2.4.6
Entwicklungsfinanzierung
2.4.6.1 Eigenverantwortung, private
Ressourcen und Marktzugang sowie öffentliche
Entwicklungs zusammenarbeit
Auf dem
„Millennium-Gipfel“ im September 2000 wurde
beschlossen, die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren,
die Ausbreitung von Krankheiten wie AIDS, Malaria etc. zu
verhindern, die Gesundheitssituation der Menschen vor allem in den
Entwicklungsländern zu verbessern, das Bildungsniveau der
Menschen zu erhöhen und die Ernährungssicherheit zu
steigern. Nach dem 11. September 2001 ist die Beseitigung von Armut
und die Verringerung von Ungleichheit und damit die
Überwindung der Polarisierung in der Welt auch als integraler
und proaktiver Bestandteil der Strategien gegen den internationalen
Terrorismus bezeichnet worden. Um diese Ziele zu erreichen,
benötigen die Entwicklungsländer in Zukunft hohe
finanzielle Mittel. Doch die Finanzierung der auf den
Weltkonferenzen beschlossenen Aktionsprogramme zur Lösung der
dringendsten Menschheitsprobleme ist nicht gewährleistet.
Deshalb haben sich die Erwartungen in besonderem Maße auf die
UN-Konferenz „Financing for Development“ in Monterrey
(Mexiko) im März 2002 gerichtet.
In den Vorbereitungen der Konferenz
(insbesondere im „Zedillo-Report“ (Vereinte Nationen
2001) und in den sich daran anschließenden Verhandlungen
(Vereinte Nationen 2002a) ist die Frage der
Entwicklungsfinanzierung, einem „holistischen Ansatz“
folgend, in einen größeren Systemzusammenhang
gerückt worden. Dies ist eine Konsequenz aus den Erfahrungen
der vergangenen Jahrzehnte: Probleme der Entwicklung und der
Entwicklungsfinanzierung sind nicht zu lösen, wenn nicht der
Gesamtzusammenhang globaler Märkte (Terms of Trade auf Waren-
und Dienstleistungsmärkten, langfristige und kurzfristige
Kapitaltransaktionen, Marktzugangsbeschränkungen etc.) gesehen
wird.
Der ganzheitliche
Ansatz (Holistic Approach) schließt Maßnahmen in Richtung
nachhaltiger, geschlechterspezifischer, auf den Menschen
ausgerichteter Entwicklung in allen Regionen der Erde ein. Die
Prinzipien der ausgleichenden Gerechtigkeit (Equity), Teilhabe
(Participation), Verfügungsmacht (Ownership), Transparenz und
Verantwortlichkeit (Accountability) sollen eine übergeordnete
und verpflichtende Richtschnur für alle Beteiligten
darstellen. Die private Wirtschaft ist ausdrücklich
angesprochen, sich diesen Prinzipien zu verpflichten.
Allerdings sind diese Zielsetzungen aus den
Vorbereitungstreffen und den dort erarbeiteten Dokumenten nicht in
das Abschlussdokument (Vereinte Nationen 2002b) eingegangen. Immer
noch werden die folgenden sechs Quellen der
Entwicklungsfinanzierung unterschieden:
1. Interne Ressourcen der
Entwicklungsländer,
2. Externe öffentliche
Ressourcen der Entwicklungszusammenarbeit (Official Development
Assistance, ODA),
3. Externe private Ressourcen,
vor allem private Direkt investitionen,
4. Einnahmen aus
Überschüssen der Leistungsbilanz,
5. Maßnahmen zur
Entschuldung, von der HIPC-Initiative über Public Private
Partnership (PPP) zu Insolvenzregeln und
6. Einnahmeverbesserungen durch
die Lösung „systemischer Fragen“, von Regeln
für Offshore Finanzentren bis zur Einrichtung einer
„internationalen Steuerorganisation“ oder eines
„Global Council“ (wie im Zedillo-Report (Vereinte
Nationen 2001) vorgeschlagen).
Eigenverantwortung und Mobilisierung
interner Entwicklungspotenziale
Ein Grundsatz der Entwicklungszusammenarbeit
ist die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer für
einen angemessenen institutionellen Rahmen (vgl. dazu auch Weltbank
2002) und die Beachtung der Regeln einer „Good
Governance“. So selbstverständlich dies sein sollte
– im übrigen auch für Industrieländer –
so schwierig ist eine Konkretisierung, wenn es darum geht, die
„systemische“ Wettbewerbsfähigkeit“
(Eßer, Hillebrand u. a. 1995: 186) zu verbessern.
Es geht nämlich bei der Mobilisierung
interner Ressourcen nicht nur um die Bekämpfung der Korruption
und des Missbrauchs öffentlicher Gelder, den Aufbau effektiver
und transparenter Steuersysteme, die Verhinderung der
Kapitalflucht, die Schaffung von Rechtssicherheit, die Beseitigung
von Fehlallokationen im Staatshaushalt (z. B. durch Kürzung
von überhöhten Militärausgaben) sowie die
Förderung des Spar- und Kreditwesens. Es geht auch um die
Entwicklung mikroökonomischer Kompetenzen,
Technologietransfer, Qualifikationsentwicklung und um
makroökonomische Rahmensetzung in einem sich schnell
ändernden weltwirtschaftlichen Umfeld. An dieser Stelle wird
bereits deutlich, dass der Verweis auf interne Ressourcen und deren
Mobilisierung keine Entwicklungsstrategie ohne die
Berücksichtigung systemischer Zusammenhänge
begründen kann.
Ressourcen aus öffentlicher
Entwicklungszusammenarbeit
Die Mobilisierung interner
Ressourcen ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, um eine
nachhaltige öko nomische Entwicklung in Gang zu setzen und die Entwicklung
der notwendigen sozialen und politischen Ins
titutionen voran zu treiben. Dabei sind Probleme der Kohärenz
sowohl in der Entwicklung selbst, als auch in der
Entwicklungs politik unbedingt zu beachten. Kohärenz hat
eine auf die definierten Entwicklungsziele bezogene qualitative,
aber auch eine quantitative Seite. Die derzeitige Höhe der
öffentlichen Entwicklungsfinanzierung ist, gemessen an dem von
den Vereinten Nationen gesetzten Ziel, 0,7 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für die öffent liche
Entwicklungshilfe bereit zu stellen, unzureichend.
Das 0,7 Prozent-Ziel der öffentlichen
Mittel der Ent wicklungszusammenarbeit (Official Development
Assis tance – ODA) wird nur von einigen kleineren
europäischen Staaten erreicht. Deutschland lag mit 0,26
Prozent des BIP (1999) genauso wie die USA mit 0,1 Prozent und
Japan mit 0,35 Prozent weit unter dem erklärten Ziel. Der
Anteil der Entwicklungszusammenarbeit am BIP der DAC-Länder
insgesamt liegt 1999 bei 0,24 Prozent (BMZ 2001b). Erst in
Vorbereitung auf die Konferenz von Monterrey hat die
Bundesregierung in Aussicht gestellt, den Anteil der Mittel
für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit am BIP auf
0,33 Prozent bis 2006 auf zustocken. Sie folgt damit den
„Schluss folgerungen des Vorsitzes des
Europäischen Rates in Barcelona vom 15. und 16. März
2002“, in denen für die EU insgesamt angestrebt wird,
ihren durchschnittlichen Beitrag zur ODA auf 0,39 Prozent des BIP
zu steigern (Europäische Kommission 2002: Ziffer 13). Zugleich
wird der Beschluss von Göteborg bekräftigt, den
UN-Zielwert von 0,7 Prozent zu erreichen.
Internationale private Ressourcen:
Direktinvestitionen und die Einbeziehung des privaten Sektors
(PPP)
Im Gegensatz zur öffentlichen
Entwicklungshilfe haben private Kapitalströme in Form von
Direktinvestitionen in die Entwicklungsländer zugenommen. Nach
Angaben des World Investment Report 2000 der UNCTAD (2000) sind die
Direktinvestitionen in die Entwicklungsländer von 37
Milliarden US-Dollar im Jahre 1990 auf 190 Milliarden US-Dollar im
Jahre 1999 gestiegen. (Zum Vergleich: Direktinvestitionen in die
entwickelten Länder stiegen im gleichen Zeitraum von 172
Milliarden US-Dollar auf 770 Milliarden US-Dollar.)
Doch die Verteilung ist ungleich.
„Über 90 Prozent der ausländischen
Direktinvestitionen entfallen auf rund 20 wachstumsstarke und
bevölkerungsreiche Schwellenländer, während für
die übrigen Entwicklungsländer fast nur
Direktinvestitionen für den Abbau von mineralischen Ressourcen
und die Erschließung neuer Erdölquellen
verbleiben.“ (Stiftung Entwicklung und Frieden 2002: 259).
Auf Afrika entfielen Ende der 90er Jahre nur noch gut ein Prozent
der gesamten ausländischen Direktinvestitionen. Das bedeutet,
dass Öffentliche Mittel der Entwicklungszusammenarbeit
für viele Entwicklungsländer die nahezu
ausschließliche Finanzquelle darstellen.
In der Entwicklungspolitik ist der
gestiegenen Bedeutung privater Unternehmen durch Mischformen der
öffentlichen und privaten Finanzierung („Public Private
Partnership“ – PPP) Rechnung getragen worden: Viele
Projekte werden in öffentlich-privater Kooperation geplant,
finanziert und durchgeführt. Die Konzentration der privaten
Kapitalströme auf einzelne Länder jedoch ist
problematisch, weil damit Entwicklungsunterschiede zwischen
Ländern größer werden können. Auch sollten
private Kapitalströme in langfristig angelegte
Entwicklungsstrategien eingebunden werden, um entwicklungspolitisch
positive externe Effekte (Linkages, Spill-Over-Effekte) nutzen zu
können. Mit anderen Worten: In PPP muss dafür gesorgt
werden, dass tatsächlich partnerschaftlich verfahren wird,
also die öffentliche Hand Vorleistungen für die Privaten
erbringt, die privaten Investoren aber ihrerseits öffentliche
Beiträge erbringen.
Die Bedeutung des freien Zugangs zu
Märkten der Industrieländer
Neben der
unzureichenden finanziellen Unterstützung der
Entwicklungsländer, ist festzustellen, dass den
Entwicklungsländern Einnahmen im Waren- und
Dienstleistungshandel durch protektionistische Maßnahmen
seitens der Industrieländer vorenthalten werden;
Schätzungen gehen von einem zusätzlichen Absatzpotenzial
der Entwicklungsländer von 150 bis 200 Milliarden US-Dollar
bei einer Marktöffnung der Industrieländer aus (Vereinte
Nationen 2000: 27, Ziffer 69).
Allerdings ist
bei einer Marktöffnung auf Seiten der Entwicklungsländer
darauf zu achten, dass nicht für die lokale und regionale
Versorgung wichtige Agrarprodukte in „Cash Crops“
für den Weltmarkt verwandelt werden. Es hat genügend
Fälle gegeben, in denen die zusätzlichen Deviseneinnahmen
nicht ausreichten, um die für die Versorgung der
Bevölkerung benötigten Nahrungsmittel zu importieren. Von
Seiten der Industrieländer muss bei den aus
Entwicklungsländern importierten Produkten auf die Einhaltung
von Standards geachtet werden. Während die Einhaltung der
Kernarbeitsnormen der ILO wenig strittig ist, besteht bei
weitergehenden sozialen Schutzrechten für Arbeiternehmer und
bei gesundheitlichen und Umweltstandards noch Beratungsbedarf vor
allem im Rahmen der WTO.
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