitik bewegt sich nicht auf einer Nord-Süd-Einbahnstraße, sondern verlangt allen Gesellschaften Bewusstseins- und Verhaltensänderungen ab. Die Menschen und Staaten des Nordens müssen erkennen, dass sie für die Probleme in scheinbar entfernten Regionen, die ihnen die Globalisierung näher bringt, sowohl mitverantwortlich als auch von ihren Folgen betroffen sind.

Die Hegemonie eines Kartells der Reichen und Mächtigen ist unvereinbar mit einer neuen internationalen Kooperationskultur. Die Staatenmehrheit aus der Dritten Welt wird nur dann zu kooperativen Problemlösungen (z.B. in der Umweltpolitik) bereit sein, wenn ihr erstens mehr Gleichberechtigung in internationalen Verhandlungsprozessen und in wichtigen internationalen Organisationen zugestanden wird, und wenn sie zweitens an den Handels- und Wohlstandsgewinnen, die aus der Globalisierung resultieren, angemessen beteiligt wird.

Eine globale Strukturpolitik verlangt nicht nur eine Reorientierung der Entwicklungspolitik und Reorganisation der Entwicklungsverwaltung, sondern auch eine Ausrichtung der Gesamtpolitik auf die Herausforderungen der Globalisierung und ihrer Risiken. Regieren im 21. Jahrhundert muss anders organisiert werden als zuvor: Die nationale Entwicklungspolitik muss besser als bisher mit der europäischen und globalen Ebene koordiniert und vernetzt werden. Globale Strukturpolitik heißt mehr Koordination von Akteuren und mehr Kohärenz von Politikbereichen.

Die Entwicklungspolitik kann ihren erweiterten Aufgabenkatalog nur dann erfüllen, wenn sie als politische Querschnittsaufgabe konzipiert wird, also zusammen mit der Außen- und Menschenrechtspolitik, der Handels- und Finanzpolitik, der Umwelt- und Agrarpolitik in eine    kohärente Gesamtpolitik eingebunden wird (s. Empfehlung 10-2). Voraussetzung dazu wäre, dass die unproduktiven Ressortrivalitäten überwunden werden und das Bundeskanzleramt seine Richtlinienkompetenz und Koordinierungsfunktion auch auf den angeblich „weichen“ Politikbereich der Entwicklungspolitik ausdehnt oder die Federführung des BMZ bei entwicklungspolitisch relevanten Vorhaben und Entscheidungen stärkt.

In dieser Legislaturperiode sind bereits wichtige Schritte zur Neuausrichtung der Entwicklungspolitik im Sinne internationaler Strukturpolitik geleistet worden, zum Beispiel im Rahmen des Aktionsprogrammes 2015 (s. Kasten10-6). Das BMZ hat die Federführung in wichtigen strukturbildenden Politikfeldern wie z.B. der EU-Entwicklungspolitik erhalten, es ist im Bundessicherheitsrat mit einem Sitz vertreten, eine neue entwicklungspolitische Regelprüfung soll die Kohärenz sichern. Auf multilateraler Ebene wurden ebenfalls wichtige Reformschritte eingeleitet, wie die Entschuldung der ärmsten Entwicklungländer und die verstärkte Armutsorientierung der Bretton-Woods-Institutionen.

   Empfehlung 10-12    Entwicklungspolitische Global Governance

Die Bundesregierung wird dazu aufgefordert, Entwicklungspolitik noch stärker als bisher im Sinne einer internationalen Strukturpolitik zu konzipieren. Sie soll im Rah­ men der Entwicklungszusammenarbeit politische Strategien stärken, die darauf abzielen, die internationalen Rahmenbedingungen für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu verbessern. Die bei den Weltkonferenzen der 90er Jahre und beim Millenniumsgipfel 2000 vereinbarten internationalen Entwicklungsziele (s. Kasten 10-5)müssen umgesetzt werden, insbesondere das Ziel, den Anteil extrem armer Menschen an der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Das ressortübergreifende „Aktionsprogramm 2015“ der Bundesregierung ist ein erster Ansatzpunkt, den es weiter zu konkretisieren und umzusetzen gilt (s.Kasten 10-6). Das Aktionsprogramm strebt soziale, wirtschaftliche, politische und ökologische Strukturveränderungen auf internationaler Ebene an, es geht aber auch um notwendige Reformen in den Ländern selbst und bei uns in Deutschland. Maßnahmen zur Schaffung fairer Handelschancen für die Entwicklungsländer, zum weiteren Abbau der Verschuldung und zur Stärkung der Kapazitäten von Entwicklungsländern sowie zur verbesserten Finanzierung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (sowohl zur schrittweisen quantitativen Erhöhung der Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit anhand konkreter Zeitpläne sowie zur Entwicklung innovativer Finanzierungsinstrumente, vgl. dazu genauer Empfehlung 2-15ff. und Kasten 7-8)müssen voran gebracht werden.



45 Vgl. Wieczorek-Zeul (1999) und die Aufsätze in Heinrich-Böll-Stiftung (2001). Vgl. aber auch die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Eine internationale Soziale Marktwirtschaft als Grundmodell für eine globale Struktur- und Ordnungspolitik – Chancen und Risiken der Globalisierung der Weltwirtschaft für die Entwicklungsländer (BT-Drs. 14/1960) sowie die Antwort der Bundesregierung dazu (BT-Drs. 14/3967) (Deutscher Bundestag 1999 und 2000).

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