2.2.2 Neue
Akteure und Instrumente
Finanzinnovationen
Die gestiegene Attraktivität von Anlagen
auf Finanzmärkten führt zu jenen Finanzinnovationen, die
das globale Finanzsystem seit Mitte der 70er Jahre radikal
verändert haben. Wie technische Innovationen folgen auch
Finanzinnovationen einer spezifischen „Logik“: Mit
ihnen ist es möglich, Kapital mobiler und vielfältiger
(hinsichtlich Fristen, Währungen, Laufzeiten, Zinsen, Risiken
etc.) auf den Märkten der Welt anzulegen, zumal seit den
späten 50er Jahren die Konvertibilität von mehr und mehr
Währungen hergestellt und seit Mitte der 70er Jahre
Beschränkungen des Kapitalverkehrs aufgehoben wurden. So ist
die Globalisierung der Finanzmärkte extrem befördert
worden; es ist daher nicht abwegig, die finanzielle Globalisierung
als „politisches Projekt“ (und nicht allein als eine
ökonomische Tendenz) zu bezeichnen. Insbesondere fällt
die Geschwindigkeit auf, mit der Finanzinnovationen auf den
Markt gebracht werden, darunter in erster Linie neue
Derivate und unter diesen insbesondere die
Optionen.
Der Bestand an Derivaten nahm in den 90er
Jahren um mehr als das zehnfache zu. Interessant erscheint, dass
die börsengehandelten Derivate hier lediglich um das
sechsfache zunahmen,
während die Bestände an außerbörs
lich gehandelten Derivaten um das 15-fache zulegten (vgl. hierzu
auch
Tabelle 2-1).
Erleichtert werden die Innovationen
durch eine massive Konzentration bei den Banken. Einzelne
spektakuläre Großfusionen6 verdeutlichen die Tendenz der
Zusammenfassung des traditionellen Kreditgeschäfts von Banken,
von Versicherungen, der Außenhandelsfinanzierung und des
Investmentbanking zu „Allfinanz“-Konzernen. Auf den
Devisenmärkten hat die Konzentration zu einem deutlichen
Rückgang der Zahl der Devisenhändler geführt. Viel
weniger Banken als noch vor wenigen Jahren stellen für eine
breite Palette von Währungspaaren Ankaufs- und Verkaufskurse
fest. Der rasch zunehmende elektronische Handel (im Jahre 2000
bereits 85 bis 95 Prozent des Interbankhandels gegenüber 20
bis 30 Prozent im Jahren 1995) wird nur noch von zwei Maklern
weltweit (Cognotec und Currenex) abgewickelt (BIZ 2001a: 112f.).
Zwar ist es nicht möglich, heute bereits Auswirkungen dieser
Konzentration auf Kursspannen und die Kursvolatilität oder auf
die Liquidität zu erkennen. Doch befürchtet die BIZ, dass
die engeren Kursspannen Einnahmeeinbußen gebracht haben und
diese wiederum Anlass waren „weniger Mittel für das
Marktmachergeschäft“ bereitzustellen (BIZ 2001a: 113).
Dies kann in Zeiten angespannter Marktverhältnisse (also im
Verlauf von Finanzkrisen), wenn Liquidität benötigt wird,
den adversen Effekt haben, dass die Bereitstellung von
Liquidität nicht ausgeweitet, sondern eingeschränkt
wird.
Institutionelle Anleger
Versicherungskonzerne, Investment- und
Pensionsfonds – so genannte Institutionelle Anleger
– sind in den 90er Jahren zu entscheidenden Akteuren auf den
Finanzmärkten geworden (Deutsche Bundesbank 2001a). Sie
verwalteten 1996 bereits ein Vermögen von 21 Billionen
US-Dollar – für viele Länder ist das ein
erheblicher Teil des gesamten nationalen Sparvermögens der
privaten Haushalte. Auch ein großer Anteil des Aktienbesitzes
ist von den Haushalten zu den Pensionsfonds übergegangen.
Während zum Beispiel in den USA im Jahre 1950 die Haushalte
noch 90 Prozent der emittierten amerikanischen Aktien in ihrem
Besitz hatten, waren es 1994 nur noch knapp 50 Prozent.
Gleichzeitig stieg der Anteil der Aktien, die von Pensions- und
Investmentfonds gehalten wurden, von weniger als ein Prozent auf
mehr als 45 Prozent (Clark 2000: 62). Darüber hinaus
konzentriert sich das Fondsvermögen in Deutschland auf eine
relativ kleine Gruppe institutioneller An leger: 80 Prozent
der von Kapitalanlagegesellschaften in Deutschland verwalteten
Vermögen gehören zu den drei Großbanken Deutsche
Bank (etwa 25 Prozent), Dresdner Bank und Commerzbank (jeweils etwa
15 Prozent) sowie den Sparkassen- und Genossenschaftsbankzentralen
(eben so jeweils etwa 15 Prozent).
Die Anlagepolitik der institutionellen
Anleger ist allerdings noch – teilweise aufgrund
regulatorischer Beschränkungen – zumeist national
beschränkt. Der Anteil ausländischer Anlagen liegt in den
meisten Ländern bei wenig mehr als zehn Prozent. Nur kleine
und sehr offene Länder wie die Niederlande machen hier eine
Ausnahme. Dort betragen die internationalen Anlagen ca. 60 Prozent
des jeweiligen Gesamtvermögens (BIZ 1998: 100). Die
Anlagestrategien der Pensions- und Investmentfonds, besonders aber
der
Hedge-Fonds (s. 2-1) haben sich in den vergangenen Jahren
stärker internationalisiert. Für (nationale)
Kapitalmärkte kleinerer Länder haben auch vergleichsweise
geringe Anteile internationaler Investitionen ein
außerordentlich großes Gewicht. Die Fonds waren an der
„finanziellen Invasion“ der lateinamerikanischen und
asiatischen „Emerging Markets“ führend
beteiligt, und sie waren die ersten, die bei Anzeichen der Krise
aus den Märkten geflohen sind. Überdies verhindert der
(noch) geringe Internationalisierungsgrad der Anlagen nicht, dass
die institutionellen Anleger ihren Entscheidungen einheitliche
internationale Standards, „Benchmarks“, d. h.
Mindestrenditeansprüche, zugrunde legen. Dabei dienen die
Renditen von Staatsanleihen der entwickelten OECD-Länder als
Orientierung. Eine besondere Rolle übernehmen dabei die
Rating-Agenturen. Ihre Einschätzungen sind in der Regel an
Risiko und Rendite für potenzielle Anleger orientiert; die Kosten
des Rating sowie die Konsequenzen des möglichen
„Downgrading“ (wie umgekehrt die Entlastungen durch ein
ebenfalls mögliches „Upgrading“) haben die
Schuldner zu tragen.
Die den institutionellen Anlegern
zugeschriebene Qualität als Institution der
Vermögensanlage „kleiner Leute“ muss zumindest
für Deutschland in doppelter Hinsicht relativiert werden. Zum
einen haben die nur wenigen Groß anlegern offenstehenden
Spezialfonds mittlerweile die Publikumsfonds im
Anlagevolumen deutlich übertroffen. Auch an
Hedge-Fonds können sich nur vermögende Anleger mit
hohen Einlagen beteiligen. Sie sind hoch spekulativ, und sie haben
eine sehr große Hebelwirkung (s. Kasten 2–1).Mit
vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz, der oft obendrein
kreditfinanziert ist, können große Marktbewegungen
ausgelöst werden. Bei dem Beinahe-Zusammenbruch des LTCM im
September 1998 ist offenbar geworden, dass spekulative Fonds die
Stabilität des Finanzsystems insgesamt unterminieren
können und somit ein Systemrisiko darstellen. Daher gibt es
von Seiten des Financial Stability Forum (FSF) Vorschläge zur
Kontrolle der Fonds mit großer Hebelwirkung. Auch der IWF
deutet vorsichtig auf das Gefährdungspotenzial des Handels mit
Instrumenten hin, die das Kreditrisiko von einem Anleger zum
anderen verlagern, ohne dass der Markt transparent genug ist, um
durch Nutzung verläss licher Informationen Risiken
realistisch einschätzen und bewerten zu können. Der Fall
des Enron-Konzerns hat diese Risiken deutlich werden lassen. Wie
bedeutsam diese werden können, zeigt das Volumen dieses
Marktes, das sich zwischen 1997 und 2001 auf etwa 1,6 Bil
lio - nen US-Dollar verneunfacht hat (IWF 2002: 36).
Unternehmensfinanzierung
Auch die
Unternehmensfinanzierung hat sich im Zuge der finanziellen
Globalisierung verändert. Der Anteil externer Finanzierung der
Unternehmen in den OECD-Ländern hat bis 1995 abgenommen, die
Finanzierung aus dem cash-flow hat entsprechend zugenommen.
Während die einen darin ein erhebliches Potenzial für
weiteres Wachstum der globalen Finanzmärkte erblicken,
schlussfolgern ande re, dass das schnelle Wachstum der
Bestände und vor allem der Umsätze an den internationalen
Finanzmärkten in den 80er und 90er Jahren nicht auf besonders
stark wachsende Finanzierungsbedürfnisse des
Unternehmenssektors zurückzuführen sei. Das Wachstum
wurde auch nicht durch einen besonders starken Anstieg der
Investitionen verursacht, denn die Investitionsquote in den
OECD-Ländern nahm nicht zu, sondern eher ab: in der
Europäischen Union von ca. 25 Prozent in den 60er auf 20
Prozent in den 90er Jahren, in Japan von ca. 35 auf deutlich unter
30 Prozent; nur in den USA lag die Quote in den 90er Jahren mit
fast 20 Prozent zwar niedriger als in den beiden anderen
Blöcken, aber genau so hoch wie in den 60er Jahren
(Europäische Kommission 1999: 307). Jedoch hat es eine gewisse
Verschiebung der externen Finanzierung zu Lasten der Banken, zu
Gunsten der Wertpapierfinanzierung – und hier in erster Linie
der Aktienfinanzierung – gegeben. Die Anleihefinanzierung
spielt für den Unternehmenssektor in Europa – anders als
in den USA – nach wie vor eine geringe Rolle: Die
Finanzierung durch Bankkredite lag in der
Europöäische Union 1999 sechsmal so hoch wie die
Anleihefinanzierung (45 zu 7,5 Prozent des BIP), während in
den USA die Anleihe- (fast 30 Prozent des BIP) knapp zweieinhalb
mal so hoch lag wie die Bankfinanzierung (gut zehn Prozent des BIP)
(Committee of Wise Men 2000: 10). Darin wird allerdings nicht nur
ein Vorteil des Finanzierungssystems der USA gegenüber den
europäischen Konkurrenten gesehen. Im
„Wall Street Journal“ heißt es: „Yet some
contend that this shift of lending from the banks to
debt-securities markets magnifies the danger. Banks have
relationships with the borrower, but bondholders don’t, and
they tend to act quickly and all on the same
information.“ (Sherer, Sapsfor 2000). Es ist der
„irrationale Überschwang“ (Shiller 2000), der
Aktienbesitzer zum Kauf reizt, wenn andere dies auch tun; die Kurse
eines Papiers steigen folglich. Der gleiche irrationale
Überschwang führt allerdings auch zum Verkauf, wenn
andere dies auch tun und der Wert der Aktie zu fallen droht, ganz
unabhängig davon, wie sich das jeweilige Unternehmen
tatsächlich wirtschaftlich entwickelt.
Hier wird ein
Grundproblem von Finanzmärkten deutlich. Sie können die
allokative Effizienz von Kapital verbessern. Aber sie weisen auch
Informationsasymmetrien auf, die (1) zu „Adverse
Selection“, also zur Auswahl nicht der besten Schuldner (oder
Projekte) seitens der Kreditgeber, (2) zu „Moral
Hazard“, also zum nicht verantwortungsvollen Umgang mit
Fremdkapital und (3) zu einer Art kollektiver Irrationalität
von individuell durch und durch rationalem Verhalten beitragen.
Handel
mit Wertpapieren
Das eigentlich
dynamische Moment der Finanzmärkte ist der Handel mit
Wertpapieren (im Unterschied zur Ausgabe neuer Wertpapiere). Der
Bestand von Anleihen nahm von 1990 bis 2000 weltweit um mehr als
das Doppelte zu, der Anleihehandel dagegen um das Siebenfache (vgl.
Tabelle 2-1).Das gleiche gilt für Aktien: Während die
Marktkapitalisierung in den Jahren von 1990 bis 2000 (jeweils
Jahresende) um mehr als das Dreifache zunahm, steigerte sich der
Aktienhandel im gleichen Zeitraum um das Zehnfache. Während
1990 jede Aktie durchschnittlich noch 19 Monate gehalten wurde,
waren es 1999 nur noch elf Monate – eine Verringerung von
über 40 Prozent in nur acht Jahren9 (World Federation of Exchanges 2001a, 2001b,
2001c).
Parallel zu
dieser Entwicklung ist eine zunehmende Kurs orientierung (im
Gegensatz zur Orientierung an der Dividende, der Umsatzstärke
etc.) der Anleger festzustellen, denn nur so ist zu erklären,
dass die Aktienmärkte eine derartige Dynamik aufweisen, obwohl
die Divi denden renditen „in den meisten G10
Ländern seit Anfang der achtziger Jahre dem Trend nach
gefallen sind. Außer in Japan, Italien und Schweden liegen die
Dividendenrenditen nahe ihren Tiefstwerten“ (BIZ 1999).
Die Aufwertung
des Handels mit Wertpapieren gegenüber dem klassischen
Kreditgeschäft (Verbriefung oder Securitization von
Finanzbeziehungen) ist für global ausgerichtete Banken
zunehmend charakteristisch. Sie treten weniger als langfristige
Geldgeber denn als Vermittler von (jederzeit liquidierbaren)
Finanzmitteln auf und beziehen als Investmentbanken ihre Gewinne
weniger aus Zinsdifferenzen für Spareinlagen und
Kreditausleihungen als aus Provisionen für Käufe und
Verkäufe von Aktien oder Anleihen bzw. für
Beratungstätigkeiten; entsprechend fördern die Banken
auch die beschriebenen Prozesse. Wenn sich international
ausgerichtete Wirtschaftsunternehmen über die Ausgabe von
Aktien oder Anleihen auf internationalen Kapitalmärkten
finanzieren, können die Unternehmenswerte und die
entsprechenden kalkulierbaren Renditen mit denen alternativer
Anlagen verglichen werden. Unternehmen konkurrieren also mit
alternativen Anlagemöglichkeiten (von Staatsanleihen bis zu
Fondsbeteiligungen) um die potentiellen Anleger. Daher rührt
die Bedeutung, die dem Konzept des „Shareholder Value“
beigemessen wird. Denn damit werden die Vergleichbarkeit des Werts
eines Unternehmens auf Vermögensmärkten mit anderen
Anlageobjekten und die Transparenz des Zustandekommens des Werts
(des Shareholder Value) zum Prinzip des Managements.
6 In Deutschland z. B. die Bildung der HypoVereinsbank,
die Fusion von Dresdner Bank und Allianz, in der Schweiz die
Bildung der UBS, in Japan die Fusionen von Dai-Ichi Kangyo Bank,
Fuji Bank und der Industrial Bank of Japan, von Sumitomo Bank und
Sakura Bank sowie von Tokai Bank, Asahi Bank und Sanwa Bank oder
die Fusion von Deutsche Bank und Bankers Trust.
9 Im Jahr 2000 wurde eine Aktie im Durchschnitt sogar
nur noch gut sechs Monate gehalten, was einer Verringerung um fast
60 Prozent entspräche.
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