2.3.3
Finanzierungsprobleme kleiner und mittlerer Unternehmen
2.3.3.1 Kleine und mittlere
Unternehmen in Industrieländern (unter besonderer
Berücksichtigung Deutschlands)
Die Globalisierung der Finanzmärkte hat
die Rahmenbedingungen für die Finanzierung von kleinen und
mittleren Unternehmen (KMU) beträchtlich verändert.
Offene Kapitalmärkte, neue Kreditunterlegungsvorschläge
(im Zusammenhang mit den Regeln, die vom Baseler Ausschuss (Basel
II) erarbeitet werden) und alternative Kreditbeschaffung bestimmen
die Diskussion und tragen zur Verunsicherung und auch zu einer
abwartenden Haltung bei der Kreditvergabe und dem Zugang zu
Risikokapital bei. Hier sind Maßnahmen und Regelungen im
nationalen wie internationalen Rahmen zu entwickeln, die es KMU
auch in Zukunft ermöglichen, ihre Unternehmenstätigkeit
zu erhalten und die Innovationsfähigkeit und
Beschäftigungswirksamkeit zu entfalten.
Nach EU-Definition gelten Unternehmen mit
weniger als 250 Beschäftigten oder einem Jahresumsatz von bis
zu 40 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von weniger als 27
Millionen Euro, solange sie unabhängig sind, das heißt,
dass Nicht-KMU Beteiligungen von weniger als 25 Prozent halten
(Europäische Kommission 1996). Nur wenige haben die Rechtsform
einer Aktiengesellschaft. Der Anpassungsdruck, dem KMU ausgesetzt
sind, entsteht nicht nur auf globalisierten Güter- und
Dienstleis tungsmärkten. Auch oder gerade die
Globalisierung der Finanzmärkte hat die Rahmenbedingungen
für die KMU beträchtlich verändert. Für den
Mittelstand wird es immer schwieriger, sich die notwendigen
Kreditmittel zu beschaffen.
Auch wenn viele Fortschritte bei den Baseler
Beratungen durchgesetzt werden konnten, ist nach dem heuti
-gen Stand noch nicht auszuschließen, dass sich durch
Basel II die Finanzierungskosten für KMU insgesamt
erhöhen.
Die Gründe dafür liegen im
verschärften Wettbewerb auf den internationalen
Finanzmärkten, den Vorschlägen des Baseler Ausschusses
(Basel II) und einer verschärften Risikoeinschätzung der
Finanzinstitute, die durch die Einführung neuer
IuK-gestützter Risikomanagementsys teme gestützt
wird.
Zu Beginn der Verhandlungen im Baseler
Ausschuss musste davon ausgegangen werden, dass die neuen
Vorschriften den Zugang zu Eigenkapital und insbesondere zu
Krediten deutlich erschweren bzw. insgesamt für kleine und
mittlere Unternehmen deutlich verteuern würden.
Vor allem die Vorschriften einer bankexternen
Bewertung (externes Rating), die sehr restriktive
Berücksichtigung in Deutschland bewährter und
üblicher Sicherheiten (z. B. Realkredite) und die
Nichtberücksichtigung des geringeren Risikos eines breiten
Portfolios von Kleinkrediten von kleinen und mittleren Unternehmen,
Selbständigen und Privatkunden sowie die deutlich höhere
Eigenkapitalunterlegungspflicht von in Deutschland bei der
Unternehmensfinanzierung üblichen längeren Krediten
stießen auf berechtigte Kritik.
Ein großer Teil der Kritikpunkte konnte
in den bisherigen Verhandlungen durch die deutsche
Verhandlungsführung beseitigt werden, so sind z. B.
berücksichtigt
– Die
Einführung eines auf bankinternen Ratings basierenden
einfachen Ansatzes zur Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen
für das Kreditrisiko im Foundation-Ansatz;
– Die Festlegung
eines ermäßigten Gewichtungssatzes in Höhe von 50
Prozent für den gewerblichen Realkredit im Standardansatz;
– Die
Berücksichtigung verminderter Kreditrisiken von KMU-Krediten
über die Retail-Klausel;
– Die teilweise
Berücksichtigung der längerfristigen Kreditfinanzierung
durch eine Abmilderung der Laufzeitenzuschläge.
Es bleibt allerdings bisher offen, ob eine
Entlastung der für die deutsche Investitionsfinanzierung
typischen länger fristigen Kredite durchgehend erzielt
und die Frage der Bewertung der von Banken gehaltenen
Wagniskapital beteiligungen positiv geklärt wird.
Auch
angesichts der bereits erzielten Entlastungen ist für einen
Mittelständler mit schlechtem Rating (sofern hier nicht die
Retail-Klausel greift) eine Verteuerung der Kredite zu erwarten. Es
besteht die Gefahr, dass Beteiligungen sowohl von privaten als auch
von öffentlich-rechtlichen, genossenschaftlichen und besonders
von Bürgschaftsbanken deutlich teurer werden, in manchen
Fällen wohl prohibitiv teuer. Es ist daher unabweisbar, dass
die deutsche Verhandlungsführung hier auf grundlegende
Änderungen dringt. Bisher ist noch nicht belegbar sicher
gestellt, dass Basel II nicht insgesamt zu einer Verteuerung der
Kreditversorgung von KMU führt.
Erst die Vorlage einer empirisch
nachvollziehbaren Auswirkungsstudie (Impact Study), wie sie
für Herbst 2002 geplant ist, kann darüber mehr Gewissheit
verschaffen. Bis dahin sollte eine Zustimmung durch Deutschland
nicht erfolgen.
Basel II verstärkt jedoch auch andere,
von verschärfter internationaler Konkurrenz getriebene
Entwicklungen. Bei der Umsetzung der geforderten Nachbesserun
gen wird die Kreditfinanzierung für kleine und mittlere
Unternehmen deutlich schwieriger. Mehr als ein Drittel der kleinen
und mittelständischen Unternehmen wurde nach Zeitungsberichten
bereits von ihren Hausbanken aufgefordert, sich nach anderen
Kreditgebern umzu sehen.20
Alternative Finanzierungswege sind zwar
zunehmend in der Diskussion, aber für große Teile der
kleinen und mittleren Unternehmen nicht relevant. Eine Finanzierung
über den Euro-Rentenmarkt kommt in der Regel erst für
Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 Millionen Euro in
Frage. In Deutschland erreichen aber nur etwa ein Prozent aller
Unternehmen die Umsatzgrenze von 50 Millionen Euro bzw.
benötigen ein Finanzvolumen dieser Größenordnung.
Wagniskapital wird noch überwiegend über
Unternehmensgründungen des neuen Marktes erschlossen, der
derzeit auch in der Krise steckt. Selbst wenn alternative
Finanzierungswege in der Zukunft sehr wahrscheinlich an Bedeutung
gewinnen werden, wird es für drei Viertel der kleinen und
mittleren Unternehmen im kommenden Jahrzehnt kaum eine Alternative
zur Kreditfinanzierung geben.
Zwar werden die
neuen Baseler Vorschriften das ohnehin prozyklische Verhalten der
Kreditinstitute nur leicht verschärfen21, aber die meisten Institute ändern
unabhängig von den neuen Vorschriften ihre
Kreditvergabepolitik an kleine und mittlere Unternehmen.
Sorge bereitet
die verschärfte internationale Konkurrenz der Banken, die z.
B. in den USA und in Großbritannien bereits zu einer
Vermachtung von Strukturen auf den Kreditmärkten und zu
fühlbaren Engpässen in der Kreditversorgung von ganzen
Regionen, Branchen, den meisten kleinen und mittleren Unternehmen
sowie deutlich verminderten Zugangsmöglichkeiten
einkommensschwacher Schichten zum bargeldlosen Zahlungsverkehr und
zu Kleinkrediten geführt hat.
Große
Privatbanken, aber auch viele Landesbanken haben sich nicht selten
auf den internationalen Finanzmärkten, bei nationalen und
internationalen Großprojekten und auf dem Immobiliensektor
risikoreich und spekulativ en gagiert, um ihre Erträge
auf internationales Niveau zu erhöhen und müssen nun zum
Teil milliardenschwere Verluste abschreiben. Dies macht sie beim
Eingehen neuer Verbindlichkeiten derzeit und auch in der nahen
Zukunft sichtbar restriktiver. Die Klagen auch solider kleiner und
mittlerer Unternehmen, deren Kreditlinien zum Teil nicht mehr
verlängert werden, haben in den letzten Monaten deutlich
zugenommen.
Des weiteren
arbeiten viele, eher im nationalen Rahmen operierende
Kreditinstitute an der Einführung neuer, IuK-gestützter
Risikomanagementsysteme. Eine restriktivere Kreditvergabe ist daher
heute schon die Regel und erscheint künftig auch bei diesen in
der Vergangenheit besonders in der Mittelstandsfinanzierung
engagierten Instituten wahrscheinlich.
Insgesamt
führen diese Entwicklungen zu einer niedrigeren
Kreditversorgung mit höheren Zinsen zu Lasten der kleinen und
mittleren Unternehmen, als es aus Wachstums- und
Beschäftigungsgründen wünschenswert und geboten
wäre.
Unabhängig von den Auswirkungen des
Baseler Akkords werden verbesserte Risikomanagementsysteme eine
differenzierte Kreditkostenkalkulation ermöglichen und damit
zu einer stärkeren Spreizung der Kreditkosten innerhalb der
kleineren und mittleren Unternehmen führen.
Während die „besseren“, d.
h. profitableren bzw. über höheres Eigenkapital
verfügenden kleinen und mittleren Unternehmen mit relativ
guten Konditionen rechnen können, werden sich Kreditkosten,
aber auch die Zugangsmöglichkeiten für die kleinen
Unternehmen in weniger gewinnträchtigen Sektoren und wenig
wachstumsstarken Regionen sowie für Gründer
höchstwahrscheinlich (deutlich) verschlechtern. Für
junge, innovative Unternehmen, die weder über eine angemessene
Eigenkapitalquote, noch in der Anfangsphase über relevante
Gewinne verfügen, kann dies zu einem massiven Problem werden:
Die Kreditkonditionen verschlechtern sich wegen ihres objektiv
höheren Risikos, und der Ausweg, sich über Beteiligungen
z. B. von Banken zu finanzieren, wird durch die neuen Vorschriften
stark verteuert.
Nach dem IRB-Ansatz22 müssen Banken für Beteiligungen
deutlich mehr Eigenkapital unterlegen (bisher Risiko gewicht
100 Prozent – Eigenkapital-Anforderung acht Prozent), im
Extremfall kann es für einzelne Beteiligungen zu einer
Vollunterlegung mit Eigenkapital führen.
Da im internationalen Vergleich die
Eigenkapital-Quote für kleine und mittlere Unternehmen in
Deutschland ohnehin niedrig ist, sollte diese Verschlechterung
unbedingt unterbleiben. Darüber hinaus soll die deutsche
Verhandlungsführung darauf dringen, dass durch
Ausnahmeregelungen bzw. größere Freiheiten für die
nationale Bankenaufsicht für nationale Förderprogramme
die Beteiligungsfinanzierung für innovative Unternehmen
weiterhin voll aufrecht erhalten bzw. ausgebaut werden kann.
Insgesamt wird eine angemessene Versorgung
der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland auf Dauer nur
zu sichern sein, wenn die international wettbewerbsfähige
ausgewogene Bankenstruktur Deutschlands den bargeldlosen
Zahlungsverkehr und die Kreditversorgung besonders der kleinen und
mittleren Unternehmen sowie aller Schichten der Bevölkerung
– auch der ärmeren Einkommensschichten – weiterhin
flächendeckend sicherstellt.
Genossenschaftsbanken und das
öffentlich-rechtliche Bankensystem wie z. B. Sparkassen,
Landesbanken sowie För derbanken haben bisher in ihrem
Zusammenspiel eine regionale Unterversorgung vermeiden können
und ca. 40 Prozent des gewerblichen Mittelstands sowie 50 Prozent
des Handwerks und den Großteil der Neugründungen
finanziert. Die Fortsetzung dieser, in der Nachkriegsgeschichte
insgesamt erfolgreichen Versor gung von kleinen und mittleren Unternehmen und der
Bevölkerung wird allerdings nur möglich sein, wenn diese
Institute ihren Auftrag konsequent annehmen und wettbewerbliche
Auflagen der Europäischen Union ihnen diesen Auftrag nicht
erschweren.
20 FAZ 7.2.2001: Blaue Briefe an den Mittelstand
21 Dies war die Aussage der Experten Müller
(Deutscher Bundestag 2002b: 33), Trischler (Deutscher Bundestag
2002b: 34), Wiegard (Deutscher Bundestag 2002b: 61) und Pohl
(Deutscher Bundestag 2002b: 62) bei der Anhörung des
Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 20. März 2002
zu Basel II.
22 Bankeninterner Rating-Ansatz zur Ermittlung der
Kreditausfallwahrscheinlichkeit.
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