11.3.2 Arbeitsgruppe Finanzmärkte:
Demokratisierung statt Disziplinierung
Der
Abschlussbericht der AG 1 stellt einen deutlichen Fortschritt
gegenüber dem Zwischenbericht dar. Bereits dieser hatte sich
im Diagnoseteil nicht auf die allgemeine Beschwörung der
theoretisch möglichen Vorzüge liberalisierter und
zunehmend deregulierter Finanzmärkte beschränkt, sondern
die wirkliche Welt zur Kenntnis genommen. Der Bezug auf die
tatsächliche Entwicklung der Finanzmärkte, ihre Struktur
und Funktionsweise sowie die jüngsten Finanzmarktkrisen hat
dazu geführt, dass der Abschlussbericht zu einer deutlich
skeptischen und kritischen Einschätzung ihrer Rolle und ihrer
Verantwortung für zunehmende weltwirtschaftliche
Instabilitäten und Krisen, vor allem für die soziale
Ungleichheit gelangt ist, die in den letzten beiden Jahrzehnten
sowohl zwischen dem Norden und Süden als auch innerhalb des
Nordens und des Südens dramatisch zugenommen hat. Diesen
Befund unterstreicht die PDS-Arbeitsgruppe nachdrücklich.
Wir
begrüßen es, dass die kritischen Akzente im
Zwischenbericht auf Grund der nachfolgenden Diskussionen – zu
der die PDS-Gruppe einen sichtbaren Beitrag geleistet hat –
noch einmal vertieft worden sind und zu Handlungsempfehlungen der
Mehrheitsfraktionen geführt haben, die weiter reichen als im
Zwischenbericht. Dies betrifft beispielsweise die kritischere
– und damit die unkritischen Aussagen im Zwischenbericht
korrigierende – Bewertung der Politik der Europäischen
Zentralbank, die endlich aufgenommene Empfehlung zur
Einführung einer Tobinsteuer und das Plädoyer für
eine Veränderung der Stimmrechtsverhältnisse im IWF
zugunsten der Entwicklungsländer – alles Themen und
Empfehlungen, die wir bereits in unserem Minderheitenvotum im
Zwischenbericht vorgeschlagen hatten.
Entsprechend dieser positiven Bewertung teilen wir
viele Handlungsempfehlungen insbesondere diejenigen, die sich auf
die Beschränkung der Spekulation, der Geldwäsche und der
Tätigkeit von Offshorezentren, auf die stärkere
Einbindung des Privatsektors bei der Bewältigung von
Zahlungsschwierigkeiten, die Sicherung der Finanzierungsgrundlagen
für den Mittelstand, die Schaffung eines europäischen
Finanzmarktes und die Demokratisierung internationaler
Institutionen richten.
Der Bericht gibt allerdings nach wie vor
Anlass zur Kritik: Die Analyse der Finanzmärkte ist teilweise
– vor allem im Abschnitt über shareholder value –
verharmlosend und inkonsequent; die Bewertung beschränkt sich
auf die destabilisierende Rolle der Finanzmärkte und klammert
ihren „disziplinierenden“ Druck auf die Politik von
demokratisch gewählten Parlamenten und Regierungen ganz aus.
Dieser Druck führt zu einer verengten wirtschaftspolitischen
Gesamtorientierung; Teile der Systeme der sozialen Sicherung werden
zunehmend den Gewinn interessen der institutionellen
Investoren und den Risiken der Kapitalmärkte ausgeliefert.
Beides verstärkt die Tendenzen der neoliberalen Gegenreform,
und beides hat auch in Deutschland während der letzten Jahre
stattgefunden. Als Folge dieser Beschränkung richten sich die
Handlungsempfehlungen der Kommissionsmehrheit im wesentlichen auf
die Stabilisierung der Finanzmärkte; aber auch auf diesem
Gebiet sind sie lückenhaft und in mancher Hinsicht halbherzig.
Besonders gravierend für uns ist die Haltung der Mehrheit zur
Herausbildung eines europäischen Finanzmarktes. Erst nach
unserem intensiven Drängen griff sie dieses Thema auf, dann
aber sehr unzureichend – im wesentlichen durch
stückweise Übernahme, Entschärfung und
Verballhornung unserer Papiere zu diesem Thema.
In ihren Votum behandelt die
PDS-Arbeitsgruppe zunächst die im Bericht ausgeklammerten
Probleme (1); sie legt dann zu zwei Gebieten ergänzende
Handlungsempfehlungen vor (2). Unser Votum zielt zum einen auf die
aktuellen Fehlentwicklungen, zum anderen auf die Gestaltung eines
europäischen Finanzmarktes, welcher der Demokratie, der
Beschäftigung und dem sozialen Zusammenhalt verpflichtet
ist.
|