10.2.3 Good
Global Governance und das Nord-Süd-Verhältnis
10.2.3.1 Globale Strukturpolitik:
Entwicklungs politik unter den Bedingungen der
Globalisierung
Im Kontext der Globalisierungsdebatte tauchte
Ende der 90er Jahre ein neuer Begriff auf, welcher der
Entwicklungspolitik neue Aufgaben und Prioritäten zuwies:
globale Strukturpolitik. Die rot-grüne Koalitionsregierung
machte ihn zum ordnungspolitischen Leitbild einer „globalen
nachhaltigen Entwicklung“.45 Dieses Leitbild geht von der Prämisse
aus, dass die globalen Herausforderungen, vor denen sich in der
„globalen Risikogesellschaft“ (Beck 1997) keine
Gesellschaft drücken kann, nur durch eine neue multilaterale
Kooperationskultur (sprich Global Governance) gemeistert werden
können. Für die Entwicklungspolitik bedeutet globale
Strukturpolitik stichwortartig:
Entwicklungspolitik muss auf die
Veränderung interner und internationaler Strukturen abzielen.
Die Hauptverantwortung für entwicklungsfördernde
Strukturreformen tragen die Entwicklungsländer selbst,
für Reformen der internationalen Finanz- und Handelsstrukturen
aber die OECD-Länder, die das Sagen in der Weltwirtschaft
haben.
Das Leitbild der „globalen nachhaltigen
Entwicklung“ verlangt die Konzentration der knappen Mittel
auf Bereiche, in denen es um die Lösung globaler Probleme mit
hoher Risikostreuung geht, vor allem auf die Armutsbekämpfung,
die Eindämmung der Umweltzerstörung und auf die
friedenssichernde Konfliktprävention. Das BMZ orientiert sein
Konzept der globalen Strukturpolitik an vier Zieldimensionen:
soziale Gerechtigkeit – wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit – ökologisches Gleichgewicht
– politische Stabilität. International wurden im Rahmen
der Weltkonferenzen der 90er Jahre und beim Millenniumsgipfel 2000
sieben internationale Entwicklungsziele vereinbart (s.
Kasten 10-5).
Aus globaler Perspektive ist es geboten, auch
in den Schwellenländern mit einem wachsenden Energieverbrauch
in regenerative Energiesysteme und in Umwelttechnologie zu
investieren. Ohne Mitwirkung der Schwellen- und
Transformationsländer kann es keine Lösung der globalen
Umweltprobleme, kein Migrationsregime zur Steuerung internationaler
Wanderungsbewegungen und keine stabile Friedensordnung geben. Diese
Mitverantwortung setzt allerdings auch voraus, dass ihre Rolle in
den internationalen Organisationen aufgewertet wird.
Die bi- und multilaterale
Entwicklungszusammenarbeit sollte stärker als bisher regionale
Kooperationsprojekte unterstützen, um regionale
Problemlösungskapazitäten aufzubauen und
überforderte globale Organisationen (wie das gesamte
UN-System) zu entlasten. Das Prinzip der Subsidiarität
erfordert die Stärkung regionaler Organisationen. Diese
Forderung ist auch von Vordenkern der „Gruppe 77“ zu
hören (vgl. Bello 2001).
Entwicklungspolitik muss wieder die
Handlungsfähigkeit der Staaten stärken, nachdem der
neo-liberale „Washington Konsensus“ nicht nur zum Abbau
eines lähmenden Interventionismus geführt hat, sondern
auch ihre Fähigkeit geschwächt hat, konstruktiv mit den
eigenen Problemen und mit dem Globalisierungsdruck umzugehen.
„Capacity building“ setzt
„Institution building“ voraus.
Nicht nur
schrumpfende Entwicklungsetats, sondern auch Einsichten, wie
Fähigkeiten zur kooperativen Problem lösung
aufgebaut werden können, verlangen die Suche nach neuen Formen
von Public-Private-Partnership (PPP). Ohne die finanziellen und
organisatorischen Ressourcen der weltweit agierenden
„Multis“ und ohne das Engagement der zunehmend
transnational organisierten NGOs ist die Lösung vieler
Weltprobleme nicht mehr möglich. Zivilgesellschaftliches
Engagement ist nicht nur eine demokratische Tugend, sondern bringt
auch eine Menge Sachkunde und Bewegung in die Politik. Globale
Politik-netzwerke nach dem Muster der „World Commission on
Dams“ (vgl. Kapitel 10.3.3),die
Staaten, internationale Organisationen, Unternehmen und NGOs an den
Verhandlungstisch brachte, sind ein neues Modell für das
„Regieren jenseits der Staaten“.
In der
Entwicklungszusammenarbeit sollten Frauengruppen und andere NGOs,
die sich in ihrem jeweiligen Kontext für die Ziele der IV.
Weltfrauenkonferenz
der UN in Peking einsetzen, gefördert werden. Dies gilt
besonders für Frauen im Nahen Osten, in Asien und im
subsaharischen Afrika, die sich mit fundamentalistischen Angriffen
auf Frauen- und Menschenrechte auseinandersetzen müssen.
Generell ist es für Gruppen von Frauen in Armenvierteln,
Migrantinnen oder kleine lokale Projekte (vgl. Kortendiek 2001)
schwierig, z.B. Räume, Aktivitäten oder auch die
Flugreise zu internationalen Konferenzen zu finanzieren, sie haben
zudem geringen Zugang zu organisationsrelevanten Ressourcen wie
Geld, Wissen oder internationaler Kommunikation, z.B. dem
Internet.
Globale
Strukturpolitik bewegt sich nicht auf einer
Nord-Süd-Einbahnstraße, sondern verlangt allen
Gesellschaften Bewusstseins- und Verhaltensänderungen ab. Die
Menschen und Staaten des Nordens müssen erkennen, dass sie
für die Probleme in scheinbar entfernten Regionen, die ihnen
die Globalisierung näher bringt, sowohl mitverantwortlich als
auch von ihren Folgen betroffen sind.
Die Hegemonie
eines Kartells der Reichen und Mächtigen ist unvereinbar mit
einer neuen internationalen Kooperationskultur. Die Staatenmehrheit
aus der Dritten Welt wird nur dann zu kooperativen
Problemlösungen (z.B. in der Umweltpolitik) bereit sein, wenn
ihr erstens mehr Gleichberechtigung in internationalen
Verhandlungsprozessen und in wichtigen internationalen
Organisationen zugestanden wird, und wenn sie zweitens an den
Handels- und Wohlstandsgewinnen, die aus der Globalisierung
resultieren, angemessen beteiligt wird.
Eine globale
Strukturpolitik verlangt nicht nur eine Reorientierung der
Entwicklungspolitik und Reorganisation der Entwicklungsverwaltung,
sondern auch eine Ausrichtung der Gesamtpolitik auf die
Herausforderungen der Globalisierung und ihrer Risiken. Regieren im
21. Jahrhundert muss anders organisiert werden als zuvor: Die
nationale Entwicklungspolitik muss besser als bisher mit der
europäischen und globalen Ebene koordiniert und vernetzt
werden. Globale Strukturpolitik heißt mehr Koordination von
Akteuren und mehr Kohärenz von Politikbereichen.
Die
Entwicklungspolitik kann ihren erweiterten Aufgabenkatalog nur dann
erfüllen, wenn sie als politische Querschnittsaufgabe
konzipiert wird, also zusammen mit der Außen- und
Menschenrechtspolitik, der Handels- und Finanzpolitik, der Umwelt-
und Agrarpolitik in eine kohärente Gesamtpolitik eingebunden wird (s.
Empfehlung 10-2). Voraussetzung dazu wäre, dass die
unproduktiven Ressortrivalitäten überwunden werden und
das Bundeskanzleramt seine Richtlinienkompetenz und
Koordinierungsfunktion auch auf den angeblich „weichen“
Politikbereich der Entwicklungspolitik ausdehnt oder die
Federführung des BMZ bei entwicklungspolitisch relevanten
Vorhaben und Entscheidungen stärkt.
In dieser
Legislaturperiode sind bereits wichtige Schritte zur Neuausrichtung
der Entwicklungspolitik im Sinne internationaler Strukturpolitik
geleistet worden, zum Beispiel im Rahmen des Aktionsprogrammes 2015
(s. Kasten10-6). Das BMZ hat die Federführung in wichtigen
strukturbildenden Politikfeldern wie z.B. der
EU-Entwicklungspolitik erhalten, es ist im Bundessicherheitsrat mit
einem Sitz vertreten, eine neue entwicklungspolitische
Regelprüfung soll die Kohärenz sichern. Auf
multilateraler Ebene wurden ebenfalls wichtige Reformschritte
eingeleitet, wie die Entschuldung der ärmsten
Entwicklungländer und die verstärkte Armutsorientierung
der Bretton-Woods-Institutionen.
Empfehlung 10-12 Entwicklungspolitische
Global Governance
Die Bundesregierung wird dazu
aufgefordert, Entwicklungspolitik noch stärker als bisher im
Sinne einer internationalen Strukturpolitik zu konzipieren. Sie
soll im Rah men der Entwicklungszusammenarbeit politische
Strategien stärken, die darauf abzielen, die internationalen
Rahmenbedingungen für eine sozial, wirtschaftlich und
ökologisch nachhaltige Entwicklung zu verbessern. Die bei den
Weltkonferenzen der 90er Jahre und beim Millenniumsgipfel 2000
vereinbarten internationalen Entwicklungsziele (s.
Kasten 10-5)müssen umgesetzt werden, insbesondere das
Ziel, den Anteil extrem armer Menschen an der Weltbevölkerung
bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Das ressortübergreifende
„Aktionsprogramm 2015“ der Bundesregierung ist ein
erster Ansatzpunkt, den es weiter zu konkretisieren und umzusetzen
gilt (s.Kasten 10-6). Das Aktionsprogramm strebt soziale,
wirtschaftliche, politische und ökologische
Strukturveränderungen auf internationaler Ebene an, es geht
aber auch um notwendige Reformen in den Ländern selbst und bei
uns in Deutschland. Maßnahmen zur Schaffung fairer
Handelschancen für die Entwicklungsländer, zum weiteren
Abbau der Verschuldung und zur Stärkung der Kapazitäten
von Entwicklungsländern sowie zur verbesserten Finanzierung
der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (sowohl zur
schrittweisen quantitativen Erhöhung der Mittel für die
öffentliche Entwicklungszusammenarbeit anhand konkreter
Zeitpläne sowie zur Entwicklung innovativer
Finanzierungsinstrumente, vgl. dazu genauer Empfehlung 2-15ff. und
Kasten 7-8)müssen voran gebracht werden.
45 Vgl. Wieczorek-Zeul (1999) und die Aufsätze in
Heinrich-Böll-Stiftung (2001). Vgl. aber auch die Große
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Eine internationale Soziale
Marktwirtschaft als Grundmodell für eine globale Struktur- und
Ordnungspolitik – Chancen und Risiken der Globalisierung der
Weltwirtschaft für die Entwicklungsländer (BT-Drs.
14/1960) sowie die Antwort der Bundesregierung dazu (BT-Drs.
14/3967) (Deutscher Bundestag 1999 und 2000).
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