*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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2.4.4       Gender Budgets

In den Analysen der globalen Prozesse und in den soeben angesprochenen Reformdiskussionen wird der geschlechtsspezifischen Dimension, die alle öffentlichen Aufgaben und Ausgaben – ob auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene – haben, nicht immer in angemessener Weise Rechnung getragen. Allerdings gibt es seit spätestens Mitte der 80er Jahre Initiativen, Staatshaushalte auf Geschlechtergerechtigkeit zu untersuchen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Geschlechterungleichheit ökonomisch ineffizient ist (Budlender, Elson u. a. 2002). Grosse Status- und Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung zu beanstanden, es entstehen dadurch gesamtgesellschaftliche Kosten. Die Geschlechterungleichheit kann die Ziele makroökonomischer Politik beeinträchtigen. Dies ist der Fall, wenn ein restriktiver Zugang zur Bildung und Ausbildung, das Fehlen von Kindertagesstätten und sozialen Diensten, die Diskriminierung beim Zugang zu und bei der Kontrolle über finanzielle Ressourcen die Entwicklung des Humankapitals und Sozialkapitals von Frauen und deren Aufstiegschancen beeinträchtigen. Volkswirtschaftlich und unternehmerisch betrachtet ist es irrational, die Leistungsfähigkeit von Frauen nicht zu nutzen. Es ist zu vermuten (freilich gibt es dazu wenig stichhaltige Untersuchungen), dass dies auf globaler Ebene nicht anders ist.

Die Stadt Zürich hat in einer Studie belegt, dass der volkswirtschaftliche Nutzen einer umfassenden Kinderbetreuung die Kosten bei weitem übersteigt; unter anderem deshalb, weil das Familieneinkommen steigt und damit die Kaufkraft. Auch wird mehr in die Sozialversicherung eingezahlt, und Frauen bauen sich eine eigene Altersversicherung auf. Gut ausgebildete Frauen „an den Herd“ zu schicken, verringert die Leistungsfähigkeit einer gesamten Gesellschaft und damit deren internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die Gender-relevanten Erkenntnisse der feministischen Makroökonomie zeigen also, dass sich staatliche Politik ihrer Bedeutung für die Geschlechter Klarheit verschaffen muss.

Hier setzt das Konzept geschlechtergerechter Staatshaushalte („Gender Budgets“) an. Es ist ein in vielen Ländern (bereits seit 1984 in Australien, später auch in Südafrika und Großbritannien) genutztes finanzpolitisches Instrument, um die Auswirkungen des Staatshaushaltes auf verschiedene Gruppen von Frauen und Männern bewerten zu können. Das Konzept geht davon aus, dass die einzelnen Teile des Budgets unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer haben. Ziel der Initiative ist die Budgetanalyse unter dem Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit. Frauen sollen den gleichen Zugang zu öffentlichen Mitteln haben wie Männer. Das Gender-Budget-Konzept fragt:

1.   Wer profitiert von Staatsausgaben?

2.   Wie fördern Veränderungen des öffentlichen Haushaltes und der Steuerpolitiken bestimmte Tätigkeitsbereiche?

3.   Wer trägt die Hauptlast dieser Veränderungen?

Die Initiativen zu Gender-Budgets sind in den Ländern der Welt unterschiedlich weit entwickelt. Die australische Regierung hat als erste in den 80er Jahren eine Stellung­ nahme zu Geschlechtergerechtigkeit mit dem Haushalts­ entwurf vorgelegt. In Südafrika wurde die Budgetanalyse unter dem Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit im Parlament initiiert. Frauen von NGO haben in Vorbereitung des Gender Budgets eng mit den Ministerien zusammengearbeitet. In Großbritannien wiederum wurde die Arbeit von einem Frauennetzwerk innerhalb der gewerkschaftlichen Frauenbewegung begonnen. Ergebnis war eine Stellungsnahme zum vom Parlament vorgelegten Budget. Inzwischen finden regelmäßige Beratungen mit dem Finanzministerium zur Haushaltsplanung unter Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit statt.

Geschlechtergerechte Staatshaushalte sind jedoch keine separaten Budgets für Frauen. Es geht in diesen Initiativen weniger um spezielle Frauen- und Frauenförderungsprojekte, die nur wenige Prozente eines Budgets ausmachen, sondern um den scheinbar geschlechtsneutralen Hauptstrom der Budgetausgaben. Diesen gilt es nach Kriterien der sozialen Gerechtigkeit, der Geschlechtergerechtigkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit zu überprüfen. Dabei stehen Fragen der geschlechtsspezifischen Zuwendung, der geschlechtsspezifischen Auswirkungen der zentralen Ausgaben in allen Sektoren, sowie der Begutachtung der Gleichstellungspolitik und der Zuwendung im öffentlichen Dienst im Vordergrund.

Wenn Budgets nur daraufhin untersucht werden, wer als Klient oder als Konsument von Dienstleistungen des Staates profitiert, bleiben die wirklichen Auswirkungen auf Frauen unsichtbar. Die schweizer Initiative ist diesbezüglich sehr interessant, weil sie auch die unbezahlte Arbeit einbezieht. Problematisch scheint hier jedoch, dass die neue Konzeption des Dienstleistungsstaates nur von Klientinnen ausgeht.

Geschlechtergerechte Staatshaushalte stellen somit ein wichtiges Instrument dar, um mehr Transparenz über die Verwendung staatlicher Mittel im Sinne der Gleichstellung zu schaffen. Gerade die neue Forderung, alle wesentlichen Entscheidungskriterien von Regierungspolitik    und öffentlicher Administration nach Gender-Mainstreaming Kriterien zu beurteilen, rückt den Blickwinkel der Gleichstellungsfrage auf die Haushaltspolitik, um mit ihr die Auswirkungen auf Frauen und Männer sichtbar zu machen.

In Südafrika ist die Women’s Budget Initiative nicht grundsätzlich an den Auswirkungen auf Frauen und Männer interessiert. Das Interesse galt vielmehr Frauen (oder auch Männern) dort, da sie benachteiligt sind. Das Schwergewicht liegt deshalb vor allem bei schwarzen Frauen, bei armen Frauen und speziell bei jenen Frauen, die in den Gebieten der ehemaligen „Homelands“ leben.

Eine besondere Rolle spielt auch der partizipative Prozess der Budgetplanung. Es handelt sich nicht lediglich um die einfache Zuteilung eines Budgets, der die Bedürfnisse von Frauen anspricht (auch wenn dies ein wichtiger Teil davon ist). Die geschlechtergerechten Staatshaushalte können vielmehr sicherstellen, dass die Prioritäten in der Formulierung und Implementierung des Budgets auf demokratische Weise zustande kommen. In diesem Prozess werden Frauen und andere Mitglieder der Zivilgesellschaft aktiv beteiligt, was dafür sorgt, dass ihre Regierungen zur Rechenschaft verpflichtet werden. Dies ist ein konkreter Mechanismus, der den Haushaltsprozess transparent werden lässt. Das Ausmaß, in dem Regierungen die Grundbedürfnisse von Männern, Frauen und Kindern erfüllen können, ist der fundamentale Maßstab für die Legitimität jeder Regierung (vgl. hierzu die Aussage von Maria Floro während der Anhörung der Enquete-Kommission am 18. Februar 2002 (Deutscher Bundestag 2002c: 27)).

In vielen Ländern41 wirkt sich die Regulierung öffent­ licher Ausgaben „von unten“ sehr positiv auf die Situation von Armen und von Frauen aus, nicht nur, weil sie selbst Prioritäten definieren, sondern weil damit die gesellschaftliche Stärkung (Empowerment) von Frauen durch ihre Mitbestimmung in wirtschaftspolitischen Belangen gefördert wird. Die positiven Erfahrungen mit partizipativen Staatshaushalten in Brasilien und Südafrika zeigen, dass dieser Ansatz ein hohes Entwicklungspotenzial hat.

Dazu müssen

Erstens      die Frauenlobbys und Gleichstellungsbeauftragten ihre Forderungen direkt an die Finanzministerien richten, weil die für die Umsetzung und für das technische Know-how zuständig sind.

Zweitens   sollen sich Frauen dabei auf den „Mainstream“ der Budgetausgaben konzentrieren. In Australien machen spezielle Frauen- und Frauenförderungsprojekte nur ungefähr ein Prozent des gesamten Budgets aus. Umso wichtiger ist es, die restlichen 99 Prozent, welche den scheinbar geschlechtsneutralen Hauptstrom der Budgetausgaben bilden, mit Gender-Kriterien unter die Lupe zu nehmen.

Des Weiteren ist darauf hinzuwirken, dass die Analyse der Haushalte internationaler Organisationen unter Gender-Gesichtspunkten auch auf internationaler Ebene angewendet wird.



41 Es gibt weltweit derzeit 39 existierende Budgetinitiativen auf nationaler Ebene. Davon gibt es in Afrika zwölf, in Asien und Lateinamerik jeweils acht, in Europa sieben sowie in Nord-Amerika und< Ozeanien jeweils zwei.

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