11.3.5.2 Globalisierungsbedingter
Strukturwandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt
11.3.5.2.1 Anstieg der
Qualifikations anforderungen
Ein Zusammenhang
zwischen Globalisierung und Arbeitsmarkt liegt für die
Enquete-Kommission in der vertieften internationalen Arbeitsteilung
und einem daraus resultierenden beschleunigten Strukturwandel. Mit
diesem Strukturwandel haben sich gleichzeitig die
Qualifikationsanforderungen an die nachgefragte Arbeitsmenge
verändert: Arbeitsintensive und geringqualifizierte
Tätigkeiten im Industriebereich wurden in den letzten zwanzig
Jahren verstärkt abgebaut und teilweise durch eine Nachfrage
nach hochqualifizierten Tätigkeiten ersetzt. Die
diesbezüglichen Handlungsempfehlungen des Endberichts gehen in
die richtige Richtung. Diese berücksichtigen jedoch nicht,
dass die Situation durch einen gesunkenen Einsatz des Staates und
der Unternehmen für die Weiterbildung mit verursacht und
verschärft wird. Stattdessen wird verstärkt an die
Eigenverantwortung des Individuums appelliert, ohne dass
überhaupt die Bedingungen bestehen, die jede und jeden in die
Lage versetzen würden, diese Verantwortung wahrnehmen zu
können. Ganz zu schweigen davon, dass diese Art der
„Eigenverantwortung“ in zunehmendem Maße auf
Eigenfinanzierung reduziert wird. In diesem Kontext führt die
Weiterbildung lediglich zur Verschärfung der bildungsbedingten
und sozialen Selektion.
Obwohl sich der Anteil der
Erwerbstätigen ohne formalen Berufsabschluss, die an einer
beruflichen Weiterbildung teilnehmen, zwischen 1979 und 1997 von
vier auf 17 Prozent erhöht hat, war dies immer noch mit
Abstand der geringste Anteil im Vergleich zu den Berufsgruppen mit
einer „höheren“ beruflichen Qualifikation, wie
z.B. Facharbeitern (35
Prozent) oder leitenden Angestellten (56Prozent) (Kuwan 2000).
Gerade im Zusammenhang mit dem Strukturwandel und der Bedeutung von
Qualifizierung als Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit, hat daher
die Herstellung von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt für
uns einen zentralen Stellenwert. Um dieses Ziel zu erreichen,
müssten die niedrig qualifizierten Erwerbstätigen
bevorzugt in der Weiterbildung gefördert werden. Insofern ist
es aus unserer Sicht erfreulich, dass die Mehrheit der
Enquete-Kommission empfiehlt, ein Bundesrahmengesetz für die
Weiterbildung und einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung
für Geringqualifizierte zu entwickeln. Mit dieser Empfehlung
wird an den nicht eingelösten Anspruch aus der Bildungsreform
der 60er und 70er Jahre angesetzt, die Weiterbildung zu einer
gleichberechtigten „4. Säule des Bildungswesens“
auszubauen. Wir sind der Auffassung, dass unter dem Aspekt der
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse diese
rahmengesetzliche Regelung des Bundes durch eine entsprechende
Ergänzung des Artikels 75 GG abgesichert werden sollte.
Zugleich ist die öffentliche Verantwortung für die
Weiterbildung zu erhöhen, um eine kontinuierliche Teilnahme
aller Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen und
insbesondere Geringqualifizierten und Erwerbslosen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung zu sichern. Hierbei ist zu
gewährleisten, dass die öffentliche Finanzierung
gestärkt wie auch die Beteiligung durch die Unternehmen an der
Finanzierung ausgeweitet wird und es sind Kriterien und Standards
für die Qualitätssicherung festzulegen.
Ein Rahmengesetz für Weiterbildung
widerspricht keineswegs dem Gestaltungsanspruch durch die
Tarifpartner, es schränkt auch nicht die Spielräume der
Länder und Kommunen ein. Im Gegenteil. Ein Rahmengesetz soll
bundesweite Prinzipien und Mindeststandards festlegen, die durch
Länder und Kommunen ausgestaltet und weiterentwickelt werden
können. Gewerkschaften und Betriebsräte werden
gegenüber den Unternehmen gestärkt, die Ausgestaltung in
Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen durchzusetzen. Dies
setzt voraus, dass auch im Betriebsverfassungsgesetz ein
Mitbestimmungsrecht in Qualifizierungsfragen verankert wird.
11.3.5.2.2 Arbeitszeit
Auf unser Drängen hin ist die skeptische
Formulierung gegenüber einer gesetzlichen
Überstundenbegrenzung entfallen und die Forderung nach
Zeitsouveränität im Zusammenhang mit der
Arbeitszeitflexibilisierung aufgenommen worden. Allerdings bleibt
die entsprechende Empfehlung im Endbericht zum Abbau der
Überstunden unverbindlich formuliert. Zum einen wird dies als
nur „denkbar“ benannt, zum anderen bezieht sich die
Forderung nach einer Begrenzung der Arbeitszeit ausschließlich
auf die Jahresarbeitszeit.
Allerdings haben Appelle zum
Überstundenabbau in der Vergangenheit und im Bündnis
für Arbeit keinen Erfolg gehabt. Die Reduktion der
Überstunden ist aber zu wichtig für den Kampf gegen die
Arbeitslosigkeit, als dass die Politik weiterhin auf einen
freiwilligen Abbau hoffen sollte – rund zwei Milliarden
bezahlter Überstunden entsprechen rein rechnerisch 1,2
Millionen Arbeitsplätzen. In einem ersten Schritt ließen
sich so knapp zehn Prozent der geleisteten Mehrarbeit in neue
Stellen umwandeln. Eine gesetzliche Begrenzung der
Jahreshöchstarbeitszeit würde für diesen positiven
Arbeitsmarkteffekt allerdings nicht ausreichen. Wir halten deshalb
eine Begrenzung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit
für zwingend notwendig. Dafür spricht auch, dass die
vergangene Produktivitätssteigerung ohne Umwandlung in
Arbeitszeitverkürzung oder Lohnsteigerung erheblich zur
Massenarbeitslosigkeit beigetragen hat. Die gesetzliche Begrenzung
der Arbeitszeit widerspricht nicht der Tarifautonomie. Im
Gegenteil. Die Kluft, die bereits jetzt zwischen gesetz
licher wöchentlicher Höchstarbeitszeit und
durchschnitt licher tarifvertraglich vereinbarter Arbeitszeit
besteht, erschwert den Gewerkschaften bereits heute, eine
wöchentliche Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.
Insofern würde durch eine gesetzliche Regelung der Spielraum
der Gewerkschaften, weitere Arbeitszeitverkürzung auf
tarifvertraglicher Basis zu vereinbaren, erweitert.
Die im Endbericht angeführten
Empfehlungen zur eingeschränkten Förderung von
Langfrist-Arbeitszeitkonten bedürfen unsere Ansicht nach
dringender Ergänzungen, welche die Ansprüche der
Arbeitnehmer allgemeinverbindlich festlegen sollen:
– Zuschlagspflicht
für Arbeitszeiten, die über die tarifvertraglich
vereinbarte Wochenarbeitszeit hinausgehen, auch wenn sie durch
Zeitguthaben kompensiert werden;
– Rechtsanspruch auf
eine entgeltliche Umwandlung des Zeitarbeitskontos bei Ausscheiden
des Arbeitnehmers aus dem Betrieb bzw. bei Insolvenz;
– Schutz des
Zeitguthabens vor der Anrechnung auf Lohnersatzleistungen. Bisher
wird im Falle einer Kündigung mit anschließender
Arbeitslosigkeit die Umwandlung von Zeitguthaben in Entgelt von den
Arbeitsämtern wie eine Abfindung behandelt und führt zu
einer Minderung der Lohnersatzleistungen;
– Sicherung der
Zeitsouveränität der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer.
Die Handlungsempfehlung im Endbericht zur
verstärkten Hilfe bei der Existenzgründung ist nach
unserer Ansicht keine sinnvolle Forderung zur Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit. Insbesondere lässt sich dadurch kein
Abbau der Arbeitslosigkeit bei „geringqualifizierten“
Personen erreichen. Wir befürchten vielmehr, dass durch einen
solchen Ansatz eher der „informelle Sektor“ in
Deutschland gestärkt würde. Unserer Ansicht nach ist der
im internationalen Vergleich relativ geringe Anteil der
Selbstständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen
nicht das Ergebnis zu geringer Hilfen zur Existenzgründung,
sondern auf eine zu schlechte Geschäftsaussicht
zurückzuführen, die sich unmittelbar aus der seit Jahren
schwachen Binnenkonjunktur ergibt. Unterstrichen wird dieses durch
die anhaltend hohe Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in der
Bundesrepublik Deutschland.
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