2.4.6.2 Verschuldung
Die HIPC-
Initiative zur Entschuldung der hoch verschuldeten armen
Länder
Für eine
nachhaltige Entwicklung ist die hohe Verschuldung vieler
Länder immer noch ein nahezu unüberwindbares Hemmnis. Die
derzeit laufende Entschuldung der ärmsten hoch verschuldeten
Länder (HIPC-Initiative) markiert einen qualitativen und auch
einen quantitativen Fortschritt. Ziel ist es, die Schulden der
ärmsten Länder durch Schuldenerlasse seitens der
(öffentlichen) Gläubiger auf ein tragfähiges Niveau
zu senken. Voraussichtlich 37 Länder können sich
dafür qualifizieren, indem sie die durch die Entschuldung
nicht mehr für den Schulden dienst gebundenen Mittel zur Armutsbekämpfung
aktiv verwenden. Bis März 2002 wurde für 26
HIPC-Länder die Entscheidung über die Entlastung
getroffen und mit der Umsetzung begonnen.
Trotz Anerkennung des positiven Ansatzes bei
der Entschuldung der HIPC monieren Kritiker jedoch die
zeitaufwendigen und komplizierten Mechanismen der HIPC-Initiative.
Sie kritisieren zudem einige Grundannahmen des
Entschuldungsverfahrens. Tragfähige Verschuldung wird von der
Gebergemeinschaft – so die Kritik – im Sinne einer
maximalen Schuldendienstfähigkeit (wie im
Londoner Schuldenabkommen von 1953 – s.
Kasten 2-5)interpretiert. Externe Schocks, Naturkatastrophen,
starke Schwankungen der Rohstoffpreise und eine Verschlechterung
der Terms of Trade45,
dramatische Gesundheitskrisen (Aids, Tuberkulose) haben aber in der
Vergangenheit wiederholt gezeigt, dass ein grundsätzlich als
tragfähig erachtetes Schuldenniveau sehr plötzlich wegen
der erratischen Schwankungen makroökonomischer globaler
Größen in Überschuldung umschlagen kann.
Mit den zweifelsohne positiven Entwicklungen
für die HIPC-Länder hat sich der Graben – was die
Möglichkeiten der Entschuldung betrifft – zwischen
dieser Ländergruppe und anderen Entwicklungsländern mit
erheblichen Verschuldungsproblemen vertieft. Für sie
existieren im Wesentlichen die gleichen Bedingungen wie in den
achtziger Jahren. Für Länder mit mittleren und niedrigen
Einkommen stehen im Pariser Club jeweils unterschiedliche Ins
trumente zur Verfügung: darunter eine Streckung des
Schuldendienstes bei Ländern mit mittlerem Einkommen und bei
den ärmeren Ländern ggf. auch ein Schuldenerlass. Die
Gesamtverschuldung der Länder mit mittlerem Einkommen hat sich
in den letzten Jahren permanent erhöht. Der Glaube, sie
würden aus eigener Kraft aus der Verschuldung herauswachsen,
lässt sich durch entsprechende Erfahrungen nicht
erhärten. Auch für diese Ländergruppe stellt sich
also die Frage nach erweiterten Verfahren, die das Problem der
Entschuldung entschärfen könnten.
Alle momentan
bestehenden Verfahren des Schuldenmanagements werfen jedoch
grundsätzliche Fragen nach einem gerechten Interessenausgleich
zwischen Gläubigern und Schuldnern auf. Das jetzige Verfahren
der Schuldenverhandlungen im Pariser Club beispielsweise, bei dem
die Gläubiger de-facto Gutachter, Kläger und Richter in
einer Person sind, wird grundlegenden demokratischen
Ansprüchen nicht gerecht.
Geregelte Insolvenzverfahren
Ein faires,
transparentes und effizientes Schiedsverfahren zur Regelung der
Überschuldung von Staaten soll neue Entwicklungsoptionen
für Länder eröffnen, die von der Illiquidität
in eine Situation der Insolvenz geraten sind. Gegenüber der
Befriedigung der Gläubiger aus einer
„Konkursmasse“ ist das Insolvenz-Verfahren auf die
Mög lichkeit eines „fresh start“ des
Schuldners ausgerichtet, so wie sie das US-amerikanische
Insolvenzrecht für Private (Chapter 11 des US Bankruptcy Law)
und für Kommunen (Chapter 9) vorsieht.
Ökonomisch
sind die Forderungen, die bei den Gläubigern zu Buche stehen,
zumindest zum Teil uneinbringlich, zumal dann, wenn der
„Unternehmenswert“ zu einem großen Teil ideeller
Natur ist (Netzwerke zwischen Lieferanten, Abnehmern und dem
Unternehmen; Know-how der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Label
etc.) und bei einem Konkursverfahren zerschlagen werden würde.
Dies gilt allerdings nicht für souveräne Schuldner.
Juristisch
kollidieren die berechtigten Ansprüche der Gläubiger mit
der Unzumutbarkeit der Vertragserfüllung seitens des
Schuldners. Es stellt sich damit die Frage nach den
Modalitäten einer Reduktion der Schuldenlast von
souveränen Schuldnern. Ad-hoc-Lösungen sind mit der
HIPC-Initiative entwickelt worden, die aber nicht für
Mitteleinkommensländer vorgesehen ist, obwohl auch diese die
Schuldenlast nicht immer tragen können.
Das jüngste
Beispiel ist Argentinien, ein Land, das für eine
HIPC-Lösung nicht in Frage kommt, aber doch eine
Rückführung der übermäßigen Schuldenlast
benötigt, um die schwere ökonomische, soziale und
politische Krise überwinden zu können. In diesem Fall
wird auch die Unangemessenheit des bisherigen Umgangs mit
Finanzkrisen (seit der Mexiko-Krise 1994) deutlich: Wenn einem Land
in einer Finanzkrise zum Teil massiv Mittel zur Verfügung
gestellt werden, um die Forderungen der Gläubiger befriedigen
zu können, steigt die Verschuldung. Der zukünftige
Schuldendienst kann die Entwicklung des betroffenen Landes
beeinträchtigen.
Es wäre das
Ziel eines fairen und transparenten Schiedsverfahrens – unter
Beteiligung von Schuldnern, Gläubigern und einem
unabhängigen Schiedsrichter –, verschuldeten Staaten
einen Neuanfang zu ermöglichen, um sie so in die Lage zu
versetzen, den zukünftigen, in einem Insolvenzverfahren
ausgehandelten Schuldendienst nachhaltig leisten zu können. So
wie das nationale Insolvenzrecht privaten Schuldnern den Schutz der
Menschenwürde und einen wirtschaftlichen Neubeginn zugesteht,
zielt das Insolvenzverfahren im Falle sou veräner
Staaten auf die Eröffnung neuer Entwicklungs
chancen.
Auch im Falle der
Insolvenz müssen ein Existenzminimum gesichert bleiben, die
Bekämpfung der Armut fortgesetzt werden, die Bewahrung der
natürlichen Umwelt und die Gewährleistung des sozialen
und politischen Friedens Ziel aller Beteiligten bleiben. Denn dies
alles sind öffentliche Güter, die Schutz verdienen
– auch und gerade durch Gläubiger, die ebenfalls
betroffen sein können, wenn dieser Schutz verloren geht. Der
11. September hat alle Menschen in dieser Hinsicht sensibler
gemacht.
Durch die
Einbeziehung der privaten Gläubiger in die Vermeidung und
Bewältigung von Krisen („Bail in“;
Schuldenmoratorium) setzt das Verfahren einen Anreiz,
Fehlallokationen bei der Kreditvergabe, weil Risiken unterbewertet
werden, antizipativ zu verhindern. Es werden also im Zuge eines
Insolvenzverfahrens nicht nur die Schuldner, sondern auch die
Gläubiger diszipliniert.46 So könnte der für die
Funktionsweise globaler Finanzmärkte insgesamt positive Effekt
einer Reduzierung von „Moral Hazard“ und nicht
optimaler Auswahl von Kreditnehmern („Adverse
Selection“) durch eine Insolvenzregelung befördert
werden. Durch das „Bail in“ im Zuge des
Insolvenzverfahrens wird ein positiver Beitrag zur Stabilisierung
der Internationalen Finanzmärkte geleistet (Raffer
2000).47 Allerdings kommt
es sehr darauf an, dass das Verfahren von strukturellen Reformen in
den betroffenen Ländern begleitet wird.
Beide Seiten,
Schuldner ebenso wie Gläubiger müssen also mit der
Zielsetzung, Schuldnern einen „neuen Start“ zu
ermöglichen, Zugeständnisse machen. Dies wird nur
gelingen, wenn eine unabhängige Schiedsrichterinstitution die
Insolvenzverhandlungen moderiert. Diese unabhängige
Institution muss noch errichtet werden, da die internationalen
Finanzinstitutionen kaum die Aufgaben der neutralen Moderation
wahrnehmen können. Sie sind zu sehr Partei in den globalen
Kreditbeziehungen, als dass sie als Schiedsrichter in
Insolvenzverfahren geeignet wären.
Die Debatte um
ein internationales Insolvenzrecht hat Ende 2001 durch mehrere
Reden der stellvertretenden Geschäftsführenden Direktorin
des IWF, Anne Krueger, neuen Auftrieb erlangt. Dazu werden der
Schock des 11. September 2001, aber auch die schwere Finanzkrise,
die ein großes Land der westlichen Hemisphäre
(Argentinien) politisch destabilisiert hat, Anlass gegeben haben.
Auch die infolge der Zunahme verbriefter Anleihen (und der
relativen Abnahme von Krediten) in den vergangenen Jahren erfolgten
Veränderungen auf der Gläubigerseite der globalen
Finanzbeziehungen legen eine Neubewertung von Insolvenzverfahren
nahe. Denn Umschuldungen können nun nicht mehr vor allem
innerhalb des IWF, im Pariser Club und im Londoner Club innerhalb
einer übersichtlichen Zahl von Beteiligten auf der Schuldner-
wie auf der Gläubigerseite stattfinden, wenn auf der
Gläubigerseite zum Teil Tausende von Anleihehaltern in vielen
Ländern von einer akuten Solvenzkrise eines Schuldnerlandes
(Beispiel Argentinien) betroffen sind. Viele kleine Anleger haben
also, vermittelt durch Investment- oder Pensionsfonds, Anleihen
oder Staatspapiere von Schwellenländern gekauft, die auf
Wertpapiermärkten gehandelt werden. Allerdings handelt es sich
dabei nur um Anleihen der Schwellenländer, die verbrieft und
gehandelt werden; Investitionen privater Investoren in verbriefte
Anleihen von Entwicklungsländern hat es nicht gegeben.
Auch Bundespräsident Johannes Rau hat sich in
seiner „Berliner Rede“ vom 13. Mai 2002 für die
Einführung von Insolvenzregeln ausgesprochen.
45 Terms of Trade drücken das Verhältnis von
Import- zu Exportpreisen aus; im Falle der Entwicklungsländer
geht es um das Verhältnis der Rohstoffpreise (Exporte) und
Industriegüterpreise (Importe). In der langfristigen Tendenz
sind die Industriegüter gegenüber den Rohstoffen relativ
teurer geworden, die Terms of Trade haben sich also für die
Entwicklungsländer verschlechtert und umgekehrt für die
Industrieländer verbessert. Diese stilisierte Aussage trifft
cum grano salis die Entwicklung der Weltwirtschaft in den
vergangenen drei Dekaden.
46 Eine ähnliche Wirkung könnte im
übrigen die von George Soros ins Spiel gebrachte
Kreditversicherung haben, die Kreditgeber gegen allfällige
Zahlungsausfälle abzuschließen verpflichtet wären
(vgl. Soros 2002).
47 Kritisch dazu BMZ (2000); als Antwort darauf Raffer
(2001).
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