11.1.5.6 Basis für die globalisierte Zukunft
schaffen: Bildung und Forschung fördern
Die Gesellschaft
befindet sich im Übergang von der Industrie- in die
Wissensgesellschaft. Dieser Übergang bedeutet sicher nicht den
Abschied von industrieller Produktion oder von industriellen
Produktionsweisen. Aber das Gewicht der einzelnen
Produktionsfaktoren verändert sich. Information und Wissen und
damit eine besondere Form des „Humankapitals“ gewinnen
gegenüber anderen Produktionsfaktoren wie Kapital, Rohstoffen,
Boden oder der menschlich-körperlichen Arbeit die
entscheidende Bedeutung.
Dienstleister und
Industrie sind inzwischen untrennbar miteinander verflochten.
Services gehen in erheblichem Umfang als Vorleistungen in moderne
und innovative Industrieprodukte ein. Mittlerweile machen
Dienstleistungen, wie etwa Planung und Beratung sowie FuE inkl.
Patente und Lizenzen, einen Großteil der in Gütern
enthaltenen Wertschöpfung aus. Der Strukturwandel bedeutet
enorme Chancen für Wachstum, Produktivitätsfortschritte
und Entwicklungen in der Lebensqualität. Gleichzeitig bedeutet
dieser Strukturwandel auch Herausforderungen im globalen
Innovationswettbewerb. Der Druck im internationalen Wettbewerb wird
stärker, die technologische Entwicklung dynamischer, die
Produktlebenszyklen kürzer.
Bildung
und Wissen als Voraussetzung für Innovationen
Der
Strukturwandel wird durch die Möglichkeiten der
verstärkten internationalen Arbeitsteilung im Rahmen der
Globalisierung unterstützt. Die Voraussetzungen, um die
Vorteile und Chancen dieses Strukturwandels und damit auch der
Globalisierung optimal nutzen zu können, sind Bildung, ein
wettbewerbsfähiges Wissen und die Fähigkeit, diese rasch
in Innovationen umsetzen zu können. Bildung und Ausbildung
sind die entscheidenden Faktoren in der Wettbewerbsfähigkeit
einer Volkswirtschaft sowie der einzelnen in ihr lebenden Menschen.
Denn nur gut ausgebildete Menschen schaffen neue Produkte und
Dienstleis tungen. Forschung, Wissen, Ausbildung und
Wirtschaftswachstum hängen eng miteinander zusammen.
So wie in den Zeiten von Wissensgesellschaft
und Globalisierung Bildung immer wichtiger wird, eröffnen
umgekehrt die Globalisierung und die neuen Techniken der
Wissensgesellschaft aber auch mehr Menschen als jemals zuvor in der
Geschichte Zugang zu genau diesen Faktoren, Bildung und Wissen.
Forschung und Entwicklung waren die Grundlage für die
Innovationen in der Halbleitertechnologie, die die
kostengünstige Massenproduktion von Computern ermöglicht
haben. Dadurch haben heute breite Bevölkerungskreise (in
Verbindung mit Software) Zugang zu den weltweit vorhandenen
Informationen, um die darin liegenden vielfältigen Chancen
nutzen zu können. Erstmals in der Geschichte eröffnet
sich dank der Verfügbarkeit der Technik der Zugang zu Wissen
und Informationen nicht mehr nur einer vergleichsweise kleinen
Gruppe Privilegierter.
Indien hat gezeigt, mit welcher Dynamik ein der
Technik aufgeschlossen gegenüberstehendes Schwellenland in der
Nutzung der Informationstechnologie den Anschluss an die weltweit
führenden Länder geschafft hat. Hierbei haben
insbesondere die erfolgreichen Anstrengungen in der Heranbildung
von hochqualifizierten Fachkräften beigetragen. Jedes Jahr
verlassen Tausende Software-Entwickler(innen) die indischen
Colleges und Universitäten. Sie finden dank ihrer Ausbildung
auf dem rasch wachsenden heimischen IT-Arbeitsmarkt oder im Ausland
eine Anstellung, die attraktive berufliche Perspektiven bietet.
Für das große Thema Bildung ist
Folgendes notwendig:
– In der gesamten Welt, und das gilt eben
auch für Deutschland, müssen die Bildung wesentlich
ausgebaut und hierzu die Bildungssysteme verbessert werden. Im
Rahmen einer weltweiten Strategie zur Stärkung der
Wissensgesellschaft besitzt der Bildungssektor erste
Priorität. Dies muss auch durch internationale Anstrengungen
der Entwicklungshilfe unterstrichen werden. Die Rahmenbedingungen
der Schulen und Hochschulen müssen mehr auf Wettbewerb hin
orientiert werden. Effizienzsteigerung und mehr Investitionen im
Bildungssektor sind das Gebot.
– Beim Aufbau von Bildung und Wissen ist
aber auch Eigeninitiative notwendig, sie muss gefördert
werden. Meist verspricht sie sogar den größten Erfolg.
Dabei müssen auch Anreize für private Investitionen
verstärkt werden. Die Bedeutung des privaten Sektors für
Bildung und Ausbildung nimmt weltweit zu. Einen wichtigen Beitrag
beim „Capacity building“, also beim Aufbau von
Bildung und Wissen in den Entwicklungs- und Schwellenländern,
leisten etwa die globalen Aktivitäten transnationaler
Unternehmen.
– Die neuen Techniken der global vernetzten
Welt müssen stärker für einen weltweiten Zugang zu
Bildungseinrichtungen genutzt werden. Eine „digitale
Spaltung“ ist nicht hinnehmbar.
– Transfer von Know-how funktioniert am
besten über Köpfe. Hierin liegt ein erhebliches
Beschleunigungspotenzial für Innovationen, das es zu nutzen
gilt. Die Globalisierung bietet gerade hier enorme Chancen, zum
Vorteil aller den personellen Austausch zwischen In- und Ausland
sowie zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu verstärken. Dazu
müssen im Inland das Dienst- und Besoldungsrecht
flexibilisiert sowie für den grenzüberschreitenden
Austausch die entsprechenden nationalen und internationalen
Regelungen vereinfacht und flexibilisiert werden.
Konzentration im Forschungssektor
Im Gegensatz zu den Bildungsausgaben ist der
Forschungssektor global stark konzentriert. Von den etwa fünf
Millionen Forschern in der Welt entfallen 70% auf die sechs Staaten
USA, Deutschland, Japan, Großbritannien, Frankreich und
Italien. Diese Konzentration resultiert zum Teil auch daraus, dass
etwa 60–70% der weltweiten Forschungsausgaben von der
Wirtschaft getragen werden (OECD 2001m).
Investitionen in Forschung und Entwicklung
haben eine große Hebelwirkung über die eigentlichen
Investitionen hinaus und sind damit von großem
volkswirtschaftlichem Nutzen. Diesem stehen jedoch hohe
Erfolgsrisiken gegenüber. Dies gilt gleichermaßen
für öffentliche wie für industrielle
FuE-Aufwendungen. Im Rahmen der Globalisierung gibt es auch einen
innovationsfördernden globalen Wettbewerb der besten
FuE-Standorte um die privaten FuE-Mittel. Zu den wichtigsten
Aufgaben der Forschungspolitik gehören daher:
– Im Interesse der
Gesellschaft muss auch die öffentlich finanzierte Forschung
neues Grundlagenwissen für spätere innovative
Entwicklungen erarbeiten. Diese Forschung muss nicht angewandt
sein, aber anwendungsoffen. Schon weil die Mittel begrenzt sind,
müssen die Mittel im Wettbewerb an die Hochschulen und
Institute vergeben werden. In der Wissenschaft ist Wettbewerb genau
so angebracht wie in der Wirtschaft.
– Zur
Unterstützung der industriellen FuE-Anstrengungen, die immer
auch mit Erfolgsrisiken behaftet sind, muss der Staat die
notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Wichtig sind hierbei vor
allem Rechtssicherheit in Fragen des geistigen Eigentums sowie
schlüssige Innovationsstrategien von FuE bis hin zur
unternehmerischen Verwertung. Häufig konterkarieren
langwierige Genehmigungsverfahren bei der Umsetzung die
Technologieförderung ein- und derselben Regierung.
– Die Globalisierung
bietet durch Technologietransfer den Entwicklungs- und
Schwellenländern enorme Chancen, Anschluss an die weltweit
führenden Technologien zu finden. Patente schaffen einen
Anreiz zur Erweiterung des Wissens und für weitere
Erfindungen, weil der erfinderische Schritt offengelegt wird und
damit der Gesellschaft zugute kommt. Technologietransfer setzt
jedoch wirksamen Patentschutz, etwa durch das TRIPS-Abkommen im
Rahmen der WTO voraus. Entwicklungsländer, die die richtigen
Rahmenbedingungen wie eben einen effektiven Schutz geistigen
Eigentums setzen, schaffen die Voraussetzungen für
wirtschaftliche Entwicklungen und auch für eigenständige
Innovationen, die sie dann wiederum auf dem Welt- und Heimatmarkt
verwerten können. Da es den Entwicklungs- und
Schwellenländern oft lediglich an Know-how bei der Umsetzung
solcher internationaler Abkommen fehlt, sprechen wir uns für
eine Unterstützung dieser Länder im Umgang mit
FuE-fördernden Rechtsabkommen aus. Das muss auch die im
TRIPS-Abkommen vorgesehenen Möglichkeiten zu Zwangslizenzen
umfassen.
– Die Globalisierung
bietet die Chance, das enorme Potenzial für mehr Innovationen,
das durch internationale Kooperation entsteht, freizulegen. Daher
müssen die Rahmenbedingungen für solche internationalen
– Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer
umfassende – Kooperationen geschaffen werden.
– Die Erfahrungen
vieler Länder zeigen, dass im Rahmen des globalen Wettbewerbs
um die besten FuE- Standorte insbesondere steuerliche Anreize geeignet
sein können, dass Unternehmen verstärkt FuE im eigenen
Hause oder durch externe Forschungsaufträge durchführen.
Ein finanzierbarer und sinnvoller Einstieg könnte die
Förderung von Forschungsaufträgen der Wirtschaft an die
Wissenschaft sein, indem ein Teil der Transferzahlungen von der
Steuerschuld in Form eines Steuerguthabens abzugsberechtigt
wäre. Wichtig sind dabei folgende Kriterien: keine sektorale
Förderung, Schwerpunkt im vorwettbewerblichen Bereich,
administrativ leicht abzuwickeln, Gegenfinanzierung durch
Einsparung der direkten FuE-Zuwendungen des Staates an die
Wirtschaft.
– Die
Innovationskette von der universitären und außer
universitären Grundlagenforschung hin zu wirtschaftlich
verwertbaren Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen muss
verstärkt werden. Zum Ausbau dieses Transfers müssen die
Hochschulen die Ergebnisse ihrer Forschung besser verwerten, etwa
durch mehr Patentanmeldungen. Die unternehmensbezogene Forschung
muss gestärkt werden.
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