2.2 Die
Globalisierung der Finanzmärkte: Fakten und
Hintergründe3
2.2.1
Fakten zur Globalisierung der Finanzmärkte
Die Entwicklung der Finanzmärkte ist
seit der Liberalisierung Mitte der 70er Jahre geradezu
spektakulär. Dies wird v. a. dann deutlich, wenn sie mit der
Entwicklung anderer ökonomischer Größen verglichen
wird.
Während in den 90er Jahren das
Bruttoinlandsprodukt weltweit um fast 50 Prozent zunahm, haben sich
die Direktinvestitionen mehr als verfünffacht. Die
Bestände an Derivaten4
sind Ende der 90er Jahre sogar mehr als zehn mal höher als zu
Beginn des Jahrzehnts. Besonders die so genannten innovativen
Finanzinstrumente haben zum Wachstum der Umsätze auf den
Finanzmärkten beigetragen.
Die hohe Liquidität auf den globalen
Finanzmärkten kommt auch in den Daten über die
täglichen Umsätze auf Devisenmärkten zum Ausdruck.
Diese stiegen von 600 Milliarden US-Dollar Ende der 80er Jahre auf
bis zu 1,5 Billionen US-Dollar vor Bildung des Euro-Raums; seither
sind sie rückläufig, ihr Niveau liegt heute bei 1,2
Billionen US-Dollar (BIZ 2001b: 39), da zwischen den am Euro
beteiligten elf Ländern Devisenumsätze in
Euro-Währungen entfallen sind.
Der auf die Bildung des Euro
zurückzuführende Rückgang wird von der Bank für
Internationalen Zahlungs ausgleich auf sechs Prozent der
weltweiten Umsätze im Devisenhandel beziffert (BIZ 2001b: 40).
Zum Umsatz des Welthandels und der Direktinvestitionen würden
drei bis fünf Prozent der vorhandenen Liquidität
ausreichen (BIZ 2001a: 111; von Umsätzen zur Absicherung
„real-ökonomischer“ Transaktionen, deren Höhe
schwer erfass bar ist, abgesehen). Mehr als 90 Prozent der
Devisenumsätze finden innerhalb des Finanzsektors selbst
statt. Dies hat, wie von Bankenseite immer wieder betont wird, den
großen Vorteil, dass kurzfristig unterschiedliche
Liquiditätslagen schnell und problemlos in
Arbitrage-Geschäften ausgeglichen werden können. Daher
sei die Volatilität der Kurse und Zinsen geringer als auf
einem weniger liquiden globalen Devisenmarkt. Doch ist umgekehrt
die hohe Liquidität mitverantwortlich für die von der BIZ
immer wieder festgestellte hohe Volatilität auf den meisten
Währungsmärkten. Vom Internationalen Währungsfonds
wird oben drein hervorgehoben, dass
„Regulierungsarbitrage“ (IWF 2002: 3) im Handel mit
Kreditrisiken einerseits die Markt effizienz steigern kann,
andererseits aber erhebliche Gefährdungen für die
Stabilität der globalen Finanzmärkte enthält, wie
der Enron-Kollaps deutlich werden ließ.
Die Halter der
Liquidität (das heißt Geldvermögensbesitzer, also
Banken, große Fonds, transnationale Unternehmen etc.)
versuchen, diese höchst rentierlich anzulegen und dabei die
Kurs- und Zinsdifferenzen auf globalen Märkten durch zumeist
kurzfristige Engagements auszunutzen. Die hohe Volatilität von
Kursen innerhalb der Triade US-Dollar, Euro und Yen sowie die hohe
Volatilität der Währungskurse von Schwellen- und
Entwicklungsländern wirken sich nachteilig für
längerfristige Engagements (Direktinvestitionen) generell und
– wie die UNCTAD beklagt – für Schwellen- und
Entwicklungsländer spe ziell aus. Denn der Effekt
volatiler Kurse auf die Leis tungs bilanz ist
groß, die Möglichkeiten der Einfluss nahme auf die
Devisenmärkte hingegen ist dann sehr gering, wenn sich die
betroffenen Länder für die Öffnung Ihres
Kapitalmarktes entschieden haben.
Die rasante
Entwicklung der globalen Finanzmärkte wäre ohne die
Öffnung der nationalen Finanzmärkte (und ohne die
modernen Informations- und Kommunikationstechnologien) nicht
möglich gewesen. In den 70er Jahren gingen die
Industrieländer bei der Liberalisierung und Deregulierung der
Finanzmärkte voran. In den 80er Jahren folgten
Entwicklungsländer, die sich in den 70er Jahren zum Teil in
hohem Maße gegenüber privaten Kreditgebern verschuldet
hatten. Zunächst erfolgte die Kreditaufnahme zu günstigen
Zinssätzen. Denn die Liquidität der internationalen
Kreditmärkte war infolge des „Recycling der
Petrodollar“ (Rückführung der hohen Einnahmen der
Erdölproduzenten infolge des
„Erdölpreisschocks“ von 1973 ins globale
Finanzsystem) und der geringen Kreditnachfrage aus den
Industrieländern, die im gleichen Zeitraum in eine
strukturelle wirtschaftliche Krise geraten waren, sehr hoch.
Ab 1979 stiegen die (realen) Zinssätze aber aus
verschiedenen Gründen (vgl. Kapitel
2.3),so dass die Belastung des Schuldendienstes in die
Schuldenkrise der Entwicklungsländer führte. Mexiko macht
im August 1982 mit der Einstellung von Zahlungen den Anfang; kurze
Zeit später folgten viele andere Entwicklungsländer. Sie
konnten die Last des Schuldendienstes nicht mehr tragen. Nicht nur
die hohen Zinssätze der externen Kredite waren für die
Krise verantwortlich, auch die unzureichenden Renditen der mit den
externen Krediten finanzierten Projekte unterminierten die
Schuldendienstfähigkeit – wenn das aufgenommene
Fremdkapital nicht sowieso für konsumtive Zwecke
(Luxusimporte, Rüstungsausgaben) verwendet wurde oder per
Kapitalflucht einer besitzenden Schicht (wie vor allem in Mexiko
und Argentinien) wieder bei Unternehmen und Banken in den
Industrieländern angekommen war.
Die Politik der Strukturanpassung von
Internationalem Währungsfonds und Weltbank war die Antwort.
Diese Politik, später als „Konsens
von Washington“ bezeichnet (vgl.
Kasten 2-2),hat den verschuldeten Ländern die Integration
in die Weltwirtschaft, also die Öffnung von bis dahin
weitgehend geschlossenen Wirtschaften (und in manchen Fällen
auch von Gesellschaften und politischen Systemen) abverlangt. Hinzu
kam die Politik der Handelsliberalisierung mit ihren Auswirkungen
auf die Finanzmärkte, die von GATT und später WTO, von
der OECD und den Regierungen der Industrieländer von den
„Partnern“ des Freihandels verlangt worden war.
Kapitalverkehrsbeschränkungen wurden ebenso abgebaut wie
Handelshemmnisse auf Güter- und
Dienstleistungsmärkten.
Infolge des Zusammenbruchs des Ostblocks und
im Verlauf des sich anschließenden Transformationsprozesses
wandelten sich nach 1989 die bis dahin ebenfalls
gegenüber dem Weltmarkt weitgehend abgeschotteten
Planwirtschaften Mittel- und Osteuropas zu offenen
Marktwirtschaften. Seit Beginn der 90er Jahre ist also von
globalen Finanzmärkten zu sprechen, zumal die Informations-
und Kommunikationstechnologien gerade in dieser Zeit die
Globalisierung der Finanzmärkte mehr als beschleunigt
haben.
Zwar hat die Globalisierung der Wirtschaft
eine lange Vorgeschichte. Doch kann mit Fug und Recht gesagt
werden, dass seit der Integration Mittel- und Osteuropas
„alle Welt“ den gleichen Tendenzen der finanziellen
Globalisierung ausgesetzt ist. Allerdings darf dabei nicht
übersehen werden, dass die lokalen und nationalen
Ausprägungen der Globalisierung sehr verschieden sein
können.
3 Vgl. hierzu das Minderheitenvotum der CDU/CSU-Fraktion
in Kapitel 11.1.7.1.
4 Nach dem Online-Glossar der Deutschen Bundesbank
(http://www.bundesbank.de/de/presse/glossar/f.htm 13. Mai 2002)
sind Finanzderivate „Finanzinstrumente, deren eigener Wert
aus dem Marktpreis eines oder mehrerer originärer
Basisinstrumente abgeleitet ist. Allen derivativen Instrumenten
gemeinsam ist ein auf die Zukunft gerichtetes Vertragselement, das
als Kauf- bzw. Verkaufsverpflichtung oder aber als Option
ausgestaltet sein kann. Der Gewinn bzw. Verlust aus einem
Derivate-Geschäft hängt davon ab, wie sich der Marktpreis
im Vergleich zum vereinbarten Preis tatsächlich
entwickelt.“
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