2.4.4
Gender Budgets
In den Analysen
der globalen Prozesse und in den soeben angesprochenen
Reformdiskussionen wird der geschlechtsspezifischen Dimension, die
alle öffentlichen Aufgaben und Ausgaben – ob auf
lokaler, nationaler oder internationaler Ebene – haben, nicht
immer in angemessener Weise Rechnung getragen. Allerdings gibt es
seit spätestens Mitte der 80er Jahre Initiativen,
Staatshaushalte auf Geschlechtergerechtigkeit zu untersuchen.
Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Geschlechterungleichheit
ökonomisch ineffizient ist (Budlender, Elson u. a. 2002).
Grosse Status- und Einkommensunterschiede zwischen Frauen und
Männern sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt der
Diskriminierung zu beanstanden, es entstehen dadurch
gesamtgesellschaftliche Kosten. Die Geschlechterungleichheit kann
die Ziele makroökonomischer Politik beeinträchtigen. Dies
ist der Fall, wenn ein restriktiver Zugang zur Bildung und
Ausbildung, das Fehlen von Kindertagesstätten und sozialen
Diensten, die Diskriminierung beim Zugang zu und bei der Kontrolle
über finanzielle Ressourcen die Entwicklung des Humankapitals
und Sozialkapitals von Frauen und deren Aufstiegschancen
beeinträchtigen. Volkswirtschaftlich und unternehmerisch
betrachtet ist es irrational, die Leistungsfähigkeit von
Frauen nicht zu nutzen. Es ist zu vermuten (freilich gibt es dazu
wenig stichhaltige Untersuchungen), dass dies auf globaler Ebene
nicht anders ist.
Die Stadt
Zürich hat in einer Studie belegt, dass der
volkswirtschaftliche Nutzen einer umfassenden Kinderbetreuung die
Kosten bei weitem übersteigt; unter anderem deshalb, weil das
Familieneinkommen steigt und damit die Kaufkraft. Auch wird mehr in
die Sozialversicherung eingezahlt, und Frauen bauen sich eine
eigene Altersversicherung auf. Gut ausgebildete Frauen „an
den Herd“ zu schicken, verringert die Leistungsfähigkeit
einer gesamten Gesellschaft und damit deren internationale
Wettbewerbsfähigkeit. Die Gender-relevanten Erkenntnisse der
feministischen Makroökonomie zeigen also, dass sich staatliche
Politik ihrer Bedeutung für die Geschlechter Klarheit
verschaffen muss.
Hier setzt das
Konzept geschlechtergerechter Staatshaushalte („Gender
Budgets“) an. Es ist ein in vielen Ländern (bereits seit
1984 in Australien, später auch in Südafrika und
Großbritannien) genutztes finanzpolitisches Instrument, um die
Auswirkungen des Staatshaushaltes auf verschiedene Gruppen von
Frauen und Männern bewerten zu können. Das Konzept geht
davon aus, dass die einzelnen Teile des Budgets unterschiedliche
Auswirkungen auf Frauen und Männer haben. Ziel der Initiative
ist die Budgetanalyse unter dem Prinzip der
Geschlechtergerechtigkeit. Frauen sollen den gleichen Zugang zu
öffentlichen Mitteln haben wie Männer. Das
Gender-Budget-Konzept fragt:
1.
Wer profitiert von Staatsausgaben?
2.
Wie fördern Veränderungen des öffentlichen
Haushaltes und der Steuerpolitiken bestimmte
Tätigkeitsbereiche?
3.
Wer trägt die Hauptlast dieser Veränderungen?
Die Initiativen
zu Gender-Budgets sind in den Ländern der Welt unterschiedlich
weit entwickelt. Die australische Regierung hat als erste in den
80er Jahren eine Stellung nahme zu Geschlechtergerechtigkeit
mit dem Haushalts entwurf vorgelegt. In Südafrika wurde
die Budgetanalyse unter dem Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit
im Parlament initiiert. Frauen von NGO haben in Vorbereitung des
Gender Budgets eng mit den Ministerien zusammengearbeitet. In
Großbritannien wiederum wurde die Arbeit von einem
Frauennetzwerk innerhalb der gewerkschaftlichen Frauenbewegung
begonnen. Ergebnis war eine Stellungsnahme zum vom Parlament
vorgelegten Budget. Inzwischen finden regelmäßige
Beratungen mit dem Finanzministerium zur Haushaltsplanung unter
Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit statt.
Geschlechtergerechte Staatshaushalte sind jedoch keine separaten
Budgets für Frauen. Es geht in diesen Initiativen weniger um
spezielle Frauen- und Frauenförderungsprojekte, die nur wenige
Prozente eines Budgets ausmachen, sondern um den scheinbar
geschlechtsneutralen Hauptstrom der Budgetausgaben. Diesen gilt es
nach Kriterien der sozialen Gerechtigkeit, der
Geschlechtergerechtigkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit
zu überprüfen. Dabei stehen Fragen der
geschlechtsspezifischen Zuwendung, der geschlechtsspezifischen
Auswirkungen der zentralen Ausgaben in allen Sektoren, sowie der
Begutachtung der Gleichstellungspolitik und der Zuwendung im
öffentlichen Dienst im Vordergrund.
Wenn Budgets nur
daraufhin untersucht werden, wer als Klient oder als Konsument von
Dienstleistungen des Staates profitiert, bleiben die wirklichen
Auswirkungen auf Frauen unsichtbar. Die schweizer Initiative ist
diesbezüglich sehr interessant, weil sie auch die unbezahlte
Arbeit einbezieht. Problematisch scheint hier jedoch, dass die neue
Konzeption des Dienstleistungsstaates nur von Klientinnen
ausgeht.
Geschlechtergerechte Staatshaushalte stellen somit ein wichtiges
Instrument dar, um mehr Transparenz über die Verwendung
staatlicher Mittel im Sinne der Gleichstellung zu schaffen. Gerade
die neue Forderung, alle wesentlichen Entscheidungskriterien von
Regierungspolitik und öffentlicher Administration nach
Gender-Mainstreaming Kriterien zu beurteilen, rückt den
Blickwinkel der Gleichstellungsfrage auf die Haushaltspolitik, um
mit ihr die Auswirkungen auf Frauen und Männer sichtbar zu
machen.
In Südafrika
ist die Women’s Budget Initiative nicht
grundsätzlich an den Auswirkungen auf Frauen und Männer
interessiert. Das Interesse galt vielmehr Frauen (oder auch
Männern) dort, da sie benachteiligt sind. Das Schwergewicht
liegt deshalb vor allem bei schwarzen Frauen, bei armen Frauen und
speziell bei jenen Frauen, die in den Gebieten der ehemaligen
„Homelands“ leben.
Eine besondere
Rolle spielt auch der partizipative Prozess der
Budgetplanung. Es handelt sich nicht lediglich um die einfache
Zuteilung eines Budgets, der die Bedürfnisse von Frauen
anspricht (auch wenn dies ein wichtiger Teil davon ist). Die
geschlechtergerechten Staatshaushalte können vielmehr
sicherstellen, dass die Prioritäten in der Formulierung und
Implementierung des Budgets auf demokratische Weise zustande
kommen. In diesem Prozess werden Frauen und andere Mitglieder der
Zivilgesellschaft aktiv beteiligt, was dafür sorgt, dass ihre
Regierungen zur Rechenschaft verpflichtet werden. Dies ist ein
konkreter Mechanismus, der den Haushaltsprozess transparent werden
lässt. Das Ausmaß, in dem Regierungen die
Grundbedürfnisse von Männern, Frauen und Kindern
erfüllen können, ist der fundamentale Maßstab
für die Legitimität jeder Regierung (vgl. hierzu die
Aussage von Maria Floro während der Anhörung der
Enquete-Kommission am 18. Februar 2002 (Deutscher Bundestag 2002c:
27)).
In vielen
Ländern41 wirkt sich
die Regulierung öffent licher Ausgaben „von
unten“ sehr positiv auf die Situation von Armen und von
Frauen aus, nicht nur, weil sie selbst Prioritäten definieren,
sondern weil damit die gesellschaftliche Stärkung
(Empowerment) von Frauen durch ihre Mitbestimmung in
wirtschaftspolitischen Belangen gefördert wird. Die positiven
Erfahrungen mit partizipativen Staatshaushalten in Brasilien und
Südafrika zeigen, dass dieser Ansatz ein hohes
Entwicklungspotenzial hat.
Dazu
müssen
Erstens die Frauenlobbys und
Gleichstellungsbeauftragten ihre Forderungen direkt an die
Finanzministerien richten, weil die für die Umsetzung und
für das technische Know-how zuständig sind.
Zweitens sollen sich Frauen dabei auf den
„Mainstream“ der Budgetausgaben konzentrieren. In
Australien machen spezielle Frauen- und
Frauenförderungsprojekte nur ungefähr ein Prozent des
gesamten Budgets aus. Umso wichtiger ist es, die restlichen 99
Prozent, welche den scheinbar geschlechtsneutralen Hauptstrom der
Budgetausgaben bilden, mit Gender-Kriterien unter die Lupe zu
nehmen.
Des Weiteren ist
darauf hinzuwirken, dass die Analyse der Haushalte internationaler
Organisationen unter Gender-Gesichtspunkten auch auf
internationaler Ebene angewendet wird.
41 Es gibt weltweit derzeit 39 existierende
Budgetinitiativen auf nationaler Ebene. Davon gibt es in Afrika
zwölf, in Asien und Lateinamerik jeweils acht, in Europa
sieben sowie in Nord-Amerika und< Ozeanien jeweils zwei.
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