11.3.4 Arbeitsgruppe
Global Governance: Politikwechsel statt neuer
Institutionen
Die Arbeitsgruppe der PDS stimmt dem Bericht
der AG 4 insgesamt zu, weil sie der Ansicht ist, dass globale
Kooperation bei der Lösung vieler grenzüberschreitender
Probleme hilfreich, in einigen Fällen sogar unabdingbar ist.
Es macht daher Sinn, die Vision einer solchen
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu entwickeln und
inhaltlich wie auch institutionell zu konkretisieren. Wir stimmen
auch deshalb zu, weil die Mehrheit in der AG 4 akzeptiert hat, dass
einige für uns wichtige Einwände, die wir gegenüber
einer in unserer Sicht naiven Konzeption von
Global Governance und gegen die aus unserer Sicht zu sehr auf
institutionelle Probleme gerichtete Stoßrichtung der
Diskussion vorgebracht haben, im Bericht sichtbar geworden sind,
teilweise als Modifikationen des Berichtstextes, teilweise als
kontroverse Positionen.
Die kurzen kritischen Anmerkungen beinhalten
nicht die Ablehnung einzelner Handlungsempfehlungen, sondern eine
Kritik an den analytischen Grundlagen und an der Gewichtung
einzelner Elemente der Analyse und der Handlungsempfehlungen. Die Kritik lässt sich
–in schematischer Verkürzung – in drei Punkte
zusammenfassen, die wir der Kürze halber als Thesen
formulieren:
1) „Global
Governance“ muss sich zentral auf bereits bestehende
ökonomische und politische Globalisierungsstrukturen und
-strategien beziehen.
Der oft im Zusammenhang mit der Diskussion um
Global Governance vorgebrachten und auch im Bericht (trotz
einiger differenzierender Halbsätze) vorherrschenden These,
der Globalisierung der Ökonomie müsse jetzt eine
Globalisierung der Politik folgen, liegt die Vorstellung zugrunde,
dass es einen Vorlauf der Ökonomie gäbe, der jetzt durch
die Globalisierung der Politik, eben durch Global Governance,
einzuholen sei. Dies mag für einzelne Bereiche zutreffen,
für die überwiegende Zahl der relevanten Gebiete für
die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung der Welt
halten wir diese Vorstellung für falsch. Wir stellen vielmehr
fest, dass
– es erstens seit
dem Ende des zweiten Weltkriegs eine in vielen internationalen
Organisationen globalisierte Politik gibt,
– zweitens diese
für die Entwicklung der ganzen Welt bedeutungsvolle Politik
zunächst durch den Kalten Krieg und nach dessen Ende durch die
Interessen der Industrieländer strukturiert worden ist und
nach wie vor wird, und dass
– drittens in den
letzten Jahren die Tendenzen zur ökonomischen und politischen
Hierarchisierung der Welt zugenommen haben und an die Stelle eines
demokratischen Multilateralismus ein „multilateral
gestützter Unilateralismus“ der USA tritt, der sich in
Nichtbeachtung, Austritt aus und Kündigung von internationalen
Abkommen sowie in der Instrumentalisierung bestehender
Organisationen durch die USA ausdrückt, und
– viertens die
„globalisierte Politik“ vor allem auf der Ebene
internationaler Regierungskonferenzen, wie in der G8 oder der EU
stattfindet und mit einer Entdemokratisierung einher geht. Zum
einen werden Parlamenten und der Öffentlichkeit demokratische
Kontrollrechte entzogen, zum anderen verschärft sich über
die in den Gremien formulierten Leitlinien der internationalen
Politik das Machtungleichgewicht zwischen Industrie-, Entwicklungs-
und Schwellenländern.
Obgleich der Bericht derartige bereits
bestehende Strukturen und Tendenzen erwähnt und gelegentlich
problematisiert, widmet er ihnen sehr viel weniger Aufmerksamkeit
als etwa den institutionellen Reformen der deutschen Politik zur
Unterstützung einer
Global Governance. Diese Gewichtung hat die Kompromissbildung
in der AG 4 unterstützt. Sie hat aber die Frage umgangen bzw.
offen gelassen, wie die Entwicklung globaler Politik der letzten
Jahrzehnte einzuschätzen ist und überwiegend den Eindruck
erweckt, die Politik stünde vor der Möglichkeit eines
Neuanfangs ohne radikale Korrektur der Fehlentwicklungen.
2) „Global
Governance“ im Sinne der im Bericht definierten
Nachhaltigkeitsstrukturen muss aus unserer Sicht als radikale
Korrektur der Fehlentwicklungen entwickelt werden, die seit Mitte
der 70er Jahre und verstärkt in den 90er Jahren die Welt
bestimmen.
Im letzten Viertel des vergangenen
Jahrhunderts ist die Kluft zwischen Arm und Reich – zwischen
den Industrie- und den Entwicklungsländern sowie in den
einzelnen Länder – tiefer geworden. Der Raubbau an den
Naturressourcen und die Belastung der Umwelt haben zu einer
Gefährdung der natürlichen Lebensbedingungen für
große Teile der Menschheit geführt. Die Zahl der Kriege
und der innergesellschaftlichen Gewaltausbrüche hat
zugenommen. Die Ursachen dieser dramatischen Entwicklung liegen
nicht im Fehlen internationaler Institutionen. Die Politik mancher
internationaler Organisationen – wie etwa des IWF – hat
sogar im Gegenteil zu den Finanzkrisen und sozialen Krisen der
Entwicklungsländer und zur Vertiefung der Spaltung zwischen
dem Norden und dem Süden beigetragen. Dies liegt vor allem
daran, dass der IWF strukturell durch die Länder des Nordens
dominiert wird und die Interessen der großen
Finanzinstitutionen des Nordens gegenüber den
Entwicklungsländern durchsetzt. Global Governance kann daher
nicht in erster Linie als Aufbau neuer Institutionen, sondern sie
muss in erster Linie als Korrektur der Struktur und der Politik
bereits bestehender Institutionen betrieben werden. Dazu
gehören im Falle des IWF vor allem die Demokratisierung der
Stimmrechtsstruktur, eine Neubestimmung des Auftrags und eine
kontinuierliche, transparente und demokratische Formulierung der
Politik. Der Text des Mehrheitsberichtes plädiert für
eine solche Korrektur, betrachtet sie aber nicht als Hauptaufgabe
von
Global Governance.
3) Die Korrektur der globalen
Fehlentwicklungen erfordert eine sehr weitgehende Veränderung
der welt- und gesellschaftspolitischen
Kräfteverhältnisse, die nur durch anhaltende soziale und
politische Mobilisierung zu erreichen sein wird und harten
Widerstand überwinden muss.
Die Globalisierung von Wirtschaft und Politik
hat nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner produziert, die
überwiegend im Norden zu finden sind. An ihrer Spitze stehen
große internationale Finanz- und Industriekonzerne, die in der
Lage sind, starken Einfluss auf die Regierungen ihrer Länder
zu nehmen. Sie haben diesen Einfluss während der letzten
beiden Jahrzehnte dazu genutzt, eine neoliberale Offensive
gesellschaftlicher Gegenreform in Gang zu setzen, die unter dem
Mantel schicksalhafter Globalisierung die Spaltung der Welt
vertieft und gesellschaftliches Gemeinwohl zunehmend privaten
Gewinninteressen unterwirft. Hiergegen hat sich in den letzten
fünf Jahren auch in den Industrieländern Widerstand
entwickelt.
Global Governance kann unseres Erachtens nur dann erfolgreich
entwickelt werden, wenn sie sich auf diesen Widerstand stützt,
ihn aufnimmt und zu parlamentarisch gestützten
Veränderungen der Politikorientierungen weiterentwickelt. Die
große Rolle, die der Endbericht der Zivilgesellschaft zuweist,
ist in diesem Sinne einerseits zu begrüßen. Sie
könnte andererseits zu Miss verständnissen Anlass
geben: es geht nicht um Zivil gesellschaft – also
nichtstaatliche Organisationen und Bewegungen schlechthin, sondern
um zivilgesellschaftlichen demokratischen Widerstand gegen die
Dominanz des Neoliberalismus, der seinerseits ebenfalls als
Exponent nicht- oder sogar antistaatlicher Zivilgesellschaft
auftritt. Auch in dieser Frage ist der Bericht offen, aber nicht
entschieden.
Um es zusammenzufassen: Wir halten die
einzelnen Ausführungen im Bericht der AG
Global Governance nicht für falsch und stimmen ihnen
deshalb zu. Was wir kritisieren, ist die Unentschiedenheit der
Diagnose und der Mangel an Gewichtung bei der Analyse und den
Handlungsempfehlungen. Wir wissen, dass beides die Bedingung
für einen konsensualen Bericht war, der immerhin auch in
unserem Sinne vernünftige Empfehlungen enthält. Auf der
anderen Seite sollten zwei Gefahren nicht übersehen werden,
die eine derart offene Konzeption von Global Governance mit sich
bringt: Zum einen kann die Unentschiedenheit in der Diagnose
über den Zustand der Welt und die Ursachen der
Fehlentwicklungen die Illusion fördern,
Global Governance vor allem als mehr oder minder wertfreie
Institutionenbildung betrachten und betreiben zu können, die
beliebigen Inhalten dienen kann. Zum anderen kann die
Abwesenheit demokratischen Widerstandes als emanzipatorischer
Kernbestandteil im Konzept von
Global Governance dazu führen, dass das Konzept zugunsten
der vorherrschenden Macht- und Kräfteverhältnisse
instrumentalisiert wird –
Global Governance als Weltherrschaft des Neoliberalismus. Das
würde nicht nur den Interessen der Arbeitsgruppe der PDS,
sondern mit Sicherheit auch den Absichten der Kommissionsmehrheit
widersprechen.
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